Was sich ändern muss Digitale Gesundheitsanwendungen: Erreichung einer überzeugenden Evidenz

diatec journal Autor: Dr. Andreas Thomas

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind seit rund dreieinhalb Jahren verordnungsfähig, aber es mangelt noch immer an überzeugender Evidenz. Denn die komplexe Entwicklung und die hohen Studienanforderungen stellen komplexe Hürden für die Entwickler dar. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind seit rund dreieinhalb Jahren verordnungsfähig, aber es mangelt noch immer an überzeugender Evidenz. Denn die komplexe Entwicklung und die hohen Studienanforderungen stellen komplexe Hürden für die Entwickler dar. © VectorMine – stock.adobe.com

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind seit rund dreineinhalb Jahren verordnungsfähig, aber es mangelt noch immer an überzeugender Evidenz. Denn die komplexe Entwicklung und die hohen Studienanforderungen stellen komplexe Hürden dar. Dennoch haben DiGA großes Potenzial für die Zukunft. Dr. Andreas Thomas hat sich die DiGA-Landschaft für den Bereich Diabetes genauer angeschaut und erklärt, was sich ändern muss.

DiGA können seit Oktober 2020 in Deutschland durch Psychotherapeuten und Ärzte auf Rezept zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet werden, basierend auf dem „Digitalen-Versorgung-Gesetz“. Bis Mitte April 2024 wurden insgesamt 202 Anträge gestellt, 44 für eine dauerhafte und 158 für eine vorläufige Aufnahme. Davon sind aktuell 56 DiGA im DiGA-Verzeichnis gelistet, 31 dauerhaft und 26 vorläufig. Im Bereich „Hormone und Stoffwechsel“ sind es aktuell sieben, vier davon dauerhaft (Oviva Direkt für Adipositas, HelloBetter für Diabetes und Depression, Zanadio und Vitadio für Diabetes).

Bislang keine Erfolgsstory

Die Anzahl verschriebener DiGA hält sich dabei bisher in Grenzen und liegt unter ca. 400.000 Verschreibungen. Dabei kann nicht genau gesagt werden, wie viele der DiGA nach deren Verschreibung dauerhalt angewendet werden. Das Ganze kann nicht gerade als Erfolgsstory bezeichnet werden. Dabei ist unstrittig, dass die durchaus kostenaufwendige Entwicklung einer DiGA durch häufig kleinere Software-Unternehmen für diese ein schwer kalkulierbares finanzielles Risiko darstellt. Aber in den DiGA liegt ein wichtiges Potenzial, was in seiner Bedeutung noch wachsen wird angesichts zunehmender Patientenzahlen und einer abnehmenden Arztdichte in der naheliegenden Zukunft.

DiGA müssen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragt und können von diesem auch zulassen werden. Anfangs ist es möglich eine vorläufige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis zu erhalten. Hersteller der DiGA sind jedoch verpflichtet innerhalb der nächsten zwölf Monate deren Evidenz vorzugsweise mit einer randomisierten, kontrollierten Studie (RCT) nachzuweisen. Solche sind allerdings aufwendig und kostenintensiv. Sie müssen aber zu einer hinreichenden Evidenz führen, was in einer Reihe von Fällen auch gelungen ist.

Die Durchführung von Studien mit DiGA ist nicht einfach

Eine hinreichend gute Evidenz ist einerseits die Voraussetzung für die Zulassung einer DiGA durch das BfArM, geht aber auch einher mit der Überzeugungskraft für die Ärzte. Auch zugelassene DiGA werden sie kaum empfehlen und verschreiben, wenn sie von diesen nicht selbst überzeugt sind. Vorab ist zu bemerken, dass aktuell diese „elektronische Medizin“ nicht nur seitens der Diabetologen, sondern auch von den Menschen mit Diabetes zurückhaltend betrachtet wird, sieht man doch eher eine medikamentöse Therapie als Behandlungskonzept an. Das erschwert auch die Durchführung von Studien, einerseits die Rekrutierung der Patienten, andererseits deren aktive Mitarbeit über einen längeren Zeitraum. Das soll kritische Hinweise zu nachfolgenden Studienbeispielen relativieren.

Bei der zugelassenen DiGA „Mebix“ besteht das Ziel der Anwendung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes in einer Gewichtsreduktion, der Senkung des HbA1c-Wertes, der Reduktion der Medikation, einer Senkung oder Absetzung der Insulindosis sowie in der nachhaltigen Verbesserung des Lebensstils und der Lebensqualität. Dazu enthält die DiGA eine Menge positiv zu bewertender Interaktionen mit den Anwendern, wie unterhaltsame, leicht verständliche Videos zur Schulung und Aufklärung, Wissenstests zur Anwendung des Erlernten und die Formulierung von Aufgaben auf der Startseite.

