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Transparenz öffnet Augen und Ohren Ranking zur Zufriedenheit mit Arztinformationssystemen funktioniert

Die Berliner Hausärztin Dr. Irmgard Landgraf führt bei der Ärztekammer Schulungen für MFA zur Digitalisierung durch. Zu hören bekommt sie von diesen immer dasselbe: Klagen über Probleme mit der IT, über Verbindungsabbrüche und schlechte Servicepartner. Ob die Praxisverwaltungssoftware (PVS), die Telematik-Komponenten oder etwas anderes die Ursache einer Störung ist, bleibt vielfach unklar.
Zi-Vergleich der Systeme erweist sich als hilfreich
Großes Lob spricht Dr. Landgraf dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) aus. Denn dieses hat 2024 Messinstrumente für die Anwenderzufriedenheit bzw. Wechselbereitschaft von PVS-Nutzern getestet. Mit Erfolg. Zumindest für 39 Systeme können sich Interessierte online über Stärken, Schwächen und Bewertungen informieren. Das hat dazu geführt, dass PVS-Anbieter ein offenes Ohr zeigen, berichtet Dr. Landgraf von ihrem „Digital-Stammtisch“ mit Kolleginnen und Kollegen. „Die Ergebnisse und das Ranking sind extrem wertvoll“, lobt sie Untersuchung und Veröffentlichungen des Zi.
Auch Dr. Jens Wasserberg, Hausarzt und Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Nordrhein, hält das Vergleichsportal des Zi für „hocheffektiv“. In 22 nordrheinischen Praxen hatte das Zi bei elf PVS 32 Vorgänge pro Praxis erhoben. Es ging dabei um die mittlere Anzahl an Klicks bzw. Sekunden. Mit solchen Zahlen argumentieren die Körperschaften, wenn es um die reale Dauer von Anwendungen geht. Das Zi wiederum belegt damit: Je mehr Klicks für einen Vorgang benötigt werden, umso geringer ist die Nutzerzufriedenheit. Mit der Zunahme an Dauer und Klicks steigt auch die Anzahl der Fehlersituationen, von denen von Anwender berichten.
Zentrale Ergebnisse der Zi-Untersuchung (siehe Kasten) sind:
- Fast die Hälfte der Softwarenutzenden berichtet, dass der Praxisablauf mehrmals pro Woche oder gar täglich durch Softwarefehler gestört wird. Oftmals sind elementare Funktionen nach Softwareupdates betroffen oder die Funktionalitäten der TI können nicht fehlerfrei genutzt werden.
- Drei von vier Arzt- und Psychotherapiepraxen würden ihre aktuelle Praxissoftware daher nicht weiterempfehlen.
- Viele wären bereit, ihr PVS zu wechseln, obwohl dies mit hohem Aufwand verbunden ist. Je geringer Usability und Nutzerzufriedenheit sind, umso höher ist die Bereitschaft zum PVS-Wechsel.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Zufriedenheit mit PVS
39 PVS führt das Zi in seinen Rankings. Für diese lagen ihm jeweils mindestens 20 Bewertungen aus Praxen vor. Dafür wurden im März/April 2024 über 10.000 Bewertungen bei niedergelassenen und angestellten Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten online eingeholt. Zur Beurteilung wurden verschiedene Indikatoren gewählt.
- Bei der System-Usability-Scale (SUS) werden die Antworten auf zehn Fragen zur Usability eines Produkts addiert und ins Verhältnis zur Maximalsumme gesetzt.
- Beim Net-Promoter-Scores (NPS) wird gefragt, wie wahrscheinlich es ist, dass man ein Produkt weiterempfehlen würde. Berücksichtigt wird ein Überhang an Befürwortern bzw. Detraktoren.
- Die Wechselbereitschaft spiegelt die Anzahl der Zustimmungen in Prozent wieder, jetzt oder in den nächsten Jahren das PVS zu wechseln.
- 17 Situationen, in denen Anwender Fehler bemerkt haben (z. B. nach Updates, bei der Online-Terminvergabe oder bei der Kodierung von Diagnosen) sowie die Fehlerhäufigkeit.
