Ausmaß der Hirnschädigung nach einer Reanimation abschätzen

Autor: Maria Weiß

Trotz erfolgreicher Wiederbelebung nach einem Herzstillstand ist die neurologische Prognose meist noch ungewiss. Trotz erfolgreicher Wiederbelebung nach einem Herzstillstand ist die neurologische Prognose meist noch ungewiss. © iStock/gorodenkoff

Werden Patienten nach einem Herzstillstand wiederbelebt und bewusstlos eingeliefert, sind ihre Überlebenschancen heute so gut wie nie zuvor. Herausforderung bleibt aber die Prognoseabschätzung nach dem initialen Koma.

Mit künstlicher Beatmung, Sedierung und Abkühlung auf 33–36°C für 24 Stunden lassen sich heute viele Patienten nach einem Herzstillstand über die ersten kritischen Tage bringen. Dann aber steht man schon bald vor dem Problem, das Ausmaß der erfolgten Hirnschädigung und damit die Prognose des Patienten abzuschätzen, schreiben Professor Dr. Tobias Cronberg vom Department of Clinical Science, Neurology, am Skane University Hospital in Lund und Kollegen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Patienten nach Absetzen der Sedativa nicht spontan wieder aufwachen und man möglicherweise vor der Entscheidung steht, die lebenserhaltenden Apparate aufgrund der schlechten neurologischen Prognose abzuschalten.

Um das Outcome des Patienten möglichst zuverlässig abzuschätzen, gibt es heute eine ganze Reihe validierter Werkzeuge, die möglichst nach Abklingen der Sedierung zum Einsatz kommen sollten. Dazu gehören nach Auffassung der Kollegen:  

Klinische Untersuchung

Das bilaterale Fehlen des Pupillenreflexes 72 Stunden nach dem Herzstillstand spricht mit einer hohen Spezifität für ein sehr schlechtes Outcome. Das trifft auch für einen anhaltenden anoxischen Myoklonus (> 30 min) zu, etwa jeder Zehnte bildet hier aber eine Ausnahme.  

Somatosensorisch-evozierte Potenziale (SSEP)

Das bilaterale Fehlen der cortikalen SSEP nach Stimulation des N. medianus (sogenannte N20-Antwort) geht ebenfalls sehr robust mit einer schlechten Prognose einher, die Spezifität liegt bei mehr als 99 %. Die Sensitivität der Untersuchung ist allerdings mit 43-49 % gering.  

Elektroenzephalogramm

Das EEG gilt als Meilenstein für die Einschätzung einer Hirnschädigung, zumal es schon nach 12–24 Stunden sowie unter dem Einfluss von Sedativa und Kühlung eine Beurteilung erlaubt. Hochmaligne Muster weisen mit hoher Spezifität auf einen ungünstigen Verlauf hin – die Rückkehr der kontinuierlichen Basisaktivität ist ein gutes Zeichen. Schwieriger fällt die Interpretation epileptischer Aktivität. Auch bei ihr scheint die Prognose eher mau, sie lässt sich aber möglicherweise durch eine antiepileptische Therapie noch positiv beeinflussen. Ausreichende Evidenz gibt es dafür aber nicht.

Neurologische Bildgebung

Das CT kann anfangs noch normal sein, jedoch ein frühes, schweres Hirnödem als möglichen Beginn des Hirntodes aufdecken. Das MRT hat 3–5 Tage nach dem Herzstillstand die größte Aussagekraft. Ein vermindertes Verhältnis von grauer zu weißer Substanz zeigt schlechte Chancen an – insgesamt geringe MRT-Veränderungen gehen mit einem guten Outcome einher.  

Biomarker im Blut

Der Anstieg der neuronenspezifischen Enolase (NSE) korreliert mit einer ungünstigen Prognose. Niedrige Spiegel sprechen eher gegen eine schwere hypoxisch-ischämische Hirnschädigung.

Wann macht man was?

Größte Aussagekraft hat die Kombination aller genannten Maßnahmen. Die Autoren empfehlen von Anfang an tägliche neurologische Untersuchungen, ein kontinuierliches Routine-EEG in den ersten 24 Stunden und tägliche NSE-Bestimmungen. Nach 24–36 Stunden werden die Sedativa in der Regel abgesetzt. Nicht wenige Patienten wachen dann spontan auf und benötigen keine zusätzliche Abklärung mehr. Bei den weiterhin komatösen Patienten sind ergänzende Tests und eine Bildgebung erforderlich. Vermeiden muss man eine zu frühe Prognoseeinschätzung, auch wenn die Angehörigen entsprechend Druck machen.

Auch wenn Patienten alles gut überstanden haben und nach der Rehabilitationsmaßnahme wieder nach Hause können, sollten sie noch weiter betreut werden. Denn häufig kommt es im späteren Verlauf zu Problemen wie kognitive Einschränkungen, Fatigue, emotionale Instabilität und Angststörungen. Die Ursache des Herzstillstands muss man natürlich ebenfalls abklären und falls möglich behandeln. Insgesamt ist das Outcome der Überlebenden gar nicht so schlecht: Nur 1–10 % müssen dauerhaft in einer Pflegeeinrichtung betreut werden. 70–85 % der zuvor berufstätigen Patienten sind in der Lage, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.

Quelle: Cronberg T et al. Lancet Neurol 2020; 19: 611-622; DOI: 10.1016/S1474-4422(20)30117-4