Selbstinduzierte epileptische Anfälle Anfall auf Knopfdruck
Der erste Fall mit selbstinduzierten epileptischen Anfällen wurde im Jahr 1827 beschrieben. Dabei handelte es sich um einen Patienten, der bei sich selbst Halbseitenkrämpfe mit Visusverlust auslöste, ohne dabei das Bewusstsein zu verlieren. Dazu blickte er, scheinbar willentlich, ins Sonnenlicht oder berührte seine Schläfe.
Die Prävalenz dieses sogenannten Selbstinduktionsverhaltens wird heute auf etwa 1 % der Menschen mit Epilepsie geschätzt. Gut ein Viertel aller Patienten mit photosensitiver Epilepsie dürfte betroffen sein. Oftmals werden die Anfälle über visuelle Reize ausgelöst, denen sich die Betroffenen gezielt aussetzen, etwa:
- Augenschluss mit forcierter Aufwärtsbewegung der Augen
- bestimmte Handbewegungen vor den Augen
- Blinzeln, etwa beim Blick in die Sonne
- Kopfwackeln, -nicken und -schütteln
- Annähern an den Fernseher auf weniger als 1 m, mitunter weniger als 30 cm
- Fixieren einer weißen Wand, Betrachten bestimmter Muster
- Starren auf eine Lichtquelle, ein Fenster oder in die Sonne
Ungewöhnlichere Trigger sind heißes Wasser, das über den Kopf gegossen wird, Hyperventilieren oder Musik. Gelegentlich dient auch das Imitieren der Bewegungen eines Anfalls sowie das eigenmächtige Reduzieren oder vollständige Absetzen der antikonvulsiven Medikation den Betroffenen regelmäßig als effektiver Auslöser. Scheinbar gezielt induzieren sie dadurch:
- generalisierte tonisch-klonische Anfälle
- Absencen, mit und ohne Myoklonien
- Myoklonien
- fokale Anfälle mit gestörter Bewusstheit
Es ist fraglich, ob die Patienten die Anfälle tatsächlich mit Absicht und geplant auslösen. Nach eigenen Angaben empfinden viele von ihnen das Geschehen als unwillkürlichen Vorgang und bei einigen dieser Menschen finden sich Hinweise auf zwanghaftes Verhalten. So erklärte ein Patient, sein Tun sei ihm zwar bewusst, er könne es aber nicht unterdrücken. Viele Betroffene schämen sich wegen ihrer Eigenart und sprechen gar nicht oder nur sehr zögerlich darüber.
Äußerlich sichtbares Glücksgefühl zu erkennen
Mitunter scheinen die so provozierten Anfälle mit angenehmen Empfindungen im Sinne von Ekstase oder mit einer orgasmischen Aura einherzugehen. So beschrieb ein elfjähriger Junge den Zustand als angenehmes Gefühl des Gleichgewichts, wie man es wohl beim Fallschirmspringen im freien Fall empfinden müsse. Vielfach lässt sich zudem ein äußerlich sichtbares Glücksgefühl während der Anfälle erkennen. Es sind Fälle beschrieben, bei denen die selbstinduzierten Anfälle mit Masturbation verbunden waren.
Möglicherweise versuchen die Betroffenen, innere Spannungen zu lösen oder etwa die Symptomatik einer Depression abzumildern. Hierfür spricht, das sich die Induktionsmanöver nicht selten im Kontext mit negativen Emotionen und psychosozialem Stress beobachten lassen, etwa bei drohender Scheidung der Eltern, während belastender Situationen in der Schule oder im Zuge einer schizophreniformen Psychose.
Möglicherweise ist das Selbstinduktionsverhalten ein Bestandteil des Anfallgeschehens selbst. Genetische Aspekte dürften eine Rolle spielen, ebenso eine Intelligenzminderung, wie sie bei bestimmten Formen der Epilepsie auftritt.
Die Behandlung gestaltet sich in der Regel schwierig. Bei einigen Patienten ließen sich mit Verhaltenstherapien, teils mit Entspannungstechniken positive Effekte erzielen. Auch das vergleichsweise neue Konzept der Selbstwirksamkeit könnte ein sinnvoller Ansatz sein, da es den Betroffenen vor Augen führt, dass sie ihren Anfällen aktiv entgegenwirken können.
Photosensible Patienten können darüber hinaus von Sonnenbrillen oder speziell gefärbten Kontaktlinsen profitieren. Daneben werden verschiedene Hilfsmittel erprobt, die die Trigger ausschalten sollen, etwa kreuzpolarisierende Brillen bei fernseherinduzierten Anfällen oder spezielle Scheiben, die vor den Bildschirm montiert werden.
Unter den pharmakologischen Therapien scheinen Clonazepam und die Kombination von Fenfluramin mit Valproat am vielversprechendsten zu sein. Der Behandlungserfolg steht und fällt allerdings mit der Veränderungsbereitschaft der Patienten.
Quelle: Rösche J et al. Fortschr Neurol Psychiatr 2022; 90: 147-162; DOI: 10.1055/a-1484-0118