Lungenkrebs 71-Jähriger mit frühem NSCLC, Depression und kognitiver Einschränkung wollte Heilung ablehnen

DGHO 2022 Autor: Friederike Klein

Expert:innen diskutierten, was zu tun ist, wenn Krebspatient:innen eine Therapie z.B. aufgrund kognitiver Einschränkung oder Depression ablehnen. (Agenturfoto) Expert:innen diskutierten, was zu tun ist, wenn Krebspatient:innen eine Therapie z.B. aufgrund kognitiver Einschränkung oder Depression ablehnen. (Agenturfoto) © deagreez – stock.adobe.com

Was tun, wenn ein:e Krebspatient:in eine Therapie ablehnt und sich die Fronten zwischen allen Beteiligten verhärten? Expert:innen diskutierten dies am Beispiel eines 71-jährigen Mannes, der nicht nur an einem NSCLC, sondern auch an einer Depression und kognitiven Einschränkung litt.

Je komplexer der Eingriff ist, umso höher sind die Anforderungen, die an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind, betonte Prof. Dr. ­Maike de Wit vom Vivantes-Klinikum Neukölln. Die partizipative Entscheidungsfindung kann im Alltag zum Problem werden, z.B. bei einer leichten kognitiven Einschränkung. Die behandelnden Ärzt:innen müssen oft unter Zeitdruck nach der klinischen Einschätzung über die Einwilligungsfähigkeit entscheiden. Die Zeit für eine Überprüfung der Patient:innenvoraussetzungen oder eine einem Demenzerkrankten angepasste Kommunikation fehlt ebenso wie die Voraussetzungen für ein ausgiebiges geriatrisches Assessment. Aber es bleibt die Notwendigkeit zur Einzelfallprüfung, so die Referentin.

Dass sich das lohnt, zeigt das Beispiel eines 71-jährigen Lungenkrebs­patienten, der bislang die Diagnose einer COPD Grad 2 ohne Sauerstoffbedarf aufwies. Wegen zunehmender Luftnot brachte seine Tochter ihn ins Krankenhaus. Es wurde eine exazerbierte COPD mit Sauerstoffbedarf diagnostiziert und der Mann erhielt Steroide und eine Antibiose. Allerdings zeigte der Röntgenthorax einen verdächtigen Befund.

Die Biopsie war eigentlich ohne Alternative, erinnerte sich Prof. de Wit. Der Mann wollte aber nur sterben. Er hatte seine demente Ehefrau viele Jahre zu Hause gepflegt und war durch eine abnehmende Leistungsfähigkeit zunehmend damit überfordert. Seine Frau musste zuletzt in ein Pflegeheim und erkannte ihn nicht mehr. Er selbst konnte sich ein Leben mit Krebs, Therapie und Pflegebedarf nicht vorstellen.

Die Argumente des Patienten erschienen überzeugend und konsis­tent. Er lehnte den diagnostischen Eingriff ab und kein Gespräch stimmte ihn um. Bereits zu Hause hatte er sich konsequent medizinischer Hilfe verweigert. Er machte seiner Tochter, die bereits als Betreuerin eingesetzt war, große Vorwürfe wegen der Bevormundung und Einweisung ins Krankenhaus. Für den Fall von Eingriffen oder dem Progress der Erkrankung hatte er den zeitnahen Suizid angekündigt.

Depression und kognitive Einschränkung stehen Krebstherapie im Weg

Ein psychiatrisches Konsil ergab eine mittelgradige kognitive Einschränkung, aber kein wahnhaftes Denken. Der Mann war in der Lage, Konsequenzen seines Handelns zu überblicken. Dennoch wurde ihm bescheinigt, nicht einwilligungsfähig zu sein – er litt unter einer Depression mit ausgeprägter Antriebsarmut, eingeengt auf den Todeswunsch und Suizidgedanken seit dem Auszug seiner Ehefrau. Das daraufhin eingeschaltete Gericht, der eingesetzte gesetzliche Betreuer und die Tochter forderten die Durchführung von Diagnostik und gegebenenfalls Therapie gegen den erklärten Patientenwillen. Pneumologe, Onkologin und betreuende Pflegekraft hatten dagegen starke Bedenken.

In dieser verfahrenen Situation wurde die Ethikkommission eingeschaltet, berichtete Prof. de Wit. In einer Ethikfallberatung mit gerichtlich bestelltem Betreuer, Pflegekraft, Richterin und betreuenden Ärzt:innen, aber ohne Tochter und Patient wurde eine aus Sicht aller Beteiligten tragfähige Lösung gesucht.

Der entscheidende Schritt in diesem Fall war die Verlegung in eine psychiatrische Klinik, wo die Depression des Mannes behandelt wurde. Dort begann er bereits nach drei Tagen über Diagnostik und Therapie nachzudenken und offener für Gespräche zu werden. Nach 18 Tagen konnte er in die Pneumologie zurückverlegt werden, blickte wieder nach vorne und wünschte Auskunft über die Diagnostik, die möglichen Komplikationen und gegebenenfalls resultierende Therapiemöglichkeiten. Die behandelnden Ärzt:innen konnten eine Lungenbiopsie entnehmen. Sie ergab einen Tumor im Stadium Ib, der kurativ reseziert wurde. Der postoperative Verlauf war komplikationslos, eine adjuvante Therapie nicht nötig und der Mann ist jetzt in der Nachsorge.

Quelle:
De Wit M. Jahrestagung 2022 der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie; Vortrag V768: „Therapiezielfindung bei Patienten mit kognitiven Einschränkungen“