Fehlzeiten-Report 2023 Zukunftsfähige Unternehmen haben gesündere Beschäftigte
Seit 1999 gibt es den Fehlzeiten-Report der AOK-Gemeinschaft, erstellt vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO). Auch diesmal bietet der Report unter dem Titel „Zeitenwende – Arbeit gesund gestalten“ auf rund 800 Seiten interessante Informationen zu Fehlzeiten, Auswirkungen der aktuellen Krisen und gesellschaftlichen Umbrüche auf die Arbeitswelt.
Wie Dr. Johanna Baumgardt, WIdO-Fachbereichsleiterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement und Mitherausgeberin des Reports, berichtet, hat es 2022 Höchststände beim Krankenstand gegeben. Man könne aber davon ausgehen, dass es sich hierbei um pandemiebedingte Ausreißer handele und die Zahlen wieder zurückgingen. Höchstwahrscheinlich nicht von alleine zurückgehen würden jedoch die Zahlen zu psychischen Erkrankungen, so die Wissenschaftlerin. Hier sei seit Jahren ein stetiger Zuwachs zu beobachten.
Bei den Arbeitsunfähigkeitsfällen belegt der Report einen Anstieg um 20 % im Vergleich zum Jahr 2012. Arbeitnehmer in den Bereichen Gesundheits- und Sozialwesen sind besonders betroffen. Der Anteil der Arbeitsunfähigkeit aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen (ICD F00-099) an allen Erkrankungen beträgt hier 14 %, gefolgt von je 13 % im Bereich Banken/Versicherungen, Erziehung und Unterricht sowie im Bereich öffentliche Verwaltung/Sozialversicherung.
Organisationale Veränderung kann sich negativ auswirken
Anhand einer repräsentativen Befragung von 2.500 Erwerbstätigen zwischen 18 und 66 Jahren belegt der Report außerdem, dass sich organisationale Veränderungen im Unternehmen nachteilig auf die Gesundheit von Beschäftigten auswirken können. Das sei in der Pandemie deutlich spürbar gewesen. So können Veränderungen laut Dr. Baumgardt das Risiko erhöhen, an Depressionen, Angststörungen oder Burnout zu erkranken, und mit höherem Zynismus, häufigerem Absentismus und einer stärkeren psychischen Beanspruchung einhergehen.
Der Report zeigt zudem, dass Betriebe, die als zukunftsfähig bewertet werden, gesündere Beschäftigte haben. Zukunftsfähig heißt für die Beschäftigten, sie schätzen an ihrem Arbeitgeber besonders:
- Ein gutes Kooperationsklima: „In unserer Organisation herrscht ein ausgezeichneter Sinn für Teamwork und ein großes Gemeinschaftsgefühl.“
- Ein gutes Krisenmanagement: „Wenn in unserer Organisation ein Problem auftritt, ist Unterstützung kurzfristig verfügbar.“
- Kreativität und Verbesserungspotenzial: „Unsere Führungskraft fordert uns auf, Verbesserungsvorschläge zu machen.“
- Entscheidungsprozesse und Mitbestimmung: „In Entscheidungsprozesse, die meine Arbeit betreffen, werde ich miteinbezogen.“
Annähernd die Hälfte (44,6 %) der Befragten bescheinigt ihrem Betrieb oder ihrer Organisation eine ausgeprägte Zukunftsfähigkeit. Bewerten die Befragten die Zukunftsfähigkeit ihrer Organisation dagegen negativer, nehmen Beschwerden, die auf die Arbeit zurückgeführt werden, zu (siehe Grafik).
„Unternehmen, Krankenkassen und Politik sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, wie sie angesichts der neuen Rahmenbedingungen die mentale Gesundheit der Beschäftigten stärken können“, sagt Prof. em. Bernhard Badura, Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports. Homeoffice und mobiles Arbeiten könnten positive Effekte wie mehr Flexibilität und Arbeitszufriedenheit haben, aber auch negative Auswirkungen wie eine Entgrenzung der Arbeit. Führungskräfte sind aus seiner Sicht besonders gefordert, die mentale Gesundheit der Beschäftigten zu fördern und mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen. Traditionelle Rollenmuster seien unter den neuen Rahmenbedingungen nicht mehr zeitgemäß und sollten durch moderne Konzepte wie eine „bindungsorientierte Führung“ ersetzt werden.
Außerdem müssten Wünsche und Erwartungen der Beschäftigten stärker als bisher berücksichtigt werden – auch bei der Suche neuer Mitarbeitender: „Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht und die Beschäftigten können sich heute aussuchen, wo sie ihre Talente austoben.“ Er sieht auch zwischen Fachkräftemangel und psychischen Beeinträchtigungen einen engen Zusammenhang. „Man kann sagen, dass ein Teil des Fachkräftemangels hausgemacht ist, wenn immer mehr Menschen in einer Organisation zwar Gehalt beziehen, aber nicht zur Arbeit erscheinen oder nur geschwächt zur Arbeit erscheinen.“ Und was das Rentenziel 67 Jahre betrifft – wie solle man da hinkommen, ohne mehr in die Gesundheit der Beschäftigten zu investieren?
„Führungskräfte müssen sich um ihre Mitarbeitenden kümmern, müssen auf Gesundheit achten. Führungskräfte müssen aber auch auf sich selber achten“, mahnt Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.
Quelle: Pressekonferenz von AOK und WIdO