Das Zi stellt in einer wissenschaftlichen Auswertung fest, dass SUS und NPS geeignete Messinstrumente für das Erfassen von Usability und Nutzerzufriedenheit bei PVS sind. Es lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den PVS erkennen. Fehlersituationen und -häufigkeiten hängen maßgeblich negativ mit SUS/NPS und positiv mit der Wechselbereitschaft zusammen. Die Online-Tabellen des Zi bieten für die bewerteten PVS ein Ranking an: bit.ly/zi-pvs und bit.ly/zi_pvs_fehler
Jens Naumann, Geschäftsführer des PVS-Anbieters medatixx und mit fünf Programmen im Zi-Ranking vertreten, sieht in der Erhebung einen „fundierten Ansatz“, der Impulse für die Weiterentwicklung von Produkten liefert. Allerdings nutzt das Unternehmen vor allem das Feedback der Zehntausende Ärztinnen, Ärzte und MFA, die die Systeme nutzen. Einen wesentlichen Einfluss auf die Zufriedenheit habe die Qualität der IT-Praxisbetreuer, so Naumann. Auch würden manchmal Probleme mit der Telematik-Infrastruktur dem PVS angelastet.
Kommt es im Markt zu Verschiebungen?
Peter von der Buchard, Geschäftsführer von T2Med, freut sich über die guten Bewertungen für das System. Auch er verweist auf die Anwender-Community als wesentliche Quelle für Austausch und Anregungen. Marktverschiebungen aufgrund der Zi-Veröffentlichungen kann er noch nicht feststellen (die jüngste KBV-Installationsstatistik hat den Stand 31.3.2024). Aber gelegentlich werde in Gesprächen auf die Zi-Umfrage Bezug genommen.
Was könnte wer dazu beitragen, damit die Zufriedenheit der PVS-Anwender zunimmt? Die Gematik sieht sich nur bedingt involviert. Sie gebe lediglich Empfehlungen ab und sei für Konformitätsvorgaben zuständig, erklärt Service Manager Roberto Hengst. Die PVS-Anbieter von der Buchard und Naumann warnen auch davor, mit starren Standards zu sehr in den vielfältigen PVS-Markt einzugreifen. Wenn etwa eine clevere Produktverbesserung eines Unternehmens für alle Marktteilnehmer als Standard verpflichtend gemacht werde, nehme das den Anreiz zur wettbewerblichen Differenzierung.
Zu Kündigungsfristen, zur Notwendigkeit einer zeitlichen Überlappung von altem und neuem Arztinformationssystem und zur Forderung nach einer standardisierten Datenablage sagt Naumann: Ein PVS-Wechsel sei ein Projekt von drei bis sechs Monaten. Mit der passenden Mannschaft sei es ohne Fremdhilfe möglich, die Daten aus einem anderen System ordentlich ins neue zu übertragen. Bei langen Kündigungsfristen lassen sich ggf. Kulanzregelungen finden.
Zi-Vorstandschef Dr. Dominik von Stillfried gibt allerdings zu bedenken, dass ein Softwarewechsel komplex ist. Das Institut befragte Ärztinnen und Ärzte, die Bereitschaft signalisiert hatten, ihr PVS zu wechseln. Diese zögerten allerdings aus Sorge vor unangemessenen Kosten für die Schnittstelle bzw. Datenmigration. Befürchtungen gab es auch zum Aufwand der Datenüberführung, wegen eines unangemessenen Umschulungsaufwands und bezüglich Datenverlusten.
Eine ergänzende Befragung von Kolleginnen und Kollegen, die ihre Verwaltungssoftware tatsächlich gewechselt hatten, zeigte, dass sich solche Befürchtungen zum Teil bewahrheiten: 35 % bewerteten die Wechselkosten als zu hoch, 25 % bemerkten Datenverluste und 20 % empfanden den Aufwand für die Überführung als nicht angemessen. Dennoch sagten letztlich 86 %, dass der Wechsel zu signifikanten Verbesserungen geführt habe.
Dr. von Stillfried schlussfolgert aus den Erfahrungen mit den PVS-Beurteilungen, dass regelmäßig Daten zur Usability erhoben und transparent veröffentlicht werden sollten, um Verbesserungen durch die Hersteller sowie nutzbringende Software-Wechsel zu unterstützen. Ergänzend könnten Performance-Messungen in Praxen zusätzliche Informationen zur Komplexität und Bearbeitungsdauer standardisierter Vorgänge liefern. Das wissenschaftliche Institut der KBV und KVen plant weitere Befragungen ab April/Mai 2025.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht