Arzt kämpft gegen Regressforderungen – Diabetologen nicht mit Hausärzten vergleichen

Niederlassung und Kooperation Autor: Isabel Aulehla

Die Prüfungsstelle fordert seit 2011 jährliche Regressbeträge bei der Praxis Meixner. Die Prüfungsstelle fordert seit 2011 jährliche Regressbeträge bei der Praxis Meixner. © ivector – stock.adobe.com

Jedes Jahr aufs Neue gerät der Allgemeinarzt Michael Meixner in ­Regressverfahren. Dies liege an seiner Spezialisierung und an einer ­statistischen ­Ungerechtigkeit, meint er. Zahlen will er nicht.

Im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis werden viele Menschen mit chronischen Schmerzen oder Diabetes, aber auch Palliativpatienten an den Allgemeinmediziner ­Michael Meixner verwiesen. „Wer schwer erkrankt, wird zu mir geschickt“, berichtet der 70-Jährige. Er führt eine diabetologische Schwerpunktpraxis in Witzenhausen und hat unter anderem Zusatzbezeichnungen für Diabetologie, Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin erworben.

Doch gerade seine Spezialisierung werde ihm bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen immer wieder zum Verhängnis, erklärt der Arzt. Seit 2011 fordert die Prüfungsstelle Hessen Jahr für Jahr Regressbeträge. Allein für 2017 bis 2020 werden sich die Forderungen insgesamt auf rund 500.000 Euro belaufen, schätzt Meixner.

Der Mediziner kämpft juris­tisch gegen diese Forderungen und mobilisierte auch schon Politiker wie den grünen hessischen Sozialminister Kai Klose, den Landrat Stefan Reuss oder die SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Hausärztin Sabine Dittmar, um Stellungnahmen der KV Hessen einzufordern. Er empfindet es als ungerecht, dass diabetologische Schwerpunktpraxen und Schmerztherapeuten bei Richtgrößenprüfungen keine eigene statistische Vergleichsgruppe bilden. Stattdessen wird Meixner an der Fachgruppe der Allgemeinmediziner gemessen – im Jahr 2017 lag er beispielsweise mit Verordnungen von über 1.300.000 Euro um 194 % über dem Fachgruppenschnitt von 443.724 Euro.

Werden Praxisbesonderheiten wirklich adäquat erfasst?

Da die Prüfungsstelle Hessen zahlreiche Praxisbesonderheiten berücksichtigte, wurde Meixner „nur“ eine Überschreitung von 65 % vorgeworfen. Weil Überschreitungen bis 45 % geduldet werden, belief sich der Regress letzten Endes auf 20 % der Verordnungen – was rund 73.000 Euro entspricht. Meixner ist trotzdem nicht bereit, diesen Betrag zu zahlen und zieht im Herbst vor den Beschwerdeausschuss. Die gemeinsame Prüfungsstelle von KV und Kassen versuche zwar, seine Praxisbesonderheiten adäquat zu beziffern. Doch dies gelinge durch den Vergleich mit Haus­ärzten nur rudimentär. Zudem dürfe die Stelle nach eigenem Ermessen verfahren, argumentiert er.

Die KV Hessen betont in einem Schreiben an den Arzt, dass Praxisbesonderheiten sogar sehr umfänglich berücksichtigt wurden. So seien nicht nur die Mehrkosten der Arzneitherapie bei Diabetespatienten herausgerechnet worden, sondern unter anderem auch die Mehrkosten bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz oder Fettstoffwechselstörungen, die Kosten der Behandlung von Patien­ten mit antithrombotischen Mitteln oder kostenintensive Rezepturen bei Krebserkrankungen. Selbst die Behandlung einer Narkolepsie mit einem sehr teuren Medikament sei anerkannt worden, ebenso sämtliche Kosten der Schmerztherapie.

