Fremd- und Fachsprache Ärztekammern prüfen sprachliche Eignung
Die Stoppuhr piept. Das simulierte Arzt-Patienten-Gespräch – der erste Teil der 60-minütigen Einzelprüfung vor der Prüfungskommission der Ärztekammer Rheinland-Pfalz – ist an diesem Morgen in Mainz beendet. Dem 26-jährigen Syrer bleiben nun noch knappe 20 Minuten, um seine Notizen schriftlich auszuwerten und konkrete Ergebnisse vorzustellen. Zunächst sieht alles gut aus. Der Prüfling hat alle Patientendaten richtig dokumentiert. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass in seiner Auswertung auf allen weiteren Seiten gar nichts steht. „Die Zeit hat mir nicht gereicht“, ist der syrische Arzt enttäuscht. Es hilft nichts: Die Punktzahl reicht nicht, um zu bestehen. „Leider“, so die Prüfer, „dabei waren Sie im mündlichen Teil gut.“ Der Kandidat sieht es ähnlich: „Ich habe auch alles gut verstanden, aber ich konnte es schriftlich nicht ausdrücken und gut zusammenfassen.“
Die Kommission empfiehlt ihm, die Prüfung in sechs bis acht Wochen zu wiederholen und bis dahin z.B. deutsche Nachrichten zu hören und deren Inhalte zu notieren, um ein besseres Gefühl für die deutsche Sprache.
Fit fürs ärztliche Gespräch
Eine Fachsprachenprüfung wird von der Ärztekammer abgenommen. Drei 20-minütige Teile muss der Prüfling erfolgreich absolvieren: die Interpretation einer simulierten Patientenbegegnung
Seit vielen Jahren nimmt Dr. Jürgen Hoffart, Hauptgeschäftsführer der Ärztekammer Rheinland-Pfalz, Fachsprachenprüfungen ab, er kennt die Stolperfallen genau. Geschenkt bekommen die Prüflinge nichts. Zwar müsse der Kandidat keine richtige Verdachtsdiagnose stellen, aber sie sprachlich richtig verstehen und korrekt schreiben können. Die meisten scheitern spätestens am schriftlichen Teil. Manche rasseln sogar schon bei der Begrüßung durch. „Ich rate meinen Prüflingen immer: Lies‘ Asterix und Mickey Mouse. Umgangssprache zu lernen, ist sehr wichtig, nicht nur die Fachliteratur zu studieren.“ Im medizinischen Alltag gebe es häufig Grenzsituationen, die vielfach nur durch Zuruf der Kollegen schnell erfolgreich bewältigt werden könnten, ergänzt er.
Strenge soll Sicherheit der Patienten gewährleisten
Oft lernten die jungen Frauen und Männer bestimmte Standardsätze zur Prüfung auswendig, im freien Gespräch fehlten ihnen aber plötzlich die Worte, medizinische Zusammenhänge würden nicht verstanden. „Das ist allein wegen der Patientensicherheit nicht tolerierbar. Deshalb sind wir in den Sprachprüfungen auch streng“, so Dr. Hoffart.
Die Fachsprachenprüfung muss jeder Arzt machen, der die Approbation oder Berufserlaubnis beantragt und nicht genügend Deutschkenntnisse für seine ärztliche Tätigkeit nachweisen kann. „Die Fähigkeit, sich verständlich und zweifelsfrei artikulieren zu können, ist genauso elementar wie die Ausbildung“, betont etwa der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch. Sein Bundesland hat bereits vor über zehn Jahren bei der Sprachvermittlung Pionierarbeit geleistet. Es war das erste Land, das schon 2012 Ärzte, die nur unzureichend Deutsch sprechen konnten, mit Vokabeltests zu Fachtermini in die Zange genommen oder bei der Abfrage von Körperschema und Bildgebungsverfahren mit Nachfragen gelöchert hat.
