Off label als Regressgefahr Volle Summe bei unzulässigen Verordnungen

Verordnungen Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Das Bundesschiedsamt bestätigt die Rechtsauffassung der Kassen. Das Bundesschiedsamt bestätigt die Rechtsauffassung der Kassen. © klevo – stock.adobe.com

Die Begründung des Bundesschiedsamtes zu den Rahmenvorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106b Absatz 2 SGB V liegt vor. Sie bestätigt die erheblich gestiegene Gefahr von Einzelregressen bei der Arzneiverordnung, die vom Arzt in voller Höhe bezahlt werden müssen. Wie man sich davor schützen kann, lesen Sie hier.

Eigentlich soll die sog. Differenzschadensmethode nach § 3a Absatz 1 SGB V die Vertragsärzte bei der Verordnung von Arzneimitteln entlasten. Hierzu hat das Bundesschiedsamt nunmehr festgelegt: „Die Berücksichtigung einer Kostendifferenz ist dann vorzunehmen, wenn die in Rede stehende Verordnung unwirtschaftlich ist und nicht unzulässig und somit von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen ist. Ausgenommen von der Anwendung der Differenzschadensmethode sind ärztliche Verordnungen, die durch gesetzliche oder untergesetzliche Regelungen wie z.B. § 34 SGB V, Anlage 1 der Heilmittel-Richtlinie ausgeschlossen sind und für die die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 11 Arzneimittel-Richtlinie nicht vorliegen.“

Einzelregress ist ohne vorherige Beratung möglich

Was bedeutet das im Klartext? Im § 34 SGB V werden eine Reihe von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln ausgeschlossen, z.B. Produkte zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten einschließlich Schnupfenmittel, Schmerzmittel, hustendämpfende und -lösende Mittel, Mund- und Rachentherapeutika (ausgenommen bei Pilzinfektionen), Abführmittel und Produkte gegen Reisekrankheit.

Da dieser Ausschluss auch Präparate betrifft, die nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtig sind, werden im § 12 der Arzneimittel-Richtlinie des G-BA Mittel gemäß § 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V definiert, die trotzdem verordnungsfähig sind. Aus beiden Vorgaben resultieren die in der Anlage III der Arzneimittelrichtlinie des G-BA konkretisierten Verordnungsausschlüsse und deren Ausnahmen.

Dieser Teil der Arzneimittel-Richt­linie gewinnt durch den Schiedsspruch enorm an Bedeutung. Künftige Verordnungen sollten deshalb peinlich genau an dieser Vorgabe orientiert werden, da die Krankenkassen hier nun die Möglichkeit haben, ohne vorherige Beratung einen Einzelregress auszusprechen, der in voller Höhe beglichen werden muss.

Genehmigung der Kasse zum Off-Label-Use einholen

In seiner Begründung bestätigt nämlich das Bundesschiedsamt die vom GKV-Spitzenverband vertretene Auffassung. Die Kassenärzt­liche Bundesvereinigung bittet deshalb das Bundesgesundheitsministerium, Anpassungen bei den gesetzlichen Vorgaben vorzunehmen. Bis zu einer ggf. (positiven) Entscheidung gilt es, die folgenden Punkte seit dem 9. Juni 2022 genau zu beachten:

Verordnungen von Arzneimitteln im Off-Label-Use sollten unbedingt im Vorfeld der Krankenkasse zur Genehmigung vorgelegt werden. Ein Off-Label-Use ist gegeben, wenn ein Arzneimittel bei bestimmten Indikationen nicht zugelassen ist. In der Anlage VI der Arzneimittel-Richtlinie werden Wirkstoffe aufgelistet, die im Off-Label-Use „verordnungsfähig“ sind (Teil A der Anlage) oder als „nicht verordnungsfähig“ (Teil B) eingestuft werden.

Hier ist für Hausärzte Vorsicht geboten! (Auswahl)

Verordnungsausschluss für

Ausnahmen

Analgetika, Antiphlogistika oder Antirheumatika in fixer Kombination mit anderen Wirkstoffen

  • Kombinationen aus einem Analgetikum mit Naloxon

  • Kombinationen aus einem nicht-steroidalen Antirheumatikum (NSAR) mit einem Protonenpumpenhemmer (PPI) bei Patienten mit hohem gastroduodenalen Risiko, bei denen die Behandlung mit niedrigeren Dosen des NSAR und/oder PPI nicht ausreichend ist

  • Kombinationen aus einem nicht-steroidalen Antirheumatikum (NSAR) mit Lokalanästhetika zum Einbringen in eine Operationswunde

  • Kombinationen mit Mydriatika

Antazida in fixer Kombination mit anderen Wirkstoffen

Kombinationen verschiedener Antacida

Antidementiva, sofern der Versuch einer Therapie mit Monopräparaten über 12 Wochen Dauer (bei Cholin­esterasehemmern und Memantin über 24 Wochen Dauer) erfolglos geblieben ist

Nach erfolgreichem Therapieversuch ist eine Weiterverordnung zulässig.
Art, Dauer und Ergebnis des Einsatzes von Antidementiva sind zu
dokumentieren.

