Embolie statt Exazerbation: Bei COPD-Patienten mit verstärkten Beschwerden genau hinschauen!

Autor: Dr. Judith Lorenz/Manuela Arand

Bei etwa jedem 20. COPD-Patienten mit stationär behandlungsbedürftiger akuter Verschlechterung der respiratorischen Situation liegt eine Lungenembolie vor. (Agenturfoto) Bei etwa jedem 20. COPD-Patienten mit stationär behandlungsbedürftiger akuter Verschlechterung der respiratorischen Situation liegt eine Lungenembolie vor. (Agenturfoto) © iStock/mustafagull

Ihr COPD-Patient hustet seit Kurzem verstärkt und bekommt deutlich schlechter Luft – ganz klar eine Exazerbation? Solch ein diagnostischer Schnellschuss kann nach hinten losgehen, vor allem wenn sich eine Embolie hinter den Symptomen versteckt.

Ihr COPD-Patient hustet seit Kurzem verstärkt und bekommt deutlich schlechter Luft – ganz klar eine Exazerbation? Solch ein diagnostischer Schnellschuss kann nach hinten losgehen, vor allem wenn sich eine Embolie hinter den Symptomen versteckt. Bei etwa jedem zwanzigsten COPD-Patienten mit einer stationär behandlungsbedürftigen akuten Verschlechterung der respiratorischen Situation liegt eine Lungenembolie vor. Zu diesem Ergebnis kommt eine von französischen Wissenschaftlern um Professor Dr. Francis Couturaud vom Département de Médecine Interne et Pneumologie der Universität Brest initiierte Querschnittstudie.

Von insgesamt 2268 konsekutiven, stationär aufgenommenen Exazerbationspatienten erfüllten nur 750 die Selektionskriterien der Studie (u.a. keine Langzeitantikoagulation). Ausgewertet wurden schließlich die Daten von 740 Kranken. Bei denjenigen mit einer hohen klinischen Wahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie (Geneva-Score ≥ 11) hatte man innerhalb von 48 Stunden eine pulmonale Angiographie mittels Spiral-CT sowie eine Beinvenensonographie durchgeführt. In den übrigen Fällen bestimmte das Team zunächst die D-Dimere und leitete – je nach Ergebnis – weitere diagnostische Schritte ein.

Was zur respiratorischen Verschlechterung geführt hat

Folgende Ursachen der akuten respiratorischen Verschlechterung haben die Kollegen in ihrer Studie u.a. ausgemacht:
  • bakterielle bronchiale Infektion (n = 462)
  • Pneumonie (n = 69)
  • Ateminsuffizienz unbekannter Ursache (n = 69)
  • Lungenembolie (n = 44)
  • Linksherzinsuffizienz (n = 42)
  • tiefe Beinvenenthrombose (n = 10)
  • Krebserkrankung (n = 10)
  • Vorhofflimmern (n = 4)
  • Pneumothorax (n = 2)

Bei 44 Patienten (5,9 %) diagnostizierten die Kollegen eine Lungenembolie. Die Prävalenz betrug dabei bei Personen mit bzw. ohne initialem Lungenembolieverdacht 10 % bzw. 3,2 %. Weitere zehn Patienten (1,4 %) wiesen eine isolierte tiefe Venenthrombose auf. Fünf der 670 Patienten (0,7 %), bei denen eine Lungenembolie mithilfe des diagnostischen Algorithmus ausgeschlossen worden war und die dementsprechend keine Antikoagulation erhalten hatten, entwickelten innerhalb von drei Monaten eine Lungenembolie. Ein relevanter Anteil der COPD-Patienten mit einer akuten respiratorischen Verschlechterung weist eine Lungenembolie oder eine isolierte Venenthrombose auf, lautet daher das Fazit von Prof. Couturaud und seinen Kollegen. Angesichts dessen werfen sie die Frage auf, ob in dieser Patientenklientel systematisch nach venösen Thromboembolien gefahndet werden sollte.

