Heilmittelverordnungen Entspannung statt Regressgefahr?
Absatz 1b § 32 SGB V besagt: Verordnungen, die über die in der Richtlinie des G-BA geregelte orientierende Behandlungsmenge hinausgehen, bedürfen keiner Genehmigung (mehr) durch die Krankenkasse. Der abgeschaffte Genehmigungsvorbehalt verringert zwar zunächst nicht die Regressgefahr bei der Heilmittelverordnung, wohl aber den bürokratischen Aufwand für alle Beteiligten.
Eine Reduzierung der Regressgefahr bewirkt dagegen Absatz 11 des § 73 SGB V: „Stellt ein Vertragsarzt bei einem Versicherten eine Diagnose nach § 125a und die Indikation für ein Heilmittel, sind Auswahl und Dauer der Therapie sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten vom Heilmittelerbringer festzulegen.“ Der verordnende Arzt gibt nur noch die Diagnose bzw. Indikationsstellung für ein Heilmittel an (sog. Indikation mit erweiterter Versorgungsverantwortung).
Der G-BA kann über eine Ergänzung der Heilmittel-Richtlinie, indikationsbezogene orientierende Behandlungsmengen und die Zahl der Behandlungseinheiten je Verordnung festlegen. Die bisherige Komplexität und der hohe bürokratische Aufwand bei Wiederholungsverordnungen – insbesondere bezüglich der Unterscheidung zwischen Verordnungen inner- und außerhalb des Regelfalls – sind dadurch weniger geworden.
Hervorzuheben ist, dass sog. Blankoverordnungen nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen. Das ist logisch, da die Verantwortung für die Auswahl des Heilmittels sowie die Dauer und Frequenz der Heilmitteltherapie dem Heilmittelerbringer obliegt und der Vertragsarzt bei den betreffenden Indikationen grundsätzlich keine Möglichkeit hat, auf Art und Umfang der Heilmitteltherapie Einfluss zu nehmen.
Erfreulich ist auch eine Regelung im § 303 Absatz 4 SGB V, der durch einen Satz 4 ergänzt wurde. Demnach ist eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung von Diagnosedaten zulässig, wenn dies im Rahmen des Äußerungsrechtes und der Darlegungspflichten des Vertragsarztes vor den Prüfgremien der Wirtschaftlichkeitsprüfungen erfolgt. Ein Arzt kann also, falls er doch in ein Prüfverfahren gerät, nachträglich Diagnosen übermitteln.
Erfreulich ist auch, dass der G-BA jüngst die Diagnoseliste jener Erkrankungen ergänzt hat, bei denen gesetzlich Versicherte einen langfristigen Heilmittelbedarf haben. Diese Mittel gelten von vornherein als genehmigt. Eine erneute Verordnung ist nur alle zwölf Wochen nach ärztlicher Kontrolle erforderlich.
Diagnoseliste für langfristigen Heilmittelbedarf erweitert
So wurden u.a. weitere neuromuskuläre Erkrankungen sowie Mehrfachamputationen an Armen und Beinen in die Diagnoseliste aufgenommen. Heilmittel wie Physio- und/oder Ergotherapie können dann wiederholt für jeweils zwölf Wochen verordnet werden. Der Beschluss tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Die aktuelle Liste des langfristigen Heilmittel- und besonderen Verordnungsbedarfs kann eingesehen werden.
Der langfristige Heilmittelbedarf ist nicht mit dem „besonderen Versorgungsbedarf“ zu verwechseln. Eine diesbezügliche Liste vereinbaren KBV und GKV-Spitzenverband für Erkrankungen, bei denen eine intensivere Heilmitteltherapie erforderlich ist. Auch hier ist kein Antrag bei der Krankenkasse auf Genehmigung erforderlich. Versicherte mit dauerhaften funktionellen oder strukturellen Schädigungen, auf die keine der gelisteten Diagnosen zutrifft, können bei ihrer Krankenkasse die Genehmigung eines langfristigen Heilmittelbedarfs im Einzelfall beantragen.
Verordnungen des langfristigen Heilmittelbedarfs und des besonderen Verordnungsbedarfs werden allerdings im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung berücksichtigt und praktisch herausgenommen. Zu beachten ist, dass die Liste bei einigen Erkrankungen einschränkende Hinweise hinsichtlich Gesamtdauer der Behandlung oder der Detaildiagnose enthält – bei Überschreitungen ist eine Wirtschaftlichkeitsprüfung möglich.
Hilfreich ist an dieser Stelle eine seit Oktober 2021 zwischen KBV und GKV-Spitzenverband vereinbarte Anpassung bei den Anforderungen für die Heilmittelverordnungssoftware. Vertragsärzte erhalten seitdem in ihrem Praxisverwaltungssystem einen Hinweis, ob bei der Verordnung eine Abweichung von der Höchstmenge möglich ist. Wenn beispielsweise das Kriterium Akutereignis für einen besonderen Verordnungsbedarf nicht erfüllt ist, muss die Praxis wissen, dass in diesem Fall auch eine höhere Menge für bis zu zwölf Wochen verordnet werden kann. Einen solchen Hinweis gibt die Software.
Praxissoftware gibt Hinweise zu Verordnungsoptionen
Wenn die zur Verordnung eingegebenen Daten einen langfristigen Heilmittelbedarf begründen oder die ICD-10-Codes, ggf. auch die Altersgrenze, in Verbindung mit der Diagnosegruppe einem besonderen Verordnungsbedarf entsprechen, zeigt die Software folgenden Hinweis an, ohne den Workflow zu unterbrechen: „Die Kriterien, um von der Höchstmenge je Verordnung abzuweichen, sind erfüllt. Die Anzahl der Behandlungseinheiten kann in Abhängigkeit der Therapiefrequenz für eine Behandlungsdauer von bis zu zwölf Wochen bemessen werden.“
Medical-Tribune-Bericht