Antidiabetika, orale

Nach erfolglosem Therapieversuch mit nicht-medikamentösen Maßnahmen.
Die Anwendung anderer therapeutischer Maßnahmen ist zu dokumentieren.

Antidysmenorrhoika

  • Prostaglandinsynthetasehemmer bei Regelschmerzen

  • Systemische hormonelle Behandlung von Regelanomalien

Clopidogrel als Monotherapie zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit Herzinfarkt, mit ischämischem Schlaganfall oder mit nachgewiesener peripherer arterieller Verschlusskrankheit

Patienten mit

  • PAVK-bedingter Amputation oder Gefäßintervention oder Verordnungseinschränkung verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach dieser Richtlinie

  • diagnostisch eindeutig gesicherter typischer Claudicatio intermittens mit Schmerzrückbildung in < 10 min bei Ruhe oder

  • Acetylsalicylsäure-Unverträglichkeit, soweit wirtschaftliche Alternativen nicht eingesetzt werden können

Clopidogrel in Kombination mit Acetylsalicylsäure bei akutem Koronarsyndrom zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse

  • Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Strecken-Hebung während eines Behandlungszeitraums von bis zu 12 Monaten

  • Patienten mit Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung, für die eine Thrombolyse infrage kommt, während eines Behandlungszeitraums von bis zu 28 Tagen

durchblutungsfördernde Mittel

  • Prostanoide zur parenteralen Anwendung zur Therapie der PAVK im Stadium III/IV nach Fontaine in begründeten Einzelfällen

  • Naftidrofuryl bei PAVK im Stadium II nach Fontaine soweit ein Therapieversuch mit nicht-medikamentösen Maßnahmen erfolglos geblieben ist und bei einer schmerzfreien Gehstrecke unter 200 Meter.

Der Einsatz von durchblutungsfördernden Mitteln ist besonders zu begründen.

Gichtmittel

  • Behandlung des akuten Gichtanfalls,

  • bei chronischer Niereninsuffizienz

  • bei Hyperurikämie bei onkologischen Erkrankungen

  • soweit ein Therapieversuch mit nicht-medikamentösen Maßnahmen erfolglos geblieben ist

Hypnotika/Hypnogene oder Sedativa zur Behandlung von Schlafstörungen, Tranquillanzien

  • Kurzzeittherapie bis zu 4 Wochen

  • für eine länger als 4 Wochen dauernde Behandlung in medizinisch begründeten Einzelfällen

Bei Hypnotika/Hypnogenen, Sedativa

  • zur Behandlung eines gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus (Nicht-24-Stunden-Schlaf-Wach-Syndrom) bei vollständig blinden Personen

  • für die Behandlung von Schlafstörungen (Insomnie) bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 2 bis 18 Jahren mit Autismus-Spektrum-Störung und/oder Smith-Magenis-Syndrom, wenn Schlafhygienemaßnahmen unzureichend waren

Eine längerfristige Anwendung von Hypnotika/Hypnogenen oder Sedativa
ist besonders zu begründen.

Lipidsenker

  • bei bestehender vaskulärer Erkrankung (KHK, zerebro-vaskuläre Manifestation, PAVK)

  • bei hohem kardiovaskulärem Risiko (über 20 % Ereignisrate/10 Jahre auf der Basis der zur Verfügung stehenden Risikokalkulatoren)

  • bei Patienten mit genetisch bestätigtem familiärem Chylomikronämie-Syndrom und einem hohen Risiko für Pankreatitis.

Verordnungen in der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinien sollte man auf ihre Zulässigkeit prüfen. Eindeutig ist dort der Ausschluss von Azida, Amara, Anabolika, Antianaemika-Kombinationen, Antiarthrotika und Chondroprotektiva, Antiemetika in Kombination mit Antivertiginosa zur Behandlung von Übelkeit (Mittel gegen „Reisekrankheit“), Antikataraktika (Vorsicht bei der Übernahme von Verordnungen von Augenärzten), Arzneimitteln, die als „traditionelle pflanzliche“ Arzneimittel gelten, Externa bei traumatisch bedingten Schwellungen, Ödemen und stumpfen Traumata oder Rheumamittel (Analgetika/ Antiphlogistika/Antirheumatika) zur externen Anwendung („Rheumasalben“), Geriatrika, Arteriosklerosemittel, Hämorrhoidenmitteln in fixer Kombination mit anderen Wirkstoffen, zur lokalen Anwendung, Hustenmittel als fixe Kombinationen von Antitussiva oder Expektoranzien oder Mukolytika untereinander oder mit anderen Wirkstoffen, Migränemittel-Kombinationen, Muskelrelaxanzien in fixer Kombination mit anderen Wirkstoffen, Rhinologika in fixer Kombination mit gefäßaktiven Stoffen, Roboranzien, Tonika und appetitanregende Mittel, Venentherapeutika, Zellulartherapeutika und Organpräparaten oder Dipyridamol in Kombination mit Acetylsalicylsäure. Anders und zum Teil sehr kompliziert sind viele andere Arzneimittel betroffen, was mit einem hohen Dokumentationsaufwand verbunden ist.

Medical-Tribune-Bericht