Delegation schafft mehr Freiräume Was Physician Assistants und Primary-Care-Managerinnen in Hausarztpraxen bewirken können

Praxismanagement , Team Autor: Medical Tribune

Die Teamversorgung soll angesichts des zunehmenden Hausärztemangels dafür sorgen, dass auch künftig in möglichst allen Regionen eine hochwertige hausärztliche Betreuung erhalten bleibt. Die Teamversorgung soll angesichts des zunehmenden Hausärztemangels dafür sorgen, dass auch künftig in möglichst allen Regionen eine hochwertige hausärztliche Betreuung erhalten bleibt. © VAKSMANV - stock.adobe.com

Die HzV setzt verstärkt auf Teamarbeit und Delegation. Neben Ärztinnen und Ärzten sind MFA und Verah sowie akademisierte nicht-ärztliche Gesundheitsfachberufe im Einsatz. Dazu Letzteren zählen vorrangig Physician Assistants und Primary-Care-Manager. 

In Baden-Württemberg haben die Vertragspartner des AOK-Hausarztprogramms im Juli 2023 die bundesweit erste Vergütungskomponente für die Versorgung durch akademische Gesundheitsberufe eingeführt. Für den Einsatz solcher Beschäftigten gibt es in der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) einen Zuschlag von 10 Euro auf die kontaktunabhängige Pauschale P1. Für das Studium stellen AOK, Hausärztinnen- und Hausärzteverband sowie Mediverbund 300 Stipendien à 5.000 Euro bereit. Im Sinne des Teamgedankens wurde zudem der Verah-Zuschlag von 5 auf 10 Euro pro Chronikerpauschale P3 verdoppelt.

Diese Teamversorgung soll angesichts des zunehmenden Hausärztemangels dafür sorgen, dass auch künftig in möglichst allen Regionen eine hochwertige hausärztliche Betreuung erhalten bleibt. Wie diese konkret aussehen kann, erproben die Vertragspartner seit dem 1. Juli für sechs Monate in zehn Hausarztpraxen mit dem Versorgungskonzept HÄPPI (Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell). In diesem Konzept ist akademisches nicht-ärztliches Praxispersonal fester Bestandteil des Teams. Es wird unter ärztlicher Supervision stärker in die Patientenversorgung eingebunden. Wir haben in zwei HÄPPI-Pilotpraxen nachgefragt, wie die Einbeziehung von akademischen Fachkräften klappt – in einer Einzelpraxis und in einem Praxisnetz.

PCM im Praxismanagement, PA im medizinischen Bereich

Im Praxisnetz mit drei Standorten in Staufen und Bad Krozingen von Dr. Gisa Weißgerber sind sowohl Primary-Care-Manager (PCM) als auch Physician Assistants (PA) im Einsatz. Das bringe viele Vorteile, erklärt die Hausärztin: „Auch wenn sich die Studieninhalte teilweise überschneiden, setzen wir unsere PCM schwerpunktmäßig im Praxismanagement ein, während unsere PA eher im medizinischen Bereich tätig ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich beide in der täglichen Praxis sehr gut ergänzen und uns Hausärztinnen und -ärzte in verschiedenen Bereichen entlasten.“ 

Dadurch könne die Praxis ein deutlich größeres Leistungsspektrum abdecken, mehr Patientinnen und Patienten versorgen und ein attraktiverer Arbeitgeber sein. Insbesondere in der Beratung und dort, wo Checklisten, Leitlinien oder Algorithmen die Basis sind, kann viel an die PA delegiert werden. „Beispiele sind die Einstellung von Menschen mit Diabetes und die Durchführung von Hausbesuchen bei den immer häufigeren schwer kranken Patientinnen und Patienten“, so Dr. Weißgerber. „Auch bei der Betreuung von rund 200 Patientinnen und Patienten in Pflegeheimen unterstützt uns unsere PA tatkräftig. Sie kann dort etwa einen Patienten mit Demenz und einer Lungenentzündung vor einer Einweisung in die Klinik verschonen, ohne dass immer eine Ärztin vor Ort sein muss.“ 

Der Weg zu PCM und PA

Primary Care Management – PCM

Die FOM (Hochschule für Ökonomie und Management) bietet einen berufsbegleitenden Studiengang an, der mit dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband entwickelt wurde. Voraussetzung ist eine abgeschlossene Berufsausbildung im Gesundheitswesen. Das Studium dauert sieben Semester, eine VERAH- bzw. NäPa-Weiterbildung wird mit zwei Semestern angerechnet. Schwerpunkte sind Tätigkeiten in der Patientenversorgung und im Praxismanagement.

