Aufklärungspflicht Über welche Risiken muss ich aufklären?
Dr. Stephan L., ein Facharzt für Augenheilkunde, führte in seiner Praxis u. a. Kataraktoperationen zur Behandlung des Grauen Stars durch. Im Jahr 2009 ereilte ihn ein Schlaganfall mit Gehirnblutung. Seitdem litt er an Feinmotorik- und Koordinationsstörungen – so stark, dass er sich die Schuhe nicht mehr selbst zubinden konnte. Seiner Tätigkeit als Operateur sollte das aber keinen Abbruch tun: Zwischen 2011 und 2016 nahm er knapp 4.000 Eingriffe vor. Zwölf davon führten zu einer teils erheblichen Verschlechterung des Sehvermögens, in zwei Fällen kam es zu einer Erblindung auf einem Auge. Diese Eingriffe führten zu einem Strafverfahren.
Ein direkter Zusammenhang zwischen den eingeschränkten Fähigkeiten des Arztes und den eingetretenen Komplikationen konnte nicht nachgewiesen werden. Neurologischen Gutachten zufolge war es dem Arzt aber objektiv unmöglich, eine dem Standard genügende medizinisch fachgerechte Operation vorzunehmen. Vor allem bei unvorhergesehenen Situationen sei der Patientenschutz nicht gewährleistet gewesen.
Die Voruntersuchungen wie auch die Aufklärungsgespräche führten die Ehefrau des Arztes oder angestellte Ärzte durch. Die Patientinnen und Patienten konnten also nicht erkennen, dass ihr Operateur gesundheitliche Probleme hatte und die Aufklärenden haben nicht darauf hingewiesen. Dass die Einwilligung der operierten Patientinnen und Patienten damit unwirksam war, darüber waren sich die Gerichte über die Instanzen hinweg einig.
Welche Reichweite hat die Aufklärungspflicht?
Muss ein Arzt, eine Ärztin also über die in der eigenen Person liegenden Risiken aufklären? Zu der Frage, inwieweit eine „operateurspezifische Aufklärungspflicht“ besteht, erklärt Prof. Dr. Brian Valerius, Unversität Passau, dass sich die Reichweite der Aufklärungspflicht an der Schwere und Häufigkeit der Risiken orientiert – welchen Ursprung diese Gefahren haben, also ob es sich um eingriffsspezifische oder operateursspezifische Risiken handelt, ist dabei nicht von Bedeutung.
Und auch wenn sich Risikoaufklärung immer auf einen kunstgerecht durchgeführten Eingriff bezieht, so Prof. Valerius, und über denkbare Behandlungsfehler keine Aufklärung verlangt wird: In diesem Fall geht es nicht um einen denkbaren Behandlungsfehler, sondern um ein erhöhtes Risiko für einen solchen.
Ein anderes Argument gegen die Notwendigkeit einer Aufklärung zu in der Person begründeten Risiken könnte in dem Selbstbestimmungsrecht der ausführenden Person liegen. „Im Konkreten bleibt zu ermitteln, ob dem Allgemeininteresse gegenüber dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit das größere Gewicht zukommt“, so Prof. Valerius. Der Gesundheit der Patientinnen und Patienten komme jedoch in vergleichbaren juristischen Abwägungen zweifelsohne ein sehr hoher Stellenwert zu.
Es spricht also vieles dafür, dass über gesundheitliche und mögliche andere in der Person der Behandelnden liegende Umstände, die sich auf die Risiken des Eingriffes auswirken können, aufzuklären ist. Aber wie weit geht diese Pflicht? Das Landgericht Kempten hatte formuliert, dass eine Aufklärungspflicht besteht, wenn Risiken in der behandelnden Person liegen, die die sachgerchte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung beeinflussen. Es müsse sicher ausgeschlossen sein, dass diese Risiken die Fähigkeiten zur sachgerechten Berufsausübung unberührt lassen.
Muss dann auch über die Tagesform aufgeklärt werden?
Nach dieser Formulierung müsste z. B. auch über Alkoholsucht informiert werden. Oder wenn die operierende Person schlecht geschlafen hat. „Die Aufklärungspflicht über operateursspezifische Risiken wäre also sehr umfassend, wenn sie nur bei sicher fehlenden Gefahren ausscheiden würde“, so Prof. Valerius.
Analog zu den Grundsätzen der Aufklärungspflicht dürfte dagegen auch bei diesen Risikogründen eine gewisse Häufigkeit und Schwere erforderlich sein, um Aufklärung notwendig werden zu lassen, so Prof. Valerius. Das sah das Bayerische Oberlandesgericht so und ging von einer Aufklärungspflicht aus, die sich „in besonders gelagerten Einzelfällen“ auch auf in der Person liegende Risiken erstrecken kann, etwa wenn eine körperliche Beeinträchtigung eine sachgerechte Durchführung des Eingriffs erkennbar gefährden kann.
Nicht aufklärungsbedürftig sind damit Umstände, die zwar im konkreten Fall die Qualität der Behandlung verringern könnten, aber einem fachärztlichen Standard nicht entgegenstehen – Schlafmangel, Tagesform oder private Probleme müssen also nicht auf den Tisch. Altersbedingte Beeinträchtigungen sind nur relevant, wenn dadurch Einschränkungen vorliegen wie z. B. Tremor. Aufklärungsbedürftig ist dann nicht das Alter, sondern die Beeinträchtigung. Gleiches dürfte auch für Alkohol- oder sonstige Abhängigkeiten gelten, so Prof. Valerius.
Medical-Tribune-Bericht