Praxiskolumne Arztbesuch als Leistungskonsum

Kolumnen Autor: Dr. Ulrike Koock

Ob es beim Tasten irgendwo schmerze, frage ich ihn. „Nein, eigentlich tut gar nichts weh“, antwortet er. Ob es beim Tasten irgendwo schmerze, frage ich ihn. „Nein, eigentlich tut gar nichts weh“, antwortet er. © Goran - stock.adobe.com

Ein Pärchen in den Fünfzigern ist bei mir. Ihn sehe ich immer nur in Begleitung seiner Frau, aber das ist ja nicht unüblich in einer Hausarztpraxis. Sie ist häufig da, meistens mit Kleinigkeiten: der Blutdruck, eine Erkältung, mal eine Bronchitis. Sie gehört zu den Menschen, die nicht ohne wenigstens eine Blutentnahme oder ein Rezept aus der Praxis gehen möchten. Nun sitzen beide vor mir und reichen mir einen MRT-Befund des Ehemannes. Ausgestellt hatte ich die Überweisung nicht, sie kam von einem Facharzt.

Das Ehepaar war zuvor mehrfach bei mir, weil der Mann Halsschmerzen und eine zervikale Lymphadenopathie hatte. Nach einer Laboruntersuchung und zwei verschiedenen Antibiotika waren die Halsschmerzen gebessert und auch die Lymphknoten hatten sich zurückgebildet. Dennoch hatte er über persistierende Schmerzen im lateralen Halsbereich geklagt, die kämen und gingen. Im Ultraschall hatte ich lediglich einen diskret vergrößerten Lymphknoten von 1,5 cm mit einer erhaltenen Struktur gesehen und ihn auf seinen dringenden Wunsch hin zum HNO-Facharzt überwiesen. Dieser schickte den Mann schließlich zur MRT. Der Befund ergab: Nichts. Nur der bekannte leicht vergrößerte Lymphknoten, keine Zysten, keine Tumoren.

Genauso erkläre ich es dann auch: „Im MRT konnten ernste Krankheiten ausgeschlossen werden. Die Lymphknoten sind noch ganz leicht vergrößert, wahrscheinlich als Reaktion auf die Infektion vor einigen Wochen. Es kann mehrere Wochen dauern, bis sich Lymphknoten komplett zurückbilden.“ Die Frau spricht für ihn: „Aber er hat immer Schmerzen.“ Er schweigt. 

Ich frage: „Der HNO-Arzt hat doch die Überweisung zur MRT ausgestellt. Was sagte er denn dazu?“ „Dass da nichts ist. Wir waren gestern dort, er kann uns auch nicht helfen.“ Sie ist nicht unfreundlich, aber erscheint zunehmend ungeduldig. „Das kann ich laut diesem Befund bestätigen. Das MRT zeigt keine Auffälligkeiten.“ 

Ich stehe auf und palpiere abermals seine Halsregion. Keine Lymphknoten, keine Vergrößerung der Schilddrüse, keine Schwellung, keine Verhärtung. Ob es beim Tasten irgendwo schmerze, frage ich ihn. „Nein, eigentlich tut gar nichts weh“, antwortet er. Also eigentlich ist alles gut, aber uneigentlich nicht? Mehrere Arztbesuche beim Haus- und Facharzt, eine MRT und wieder ein Arztbesuch, und dennoch herrscht Unzufriedenheit bei den Anwesenden. „Dann beobachten wir das doch mal“, schlage ich vor.

Die Ehefrau grätscht in die Unterhaltung hinein: „Er hat schon zweimal Antibiotika genommen und es ist immer noch da. Vielleicht geben Sie einfach noch mal eines.“ Das Gespräch ist schwierig. „Ohne eine zugrunde liegende Infektion kann ich kein Antibiotikum geben.“ 

„Dann machen Sie ein Röntgen von der Lunge. Und untersuchen Sie den Bauch und nehmen Sie Blut ab. Da muss doch was sein!“ Ich werde langsam ungeduldig: „Wenn er dort noch geschwollene Lymphknoten hätte, dann würde ich doch mit Ihnen auf die Suche gehen. Aber im MRT sieht man sehr deutlich, dass alles okay ist und er sagt ja selbst auch, dass die Schmerzen weg sind.“ „Aber die kommen wieder!“ 

Ich gebe auf. Es gibt sie einfach, die konsumierenden Patienten. Ich geben ihm einen Termin für eine Blutentnahme und eine Sonografie des Abdomens. Die Röntgenaufnahme lehne ich aufgrund der Strahlenbelastung und der aktuell vollkommenen Beschwerdefreiheit ab.

Patientinnen und Patienten machen sich oft Sorgen, die wir mit unserem medizinischen Wissen nicht nachvollziehen können. Es ist unsere Aufgabe, ihnen die Sorgen zu nehmen. Aber manchmal kommen auch die geduldigsten unter uns an ihre Grenzen. In Deutschland gehen Menschen im Schnitt zehnmal pro Jahr zum Arzt, das waren die Zahlen bis 2021. Im Rahmen der nicht abflauenden Infektwellen der letzten Monate könnte die Zahl gestiegen sein. Wir als Ärztinnen und Ärzte können die Wünsche bald nicht mehr erfüllen.