Physician Assistant – PA

Angeboten wird das PA-Studium von staatlichen und privaten Hochschulen in Vollzeit oder berufsbegleitend. Teils mit allgemeiner Hochschulreife und ohne Vor-Ausbildung, teils nur nach abgeschlossener dreijähriger Ausbildung in einem Gesundheitsfachberuf. Das Bachelorstudium dauert in der Regel sieben Semester. Es vermittelt u. a. Know-how im medizinischen Bereich und im Gesundheitsmanagement.

Direkter Draht zu den Kranken kommt gut an

Deliah Reichenbach hat in der Klinik Gesundheits- und Kinderkrankenschwester gelernt und ihr PA-Studium teilweise in der Helios Klinik Müllheim und in der Praxis von Dr. Weißgerber absolviert. Sie bestätigt: „In unserer Praxis kann ich viele Aufgaben übernehmen und die Ärztinnen und Ärzte entlasten. Zum Beispiel stehe ich für Fragen der Patientinnen und Patienten zu Krankheitsbildern oder zu Laborwerten bereit. Dieser direkte Draht kommt gut an. Ich bin sehr froh, dass ich durch das Studium jetzt ein größeres Spektrum beherrsche und mehr Verantwortung übernehmen kann.“

Ihre Kollegin Nadine Wörner ergänzt: „Ich habe dieses Jahr mit dem PCM-Studium begonnen. Es befähigt mich dazu, Aufgaben zu übernehmen, die zwischen MFA und Ärztinnen und Ärzten angesiedelt sind.“ Ein wichtiges Thema sei z. B. die Arzneimittelkunde. „Hier kann ich durch individuelle Betreuung den Ärztinnen und Ärzten einiges an Beratungszeit abnehmen.“ Wörner betont auch: „Ein Studium macht nur Sinn, wenn die Ärztinnen und Ärzte voll hinter den angehenden und fertigen PCM stehen. Man muss die Chance bekommen, seine neu gewonnenen Kompetenzen zu praktizieren und sich zu entfalten. Dies bedarf eines enormen Vertrauensvorschusses. Die Ärztinnen und Ärzte verlassen sich darauf, dass jede PCM ihre Grenzen kennt und weiß, wann eine Ärztin oder ein Arzt involviert werden muss.“ Voraussetzung dafür sei eine enge Zusammenarbeit im Team, da so die Ärztinnen und Ärzte einen Eindruck erhalten, welche Aufgaben aufgrund fachlicher und persönlicher Eignung delegiert werden können.

In Donaueschingen hat es Praxisinhaber Karl Stuff geschafft, fast alle Patientinnen und Patienten ins Hausarztprogramm zu holen. „Die Zuschläge in der HzV in Baden-Württemberg, das Stipendium im AOK-Vertrag und die Pilotierung von HÄPPI bringen uns in den Hausarztpraxen in puncto Delegation unglaublich voran“, berichtet der Hausarzt. „Vier von elf MFA in meiner Praxis sind bereits Verah. Demnächst bekommen wir mit Frau Klausmann die erste PCM. Außerdem sind wir intensiv auf PA-Suche. Wir wollen dann zusätzliche Sprechstunden für Rücken, DMP und Infekte etablieren.“ Der Umfang der in der Praxis delegierten Aufgaben wächst von Jahr zu Jahr: Abrechnung, Blutabnahmen, Routinehausbesuche, Ausstellen von EKG-Schreiben sowie Attesten und Gutachten, die vom Arzt vorbereitet werden. 

Stuff ergänzt: „Wir haben gerade in ein modernes IT-System investiert, das App-Anbindungen und Video-Sprechstunden ermöglicht.“ Per App könnten Versicherte auf ihre Kartei zugreifen, Labordaten und Arztbriefe einsehen, Medikamente und Formulare bestellen sowie Termine vereinbaren. „Wir können jetzt eine viel höhere Anzahl von Patientinnen und Patienten versorgen als vor zehn Jahren.“

Größte Herausforderung ist die Abschlussarbeit

PCM Birgit Klausmann erläutert: „Das berufsbegleitende Studium ist eine Herausforderung, die aber durch ein gutes Zeitmanagement parallel zum Praxisbetrieb gut gemeistert werden kann. Rund 90 % des Studiums inklusive Klausuren absolviert man digital. Die größte Herausforderung ist das dreimonatige Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit.“ Mit dem Erlangen des akademischen Grades Bachelor of Science könnten Tätigkeiten wie Informations- und Beratungsgespräche, Untersuchungsvorbereitungen und das Impfmanagement übernommen werden. „Im Praxismanagement übernehme ich beispielsweise die Praxisorganisation, Personalplanung und Buchhaltung. Mein nächstes Ziel ist das Präventionsmanagement, ich möchte gerne die Patientinnen und Patienten zu Bewegung und klimabewusster Ernährung beraten. So kann ich zur Sicherung der hausärztlichen Primärversorgung beitragen. Durch die Delegationen habe ich mehr Verantwortung und mehr Entscheidungsfreiraum, was dem Berufsbild PCM einen hohen Stellenwert gibt.“