Vitamin-D-Spiegel Dem Screening-Hype Einhalt gebieten

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Vitamin-D-Tests sind in den meisten Fällen nicht indiziert, werden aber trotzdem übermäßig oft durchgeführt. Vitamin-D-Tests sind in den meisten Fällen nicht indiziert, werden aber trotzdem übermäßig oft durchgeführt. © angellodeco – stock.adobe.com

Wie erklärt man einem Patienten, dass es unnötig ist, den Vitamin-D-Spiegel routinemäßig zu bestimmen? Ohne bestehende Indikation scheint das Screening keinen Vorteil zu bringen. Und wer aufgrund genereller Empfehlungen z.B. im Winter substituiert, braucht dafür keinen individuell berechneten Blutwert, argumentieren Ärzte.

Die routinemäßige Durchführung von Vitamin-D-Tests hat in den letzten Jahren zugenommen. Dies liegt u.a. an der verstärkten Nachfrage der Patienten, der gesteigerten medialen Aufmerksamkeit und nicht zuletzt an Studien, die Zusammenhänge von Vitamin D mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen untersuchen – inklusive schwerer COVID-19.

Die Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels hat unter bestimmten Umständen ihren festen Platz (s. Kasten unten). Doch werden Tests häufig auch ohne Vorliegen einer klinischen Indikation angefordert. Im Vereinigten Königreich, den USA, Kanada und Australien deuten Untersuchungen darauf hin, dass eventuell 25 bis 75 % der Tests verzichtbar wären. Das bindet unnötig wertvolle Ressourcen, warnen Dr. Christopher­ McChesney von der Temetry Faculty of Medicine, University of Toronto, und Kollegen.

Indikationen für die Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels

  • Rachitis
  • Osteomalazie
  • Osteoporose
  • Hyperparathyreoidismus
  • Malabsorptionssyndrome
  • chronische Nierenerkrankung
  • Hypophosphatämie und Hypo-/Hyperkalzämie
  • stark pigmentierte Haut
  • isolierte Erhöhung der alkalischen Phosphatase
  • Einnahme von Medikamenten, welche die Absorption oder den Metabolismus von Vitamin D beeinflussen (z.B. Antimykotika, antiretro­virale HIV-Therapie, Anti­konvulsiva)

Gesunde ohne Symptome benötigen keinen Test

In mehreren internationalen Leitlinien wird davon abgeraten, Patienten ohne klinische Symptome oder ohne Risiko eines Mangels routinemäßig zu testen. Diese Empfehlungen stützen sich auf Belege dafür, dass bei gesunden Erwachsenen der Vitamin-D-Spiegel nicht mit Krankheiten in Verbindung steht. 

In nördlichen Klimazonen wird zwar eine Supplementierung im Winter sowie bei Menschen mit stark pigmentierter Haut ganzjährig empfohlen. Doch ist dafür  eine vorherige individuelle Testung nicht notwendig, argumentieren Dr. ­McChesney und Kollegen. Auch ein Kontrolltest wird in vielen Leitlinien i.d.R. als nicht indiziert angesehen.

Wer die Laboruntersuchung ohne Indikation und nur auf Wunsch des Patienten veranlasst, tut dies vielleicht, um dessen Erwartungen zu erfüllen und einem unangenehmen Gespräch aus dem Weg zu gehen, vermuten die Ärzte. Doch es gibt Belege dafür, dass Patienten bereits dann zufrieden sind, wenn der Arzt sich ihre Bedenken angehört hat – selbst wenn der gewünschte Test am Ende ausbleibt.

Zudem bietet die individuelle Arzt-Patienten-Interaktion neben allgemeinen Maßnahmen in Gesundheitssystem und Praxis eine Möglichkeit, unnötige Vitamin-D-Tests zu reduzieren.

Wenn der Patient einen Test fordert ...

Wie leitet man das Gespräch geschickt ein? 

  • „Es wird viel über Vitamin D gesprochen. Was haben Sie gelesen oder gehört, dass Sie dazu veranlasst, sich darüber Gedanken zu machen?“ 
  • „Ich würde gerne verstehen, was Sie am meisten beunruhigt und zu Ihrer Anfrage geführt hat.“

Ist der Patient besorgt aufgrund der Verbindung zwischen Vitamin D und bestimmten Krankheiten, versorgt man ihn kurz und verständlich mit den wichtigsten Informationen. Dazu gehört z.B. die Synthese von Vitamin D durch Sonnenlicht, die Aufnahme von Vitamin D aus Supplementen sowie die Benennung von Personenkreisen, die ein erhöhtes Risiko für einen Mangel haben. Dabei sollte man sich auch auf die spezifisch genannte Sorge bzw. Krankheit beziehen.

  • „Ich kann Ihre Besorgnis über (Krankheit XY) verstehen. Vielleicht kann ich Ihnen mehr dazu berichten und danach können wir gemeinsam überlegen, ob Sie eine Bestimmung Ihres Vit­amin-D-Spiegels benötigen oder nicht.“ 

Das Wichtigste ist, auf mögliche Fragen des Patienten einzugehen und dann eine gemeinsame Entscheidung zu treffen. 

  • „Was halten Sie von den Informationen, die ich Ihnen gegeben habe?“

Patienten aufklären und an der Entscheidung beteiligen

Das Gespräch sollte nach den Grund­sätzen der gemeinsamen Entscheidungsfindung erfolgen. Ein Beispiel zum möglichen Ablauf findet sich im Kasten oben. Zusätzlich kann auch die Weitergabe von Informationsmaterialien zu Vitamin-D-Tests und -Supplementierung hilfreich sein.

Quelle: McChesney C et al. BMJ 2022; 378: e070270; DOI: 10.1136/bmj-2022-070270