Diskussion um Schrittmacher ohne Kabel – Experten uneins

Autor: Dr. Angelika Bischoff

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Sind die Minisysteme schon bereit zum Einsatz bei Jedermann? Geringere Invasivität, einfachere Implantation, weniger Komplikationen: Von kabellosen Schrittmachern versprechen Kardiologen sich einiges. Doch sind die Systeme schon tauglich für den klinischen Alltag?

Fortschritte in Elektronik und Energieversorgung (high-density-Batterien) haben es möglich gemacht, miniaturisierte Schrittmachersysteme zu entwickeln. Diese funktionieren ohne Elektrodenkabel und werden transvenös direkt im rechten Ventrikel verankert – wie das MicraTM-TPS (transcatheter pacing system) und das NanostimTM-System. Wie Prof. Philippe Ritter, Hôpital Haut Lévèque, Bordeaux, ausführte, der maßgeblich an der klinischen Evaluation des MicraTM-TPS beteiligt war, sind diese Minisysteme etwa zehnfach kleiner und leichter als konventionelle Einkammer-Schrittmacher. 


Keine kabelbedingten und chirurgischen Komplikationen

Nach Ansicht von Prof. Ritter spricht vieles dafür und wenig dagegen, bereits heute bei den Standard-Indikationen für Einkammer-Systeme – vor allem Bradykardie bei permanentem oder persistierendem Vorhofflimmern – einen der neuen kabellosen Schrittmacher einzusetzen. Man erspare sich kabelbedingte oder chirurgische Komplikationen, die Implantation verlaufe einfacher und schneller. Zudem sei das Device für den Patienten nicht sichtbar oder spürbar und kosmetisch sehr viel befriedigender. Nur bei sehr jungen Patienten würde der Experte lieber noch die Resultate laufender Studien und Langzeitdaten abwarten. 

Wie häufig kabelbedingte Komplikationen bei konventionellen Schrittmachern sind, verdeutlich-te der Referent z.B. anhand der FOLLOWPACE-Studie mit mehr als 1500 Patienten, die erstmals ein solches System implantiert bekamen. Innerhalb von zwei Monaten erlitten rund 13 % der Patienten Komplikationen, bei 4 % war deshalb eine erneute Operation erforderlich. Zu den Komplikationen zählten Pneumothorax (2,2 %), Hämatome (2,5 %), Perforation der Herzwand (0,53 %), Tamponade (0,6 %) und Infektionen mit Septikämie (1 %). „Diese Rate liegt sehr hoch, wenn man die lange Erfahrung bedenkt, die man mit den konventionellen Systemen hat“, so Prof. Ritter. 

Schwere Zwischenfälle betrafen nur 1,4 % der Patienten

Die Evidenz für kabellose Systeme ist noch limitiert. So nahmen an der Micra TPS Studie 140 Patienten teil. Bei 5,7 % von ihnen trat in den ersten zwei Monaten eine Komplikation auf. Dazu zählten neben leichteren Problemen – transienter AV-Block, Rechtsschenkelblock, Arrhythmien – auch schwere Komplikationen wie Perikarderguss, Myokardinfarkt, Perikarditis und arterielles Pseudoaneurysma. Die schweren Komplikationen betrafen jedoch nur 1,4 % der Patienten, so Prof. Ritter: „Da wir mit den neuen Devices erst am Anfang der Lernkurve sind, werden diese Raten weiter abnehmen“. 

Dr. Josef Kautzner, Institut für klinische und experimentelle Medizin, Prag, dagegen hält den Zeitpunkt für eine allgemeine Empfehlung kabelloser Schrittmacher oder gar eine Ablösung der konventionellen Devices noch nicht für gekommen. Bevor man die neuen Systeme in der Praxis breit einsetzt, sollten weitere Langzeitdaten abgewartet werden, betonte der Kollege. Als limitierend betrachtet Kautzner derzeit, dass kabellose Systeme nur für 15 % aller Schrittmacher-Indikationen einsetzbar sind, da es sich um Einkammer-Systeme handelt. Und bei der Mehrzahl der Patienten werden heute Zweikammer-Systeme verwendet. Auch hinsichtlich des Risikos für schwere Komplikationen wie Perforation, Perikarderguss oder Dislokationen äußerte Dr. Kautzner Bedenken.

Ein Problem sieht der Prager Kollege auch in der Strahlenbelastung durch die Fluoroskopie. Das gilt insbesondere, wenn die Implantation nicht beim ersten Versuch gelingt. In einer Studie habe die Implantation nur bei 59 % der Patienten auf Anhieb geklappt, informierte der Referent. 

 

Kabellose Schrittmacher nicht für Telemonitoring geeignet

 

Eine weitere Einschränkung sieht er darin, dass sich kabellose Schrittmachersysteme nicht für Telemonitoring eignen, welches immer mehr zum Standard in der kardiologischen Überwachung wird. Darüber hinaus gebe es Unsicherheit über das langfristige Thromboembolierisiko. Und last but not least: Die kabellosen Schrittmacher kosten ein Vielfaches der konventionellen Systeme. Ob sich dies durch Einsparen von Komplikationen und Krankenhaustagen kompensieren lässt, müsse erst noch bewiesen werden. 

 

*European Society of Cardiology