Um die Wirksamkeit von „Mebix“ zu belegen, wurde eine offene, prospektive, kontrollierte Studie über drei Monate durchgeführt [1]. Primärparameter war der HbA1c-Wert (Erhebung der Werte alle drei Monate: retrospektiv, zu Studienbeginn und drei Monate nach Beginn der Nutzung der App). Weiterhin wurden die Gewichtentwicklung und PRO (patient-reported outcomes: Wohlbefinden, diabetesbedingte Belastung und Selbstmanagement) bewertet.

Nach dreimonatiger Anwendung von „Mebix“ verringerte sich der HbA1c-Wert signifikant um -1,0 ± 0,8 % (p<0,001). In der vorherigen Kontrolle ohne DiGA hatte der Blutzuckerlangzeitwert sich nur um -0,2 ± 0,8 % verbessert (nicht signifikant). Weiterhin verringerten sich das Körpergewicht und verbesserten sich die PRO. Die Studie wurde als Beweis für die Wirksamkeit von „Mebix“ gewertet.

Probleme durch das Studiendesign

Für den außenstehenden Betrachter, der Kenntnisse über Evidenz von „Mebix“ haben möchte, ist problematisch, dass es sich hier um eine prospektive Studie gehandelt hat und nicht um eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung. Auch würde man gerne längerfristige Ergebnisse zur Beurteilung heranziehen. 

Weiterhin wollten von den 89 ausgewählten Patienten, welche nach dem Onboarding-Gespräch die Einschlusskriterien erfüllten, 19 nicht an der Studie teilnehmen. Von den verbliebenen 70 Probanden wurden 22 für die Analyse aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen, z.B. weil sie die Einschlusskriterien nicht mehr erfüllten, ein HbA1c-Wert fehlte etc. Die Auswertung betraf also nur noch 48 Studienteilnehmer. In Bezug auf die PRO fehlten bei einer Reihe von Patienten Antworten auf den Fragebogen. Damit betraf die Analyse nur noch 26 Patienten, was Fragen offen lässt.

Studien mit zusätzlichen Therapiemitteln

Eine andere Thematik sind Studien, in denen neben der DiGA-App noch weitere, die Glykämie verbessernde Maßnahmen zur Anwendung gelangen. Beispielsweise werden bei den DiGA „glucora“ und „una health“ über einen gewissen Zeitraum Systeme für das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM) genutzt für sogenannte „Sensorwochen“.

Damit sollen nicht-insulinpflichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes ein „Biofeetback“ erhalten, d.h., sie können anhand der Glukosedaten die Auswirkungen verschiedener Mahlzeiten, körperlicher Aktivität, von Stress usw. sehen. Ziel ist es, daraus zu lernen und die gewonnenen Erkenntnisse in die Lifestyle-Intervention im Alltag umzusetzen, um eine nachhaltige Senkung des HbA1c-Wertes, eine Gewichtsreduktion usw. zu erreichen. So ergab eine Pilotstudie mit „Glucora“ mit 64 Teilnehmern mit Typ-2-Diabetes (ursprünglich 84 Teilnehmer; 20 mit Drop-out) eine Reduktion des HbA1c-Wertes nach drei Monaten Intervention um -0,79 % (von 7,6±0,9 % zur Baseline auf 6,8±0,7 %) und eine Verringerung des Körpergewichts um -3,6 kg. Anhand der allgemein verfügbaren Daten lässt sich aber schlecht abschätzen, wie hoch der Anteil der Auswirkung der CGM-Nutzung an dem positiven Ergebnis und wie hoch der Anteil der DiGA daran war (bei der natürlich die Analyse von CGM-Daten essenziell ist).

Um die Effekte zu klären, ist eine randomisierte, kontrollierte Studie unabdingbar. Das heißt die Interventionsgruppe nutzt CGM und „Glucora“ wie festgelegt (CGM-Wochen, danach Verwendung der Daten durch die DiGA), die Kontrollgruppe adaptiert die CGM-Daten selbst ohne die App. Entsprechende Studien sind in Vorbereitung [2].

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für eine überzeugende Evidenz solcher DiGA randomisierte, kontrollierte Studien notwendig sind, um die Verordner von dieser Behandlungsform zu überzeugen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass die Ärzte in den Behandlungsprozess einbezogen sind, was derzeit nach dem „Digitalen Versorgungs-Gesetz“ noch ausgeschlossen ist, sich aber ändern soll.

Die Überzeugung für die Patienten kommt über den selbsterlebten Effekt der Anwendung einer DiGA. Ist das nicht der Fall oder bereitet der Umgang mit der DiGA Schwierigkeiten, so wird diese nicht weiter genutzt. Die hohen Drop-out-Raten in verschiedenen Studien lassen Letzteres offen, zeigen aber auch die höhere Komplexität im Vergleich zum Beispiel zur medikamentösen oralen Therapie.

Quellen:
(1) Bretschneider MP et al. Effectiveness of a Digital Health Application for the Treatment of Diabetes Type II-A Pilot Study. J Clin Med. 2023 Sep 30;12(19):6317. DOI: 10.3390/jcm12196317
(2) https://glucura.de/studien/ (letzter Zugriff: 16.05.2024)