
Vom Fluch und Segen einer Diagnose Bei der adulten ADHS gilt es, die Stärken zu erkennen und zu nutzen

Während manche Fachleute sie noch als Erfindung der Pharmaindustrie abtun, rennen viele scheinbar Betroffene anderen die Praxen ein, um sich diagnostizieren zu lassen: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter boomt regelrecht. Dass zu einer Verdachtsdiagnose aber deutlich mehr gehört als Phasen der Unkonzentriertheit, beschreibt Dr. Frank Matthias Rudolph, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie aus Boppard, im Podcast O-Ton Allgemeinmedizin.
Hyperaktiv als Kind, innerlich unruhig als Erwachsener
Der Name ist Programm: Menschen mit ADHS zeigen ein unaufmerksames und impulsives Verhalten. Das führt zu Störungen in den sozialen Bezugssystemen, der Wahrnehmung und im Leistungsbereich von Schule und Beruf. Während in der Kindheit oft eine nach außen deutlich wahrnehmbare Hyperaktivität dominiert, wandelt sich diese im Erwachsenenalter zu einer innere Unruhe. „Ich glaube, dass das auch der Grund war, warum man es so lange übersehen hat“, schlussfolgert Dr. Rudolph.
Der Experte beschreibt, wie sich die Symptome auf alle Lebensbereiche auswirken und welche Belastungen das mit sich bringt – auch für die Mitmenschen. Spannend ist zudem zu hören, warum sich die ADHS bei Frauen oft anders zeigt als bei Männern.
Die Erkrankung bringt jedoch ebenso positive Eigenschaften hervor. Dazu gehören unter anderem Kreativität, Flexibilität und hohe innere Motivation. Dr. Rudolph sieht deshalb seine Aufgabe darin, den Betroffenen diese und viele weitere Stärken aufzuzeigen und ihnen dabei zu helfen, die Nische zu finden, in der diese zur Geltung kommen.
Was können Hausärztinnen und Hausärzte als erste Anlaufstellen zu einer Diagnosestellung beitragen? „Der wichtigste Schritt ist tatsächlich, aus dem ganzen Gewusel, das täglich auf sie einprasselt, daran zu denken und den Verdacht zu äußern“, so Dr. Rudolph. Bestimmte Auffälligkeiten können Hinweise auf eine bislang unerkannte ADHS geben. So zeigen einige Betroffene ein hochriskantes Verhalten bei Freizeitaktivitäten (z. B. Extremsportarten) und Sexualität (z. B. ungeschützter Geschlechtsverkehr).
ADHS erschwert oft Therapie somatischer Erkrankungen
Aber auch das Management klassischer somatischer Erkrankungen bringt häufig Probleme mit sich, weil z. B. Medikamente und Termine vergessen werden. „Wenn Sie einen Patienten haben, der im Prinzip von der Intelligenz, von der Bildung her in der Lage wäre, seine chronische Krankheit, zum Beispiel einen Diabetes, gut zu managen, aber es nicht hinkriegt, dann könnte es vielleicht an einer unerkannten und damit unbehandelten ADHS liegen. Und wenn ich diesen Patienten einer gezielten ADHS-Diagnostik und -Behandlung zuführe, dann wird plötzlich die Grunderkrankung besser.“
Hausärztinnen und Hausärzte können bei Verdacht auf ADHS direkt in der Praxis erste niedrigschwellige und aussagekräftige Schritte zu einer Diagnose einleiten. Wie diese aussehen und wie sich danach die Therapie gestaltet, erfahren Sie in der aktuellen Podcastfolge von O-Ton Allgemeinmedizin.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
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