Autorin: Dr. Judith Lorenz
Quelle: Couturaud F et al. JAMA 2021; 325: 59-68; DOI: 10.1001/jama.2020.23567


INTERVIEW: Professor Dr. Claus Vogelmeier
(Universitätsklinikum Marburg)

Wie bewerten Sie die Studie von Couturaud et al.? Welche möglichen Konsequenzen ergeben sich aus ihr? Prof. Vogelmeier: Die Arbeit hat in meinen Augen den falschen Titel. Die französischen Kollegen sind primär dem Zusammenhang von COPD und Lungenembolie nachgegangen, obwohl wir bereits seit mehr als zehn Jahren wissen, dass COPD-Kranke vermehrt Lungen­embolien entwickeln. Was aber beeindruckt, ist die Größe der Studie und dass die Kollegen die Patienten sehr gründlich untersucht und tatsächlich eine ganze Palette an Diagnosen gefunden haben. Zugegeben, das hat auch mit der Studienpopulation zu tun. Es waren Menschen eingeschlossen, die noch eine gute Lungenfunktion hatten; die FEV1 lag bei knapp 60 %. Das sind nicht die COPD-Patienten, die man normalerweise stationär aufnimmt. Die Ergebnisse lassen sich deshalb nicht generalisieren. Aber die Botschaft lautet: Was wie eine COPD-Exazerbation aussieht, muss nicht unbedingt eine sein. Für die Praxis folgt daraus die Frage: Was muss ich machen, um sicher zu sein, dass jemand eine Exazerbation hat? Das ist keineswegs trivial. Die Definition der akuten Ex­azerbation ist nach wie vor flau. GOLD sagt: Akutverschlechterung, die eine Intensivierung der Medikation veranlasst. Gibt es Ansätze, den Begriff schärfer zu fassen? Was wir bisher haben, ist keine Definition der Exazerbation, sondern eine Umschreibung, noch dazu eine unkonkrete und unspezifische. Dem Patienten geht es schlechter, aber damit ist noch nicht gesagt, warum. Den Schweregrad macht man nicht daran fest, wie es dem Patienten geht, sondern was der Arzt tut. Das ist nicht automatisch deckungsgleich und hängt auch von länderspezifischen Kriterien ab. So wird der Begriff „schwere Exazerbation“ schwammig. Ein internationales Expertengremium, bei dem ich mitarbeite, bemüht sich derzeit, eine bessere Definition zu entwerfen. Wir werden dort u.a. Parameter aufführen, die gemessen und erfüllt sein sollten, um von einer Exazerbation zu sprechen, und andere Parameter, die eine Exazerbation unwahrscheinlich machen. Brauchen wir eine Phänotypisierung von Exazerbationen? Das ist ein Gebot der Stunde. Bevor man an eine Exazerbation denken kann, müssen eine Reihe wichtiger Differenzialdiagnosen ausgeschlossen sein. Außerdem möchte man im Hinblick auf die Therapie natürlich wissen, um was für eine Exazerbation es sich handelt. Es gibt bereits Studienergebnisse, die andeuten, dass das erhöhte CRP ein guter Indikator für die Einleitung einer antibiotischen Therapie sein könnte, und erhöhte Eosinophile im Blut ein Biomarker, um systemische Steroide einzusetzen. Wir suchen also nach spezifischen Charakteristika, um Therapie­modalitäten zu definieren­. Viele Patienten mit COPD und Exazerbationsverdacht landen primär beim Hausarzt. Was kann der tun? Hausärzte sind meiner Meinung nach von entscheidender Bedeutung, um die Situation verbessern zu können. Wenn wir es nicht schaffen, das Konzept für die niedergelassenen Kollegen nachvollziehbar und einfach anwendbar zu machen, wird sich nicht viel ändern. Das heißt auch, dass wir mehr zuverlässige Point-of-care-Tests brauchen, die rasch eine Entscheidung über das weitere Prozedere ermöglichen. Es gibt zum Glück immer mehr Schnelltestverfahren – unter anderem für CRP, D-Dimere, Troponin I und BNP. Damit lassen sich innerhalb von Minuten einige Differenzialdiagnosen ausschließen. Zu welchen Maßnahmen raten Sie bei einem Patienten mit Ex­azerbationsverdacht? Als erstes sollte man die wichtigsten Differenzialdiagnosen ausschließen: kardiale Probleme, Lungenembolie und Pneumonie. Wenn man sich sicher ist, dass es sich um eine Exazerbation handelt, sollte geprüft werden, ob ein Antibiotikum indiziert ist. Derzeit lässt sich das nur klinisch anhand der Färbung des Sputums entscheiden. Aber wie erwähnt – Besserung ist in Sicht.

Interview: Manuela Arand