Klein-Regresse: Warum stehen die Prüfgremien den Ärzten nicht besser bei?
Ein Kollege aus Nordrhein-Westfalen berichtete kürzlich (MT 42/2018), dass er 2014 einem Patienten einen Protonenpumpenhemmer (PPI) verordnete und nun dessen Kasse einen Regressantrag über 103 Euro gestellt hat. Grund dafür sei gewesen, dass in der vorliegenden Leistungsübersicht keine der zugelassenen Indikationen für die Verordnung erkennbar sei. Die Kasse folgt damit einer Strategie, die seit 2012 vermehrt von Krankenkassen angewendet wird, um Gelder bei Hausärzten einzukassieren.
Auch die Barmer startete vor einigen Jahren in Hessen eine solche Kampagne. Wegen einer „Rezeptflut“ bei PPI, die sich nach Auffassung der Kasse medizinisch nicht rechtfertigen ließ, wurden massenweise Einzelregressanträge gestellt. Weil keine Richtgrößenüberschreitungen vorlagen, wurde die Möglichkeit des Individualregresses genutzt und das mit dem Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot begründet.
Als Beanstandungsanlass wurden auch hier Verordnungen von PPI außerhalb der Zulassung, zur Prophylaxe von NSAR-assoziierten Ulcera ohne Risikofaktoren in der Anamnese sowie nach der Arzneimittelrichtlinie § 12 Abs. 11 bei der Diagnosestellung R12 (Sodbrennen), Hiatushernie (K44.9), Reizmagen und funktionelle Dyspepsie (K30) herangezogen.
Welcher Gedankengang dahinter steckt, liegt auf der Hand: Die Kassen gehen davon aus, dass sie bei vielen Regressen in kleinen Dimensionen auf weniger juristischen Widerstand treffen. Der Arzt kann zwar Klage beim Sozialgericht einreichen. Das kostet aber mehr an Anwalts- und Gerichtskosten, als es im Erfolgsfall einbringen würde. Darauf bauen die Kassen – zumal sie offenbar auf die rückhaltlose Unterstützung der Prüfgremien bauen können.
Gremien sind nicht parteiisch – leider auch nicht für uns
Und das ist auch das eigentliche Problem: die Prüfgremien in den einzelnen KVen. Sie sollen zwar unabhängig sein – das scheint aber de facto nicht der Fall zu sein. Den Vorsitz führt ein Jurist, der sich streng nach den Gesetzestexten richtet und, auch mangels medizinischer Kenntnisse, keine Kompromisse eingeht. Damit wäre noch nichts verloren, wenn diesen Job im Falle eines Falle die paritätisch von KV und Kassen gestellten Beisitzer übernehmen würden. Sie tun es aber nicht!
Welche Auswirkungen das hat, kann man an einem weiteren Beispiel aus Hessen sehen. Da hat die Prüfungsstelle einen Regressantrag der IKK Südwest über 72,09 Euro durchgewinkt. Er bezog sich auf die Verordnung des Antidepressiums Reboxetin und des Anticholinergikums Methantheliniumbromid. Begründet wurde der Antrag mit Verordnungsausschlüssen nach Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie bzw. aufgrund der unzulässigen Verordnung eines Arzneimittels mit fiktiver Zulassung. Das monierte Antidepressivum war zum Zeitpunkt der Rezeptierung von der Verordnung zulasten der GKV ausgeschlossen, weil der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Bewertung keinen Beleg finden konnte, dass die Behandlung gegenüber einem Placebo mit einem Nutzen verbunden ist – das gibt es leider immer wieder und muss anerkannt werden.
Anders die Ausgangslage bei der Verordnung von Methantheliniumbromid. Hier war die Verlängerung der Zulassung im April 2005 versagt worden, sodass es zum Zeitpunkt der Verordnung als „fiktiv“ zugelassen galt – und weiterhin verkehrsfähig blieb. Gegen die versagte Nachzulassung waren Gerichtsverfahren anhängig. Diese bewirkten eine aufschiebende Wirkung im Verfahrensrecht und nicht hinsichtlich der Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels. Eine Konsequenz bezüglich der Verordnungsfähigkeit ergab sich nach Auffassung der Prüfungsstelle Hessen aus den Klageverfahren nicht: Die Verordnung des Präparats zulasten der GKV sei unwirtschaftlich und somit nicht zulässig gewesen. Seit November 2015 gebe es zwar eine Zulassung des Präparats durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Gestalt einer Indikationserweiterung auf Erwachsene und damit die Möglichkeit einer Verordnung zulasten der GKV. Da die Verordnung aber bereits im Juni 2014 erfolgte, sei der Regress gerechtfertigt.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das Präparat hatte vorübergehend keine Zulassung, der Hersteller hat dagegen erfolgreich geklagt, die Kasse darf den Regress aber kassieren, weil die Verordnung während der Klagephase erfolgte!
KV-Juristen in den Prüfstellen: Vertretet unsere Interesssen!
Da sitzen also bei den Kassen Männlein oder Weiblein, die filigran Verordnungen auf formale Fehler prüfen, völlig losgelöst von jeder medizinischen Relevanz. Und ihnen ist bewusst, dass die Einzelregresse so niedrig sind, dass kein Hausarzt klagen wird.
Gut zu wissen, ist, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht mehr möglich ist, wenn seit Ende des Verordnungsquartals vier Jahre vergangen sind. So urteilte das Bundessozialgericht (Az.: B 6 KA 27/11 R und B 6 KA 45/11 R). Aber auch das hilft nicht immer. Denn die Ausschlussfrist wird durch eine Mitteilung über die beabsichtigte Prüfung gehemmt. Das nutzen die Juristen in den Prüfungsstellen und verschicken rechtzeitig solche Mitteilungen, wohlwissend, dass offen ist, wann genau diese Frist zu laufen beginnt.
Bei Honorarprüfungen hat das BSG bisher auf den Tag nach der Bekanntgabe des für den geprüften Abrechnungszeitraum maßgeblichen Honorarbescheids abgestellt (Az.: B 6 KA 63/04 R). Später haben die Bundesrichter aber wieder offengelassen, ob sie an dieser Sichtweise festhalten wollen (Az.: B 6 KA 40/05 R). Entscheidend ist damit leider weiterhin der Individualfall. Und hier könnten die Juristen der KV – die sitzen nämlich in den Prüfungsstellen – die Interessen ihrer Kundschaft vertreten. Dann müssten nämlich die Kassen klagen!