Auch ein blutendes Ulkus muss nicht sofort endoskopiert werden

Autor: Michael Brendler

Mit der Endoskopie beim Ulkus lieber eilen oder verweilen? Mit der Endoskopie beim Ulkus lieber eilen oder verweilen? © Robert Poorten – stock.adobe.com

Bisher ist man davon ausgegangen, dass akute obere gastrointestinale Blutungen so schnell wie möglich endoskopiert werden sollten. Neue Studienergebnisse weisen jetzt darauf hin, dass es sich durchaus lohnen kann, damit etwas zu warten.

Bei jedem zehnten hospitalisierten Patienten hat eine akute obere gastrointestinale Blutung tödliche Konsequenzen. Viele Leitlinien haben bislang empfohlen, zumindest kritische Patienten so früh wie möglich zu endoskopieren, auf jeden Fall aber innerhalb der ersten 24 Stunden.

Nun weist eine aktuelle Studie darauf hin, dass man den Betroffenen damit eventuell keinen Gefallen tut. Professor Dr. James­ Lau­ von der Chinese University in Hongkong und seine Kollegen waren bislang ebenfalls davon ausgegangen, dass ein Patient mit einer oberen gast­rointestinalen Blutung davon profitiert, wenn das Endoskop so früh wie möglich zum Einsatz kommt. Zumindest galt das ihrer Meinung nach für diejenigen Patienten, die mit einem Glasgow-Blatchford-Score von zwölf oder mehr (maximale Punktzahl: 23) besonders gefährdet sind, weiter zu bluten oder sogar zu sterben.

Um diese These zu belegen, haben sie 516 solcher Patienten randomisiert zwei Gruppen zugeordnet. Die einen wurden im Schnitt bereits zehn Stunden nach Eintreffen in der Ambulanz der Endoskopie zugeführt. Die anderen mussten durchschnittlich rund 25 Stunden auf die Intervention warten.

Mortalität und Rezidivrisiko waren deutlich niedriger

Allerdings hatten nicht die schnell behandelten Patienten die bessere Chance, die kommenden 30 Tage zu überleben: Der Sterberate nach sehr früher Endoskopie von 8,9 % stand ein Wert von 6,6 % in der Gruppe mit späterer Endoskopie gegenüber. Ähnliches galt für das Nachblutungsrisiko in den folgenden 30 Tagen (10,9 % vs. 7,8 %) sowie für das Vorhandensein von aktiv blutenden Geschwüren während der Untersuchung (66,4 % vs. 47,8 %).

Das letztgenannte Studienergebnis spricht dafür, dass die Patienten von der zwischenzeitlichen Gabe von Medikamenten wie Antazida profitieren können, schreiben die Autoren. Eine nächtliche Säurehemmung vor der Endoskopie reduziere offensichtlich die Dringlichkeit einer Therapie.

Das gilt wahrscheinlich nicht nur für die Patienten mit hohem Risiko. Die Experten betonen, dass die Ergebnisse auch für die vielen anderen Fälle von Bedeutung sind, bei denen man bislang durch frühzeitige Eingriffe versuchte, teure Liegezeiten zu verkürzen – allerdings nur, sofern die Betroffenen hämodynamisch stabil sind und keine schweren Begleiterkrankungen vorliegen.

Quelle: Lau JYW et al. N Engl J Med 2020; 382: 1299-1308; DOI: 10.1056/NEJMoa1912484