Kurz vor der Pleite? Landarzt wirft der KV mangelhafte Niederlassungsberatung vor
Mit einer Landarztpraxis in Twistringen, einem 12000-Seelen-Ort 35 Kilometer südlich von Bremen, wollte sich der Allgemeinarzt Dr. Martin Winter eine neue Existenz aufbauen. Zunächst ließ sich auch alles sehr gut an. Der Neuanfang wurde mit 60 000 Euro gefördert. Der Versorgungsbedarf ist groß, da die bestehenden vier Hausarztpraxen bereits an der Belastungsgrenze waren, nachdem eine Doppelpraxis mit rund 2000 Scheinen aus Altersgründen schließen musste.
Statt 1500 sind maximal 800 Patienten erschienen
Dr. Winter ist auch kein Neuling in Sachen hausärztlicher Versorgung. Vor seiner Tätigkeit als Chefarzt der AOK-Nordseeklinik auf Amrum betrieb er über elf Jahre lang mit vier Kollegen eine Hausarztpraxis in Bremen. Der Allgemeinarzt ging somit ambitioniert an den Start und schloss einen Praxismietvertrag über fünf Jahre sowie Arbeitsverträge mit drei Teilzeitkräften ab.
Doch nach gerade mal sieben Monaten Praxisbetrieb ist der Allgemeinarzt kurz davor, Insolvenz anzumelden, weil, wie er meint, die Patienten ausbleiben. Statt der erwarteten 1000 bis 1500 Patienten pro Quartal seien bislang maximal 800 gekommen, sagt Dr. Winter. „Die Praxis arbeitet nicht einmal annähernd kostendeckend und meine privaten Ausgaben muss ich bis heute aus Rücklagen und Dispositionskrediten meiner Bank decken“, erzählt er. Da zudem im zweiten Quartal weniger Patienten gekommen seien als in den ersten Monaten, habe die KV ihre Abschlagszahlungen reduziert, was seine wirtschaftliche Situation weiter verschärft habe. Der Arzt sieht sich von der KV getäuscht. „Die Berechnungen für meinen Businessplan, der Grundlage für die Gewährung eines Gründerkredits von 30 000 Euro ist, beruhen auf falschen Versprechungen der KV“, klagt er. Bei einem Beratungsgespräch zur Praxisneugründung im Sommer 2016 sei ihm signalisiert worden, dass er ab dem ersten Quartal mit 1000 bis 1500 Patienten rechnen könne. Er sei daher von einem Gewinn von mindestens rund 60 000 Euro ausgegangen.
KV: nach sechs Quartalen in der Gewinnzone
Michael Schmitz, Geschäftsführer der KV-Bezirksstelle Verden, widerspricht: „Wir haben Dr. Winter nie versprochen, dass bereits im ersten Quartal so viele Patienten die Praxis aufsuchen werden. Allerdings sind wir der Ansicht, dass ein entsprechendes Patientenpotenzial in der Region grundsätzlich vorhanden ist.“
Mit 800 Scheinen könnten zudem durchaus Quartalsumsätze von rund 48 000 Euro (nur GKV) erzielt werden, rechnet Schmitz vor. Üblicherweise dauere es etwa sechs Quartale, bis ein neu niedergelassener Arzt in die Gewinnzone komme. Zugleich sei es nicht ungewöhnlich, dass anfangs die Patientenzahlen wieder leicht rückläufig seien.
Die KV schätzt die Lage für Dr. Winter folglich viel positiver ein als dieser. „Wir sehen nach wie vor gute Voraussetzungen für die Praxis gegeben“, sagt Schmitz. Der Arzt habe schließlich innerhalb der ersten Monate fast durchschnittliche Fallzahlen erreicht. „Damit geht man nicht pleite“, so der Bezirksstellenleiter. Mit Sonderverträgen und der Betreuung von Pflegeheimen sei der Fallwert zudem noch steigerungsfähig.Twistringen sei ein hervorragender Standort, an dem bislang nie eine Praxis Insolvenz anmelden musste.
Da die Bezirksstelle sehr an einer Weiterführung der Praxis interessiert ist, hat sie Dr. Winter eine Abrechnungsberatung sowie eine Überprüfung der Abschlagszahlung zum Erhalt der Liquidität angeboten.
Kollege will in Ruhe über seine Zukunft nachdenken
Doch das reicht dem Arzt nicht. Er fordert eine rückwirkende Umsatzgarantie für die ersten sechs Monate. Sollte die KV diese verweigern, müsse sie eine vollständige Regulierung des wirtschaftlichen Schadens, der ihm aufgrund der aus seiner Sicht falschen Niederlassungsberatung entstanden sei, übernehmen.
„Ich möchte vor allem verhindern, dass anderen Ärzten dasselbe widerfährt wie mir“, sagt er. Es sei unabdingbar, dass die KV ihre Beratungspraxis optimiert. Dazu gehöre, dass ein Beratungsgespräch protokolliert und vom Arzt gegengezeichnet werde. Auch hält Dr. Winter es für geboten, dass sich die KV den Businessplan vorlegen lässt, um das unternehmerische Risiko für den Arzt so klein wie möglich zu halten. All dies sei in seinem Fall nicht geschehen.
Es sei nicht üblich, mit niederlassungswilligen Ärzten einen Businessplan durchzugehen, erwidert Schmitz. Zudem sei Dr. Winter schon einmal als Hausarzt tätig gewesen.
Dr. Winter hat derweil die Notbremse gezogen und sich bis Ende Juni aus seinem Praxisbetrieb abgemeldet. Ob er danach die Praxis fortführen wird, wisse er noch nicht, erklärt er. Er brauche jetzt erst einmal Zeit, um sich zu regenerieren und in Ruhe über seine Zukunft nachzudenken. Der Mietvertrag und die Arbeitsverträge mit seinen Mitarbeiterinnen hätten aber vorerst weiter Bestand.