Alle Länder prüfen, nur das Saarland nicht
Mit der 86. Gesundheitsministerkonferenz 2013 rückten die Sprachkenntnisse von Ärzten stärker ins politische Interesse. Nach Rheinland-Pfalz, das 2012 den Anfang machte, wurden auch in den anderen Ländern die Ärztekammern mit der Abnahme der Fachsprachenprüfung beauftragt. In Nordrhein-Westfalen gab es 2014 die ersten Prüfungen, ein Jahr später folgten Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Der Start in Sachsen war 2016, im Folgejahr in Bayern und 2018 in Thüringen. Hessen zog vier Jahre später nach, ebenso Schleswig-Holstein. Im Saarland gibt es bis heute keine Prüfung durch die Landesärztekammer.
Die Kandidaten, die in Rheinland-Pfalz geprüft werden, kommen vornehmlich aus Syrien, seit 2022 ist deren Zuwachs besonders hoch. Wieder stärker vertreten sind auch Ärzte aus Ägypten, Aserbaidschan und Libyen. Auffällig viele Jungärzte stammen aus Nordafrika. Statt nach Frankreich zu gehen, fällt ihre Wahl häufig auf Deutschland. Der Grund sei u.a. ein zusätzliches Medizinexamen, das die Franzosen verlangen, erklärt Dr. Hoffart. Das gebe es aber in ähnlicher Form auch in Deutschland als sog. Kenntnisprüfung.
Weil die zugewanderten Ärzte meist noch jung seien, verfüge auch kaum einer über einen Facharzttitel, sagt der Geschäftsführer. Verschwindend gering sei der Frauenanteil. Es würden deutlich mehr ausländische Männer ein Medizinstudium mitbringen, als man es aus Deutschland kenne. Hier sind etwa 70 % der Medizinstudierenden weiblich. Aus der Ukraine seien wegen der aktuellen Kriegssituation und Wehrpflicht nur sehr wenige Ärzte vertreten, berichtet der Kammer-Geschäftsführer.
„Rheinland-Pfalz wurde anfangs von ausländischen Ärzten häufig gemieden, weil wir die ersten mit Fachsprachenprüfung waren“, erinnert sich Dr. Hoffart. Mittlerweile nehmen fast alle Ärztekammern die Fachsprachenprüfung ab, ausgenommen das Saarland. „Dort wird sich lediglich auf Sprachzertifikate verlassen“, sagt der Geschäftsführer.
Über 1.830 eingewanderte Mediziner haben in Rheinland-Pfalz 2014 bis 2022 ihre Prüfung im ersten Anlauf bestanden. Für 2023 erwartet die Kammer in Mainz eine sehr hohe Zahl an Prüfungen, da die Zahl der Anmeldungen schon im Vorjahr gestiegen war. Allein die noch anstehenden Erstprüfungen aus 2022 sorgten dafür, dass der Terminkalender im ersten Quartal fast lückenlos gefüllt war. Neuanmelder müssen derzeit mit einer Wartezeit von sechs bis acht Wochen rechnen.
Wer durchfällt, kann so oft wiederholen, wie er will
Ob Fachsprachenprüfungen die Kommunikationsprobleme im ambulanten und stationären Bereich tatsächlich mindern, lässt sich anhand der bislang erhobenen Daten nicht erkennen. Doch Dr. Hoffart ist überzeugt, dass diese Prüfungsform weitaus effektiver ist als Sprachkurse. „Auf keinen Fall sollte man versuchen, die Leistungsanforderungen abzusenken“, warnt er.
Die Durchfallquoten von fast 50 % in Rheinland-Pfalz sind seit vielen Jahren konstant. Die Prüfung kann ein Kandidat jedoch so oft wiederholen, wie er will. In Nordrhein-Westfalen fallen übrigens ähnlich viele Kandidaten beim ersten Versuch durch wie im benachbarten Rheinland-Pfalz. In Sachsen-Anhalt schafft dagegen nur ein Drittel der Teilnehmer die Prüfung nicht.
Medical-Tribune-Bericht