Nach Ansicht der KV konnte es trotz der umfassenden Berücksichtigung überhaupt nur zu einem Regress kommen, weil Meixner zu viele Analogpräparate verordne. Er liege mit einem Anteil von 18 % deutlich über den in der Fachgruppe üblichen 6 %. Der Arzt sieht medizinisch allerdings keine Alternative zu seinen Verordnungen und ärgert sich über die Haltung der KV. Die wichtigsten Kostenpunkte seien diabetologische Orginalpräparate, die nur auf dem deutschen Markt verfügbar seien und für die es noch keine Generika gebe, erklärt Meixner. Er betont, dass er sie gemäß der Nationalen Versorgungsleitlinie verordne. Selbst die KV empfehle in ihrer Zeitschrift über Pharmatherapie den Einsatz von GLP-1-Antagonisten. „Unter diesen Gesichtspunkten ist es wirklich gedankenlos und perfide, wenn der Vorstand der KV Hessen mir anempfiehlt, diese Medikamente nicht mehr zu verordnen, um meinem Regress für das laufende Jahr zu entgehen.“

Ihn stört nicht nur, dass er bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit Allgemeinärzten verglichen wird. Auch der Beschwerdeausschuss sei unausgewogen besetzt. „Da ist kein spezialisierter Kollege vertreten, das sind Allgemeinmediziner. Es gibt keinen Diabetologen, keinen Schmerztherapeuten, keinen Palliativmediziner. Das ganze System ist total verfahren.“ Eine wissenschaftliche Begründung des Verordnungsverhaltens werde vom Ausschuss nicht ernst genommen, auch zu einem kollegialen Gespräch komme es nicht. Stattdessen würde schlicht die Forderung der Prüfungsstelle durchgewinkt.

Zahl der Arzneimittelregresse geht seit Jahren zurück

Neben ihm seien weitere spezialisierte Hausärzte von Regressen betroffen, erzählt Meixner. Er habe von mehreren Fällen gehört. Doch auch hier widerspricht die KV: 2016 habe es lediglich acht Regresse im Bereich Richtgrößenprüfung Arzneimittel gegeben, 2017 habe sich diese Zahl aufgrund der neuen Durchschnittswertprüfung auf vier Regresse reduziert, im Jahr 2018 habe es nur noch einen gegeben. Die Praxis Meixner sei die einzige betroffene Diabetologische Schwerpunktpraxis gewesen.

Allerdings gebe es jährlich rund 7000 Verfahren wegen Verstößen gegen Richtlinien des G-BA oder gegen Regeln zum Sprechstundenbedarf, erklärt die KV in einem Schreiben an den Mediziner. Dadurch könnte der Eindruck entstanden sein, es gebe mehrere Regresse gegen Ärzte mit den Zusatzbezeichnungen Diabetologie oder Schmerztherapie.

An seinem Verordnungsverhalten ändert Meixner trotz der Regresse seit Jahren nichts. „Ich sehe es gar nicht ein“, betont er. Finanziell sei die Fortführung der Praxis angesichts der stetigen Zahlungsforderungen nicht sinnvoll, einem Nachfolger möchte er die Arbeit unter diesen Bedingungen auch nicht zumuten. Stattdessen entwickelte Meixner Ideen, wie er seine Tätigkeit produktiv fortsetzen könnte. Beispielsweise könnten KV und Prüfungsstelle ein Individualbudget festsetzen oder die Versorgung der Patienten durch ein Modell der integrierten Versorgung sicherstellen.

Die KV betrachtet beides als nicht realisierbar. Ein Individualbudget würde die Verordnungskosten des Fachgruppendurchschnitts plus der anerkannten Praxisbesonderheiten umfassen und dürfte nicht überschritten werden, heißt es in einem Schreiben an den Arzt. Dies erspare Regresse also nicht. Und ein inte­griertes Versorgungsmodell sei mit der Einzelpraxis nicht umsetzbar. Aufgeben will Meixner trotzdem nicht. „Mit Blick auf die zunehmende Prävalenz des Diabetes ist es geradezu unverantwortlich, dass für spezialisierte Ärzte keine valide Vergleichsgruppe geschaffen wird“, betont er.

Medical-Tribune-Bericht

Michael Meixner, Allgemeinmediziner in Witzenhausen Michael Meixner, Allgemeinmediziner in Witzenhausen © privat