Hilfe für ukrainische Geflüchtete Fachkräfte integrieren, Sprachbarrieren überwinden
Dr. Sergiy Davydenko von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz stammt selbst aus der Ukraine. Vom Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 war er direkt betroffen, da er Schutz suchende Verwandte unterbringen musste. Gleichzeitig begann er damit, Spenden zu sammeln und Informationen zu vermitteln – wie schon 2014, als Russland die Krim überfiel.
In der Universitätsklinik nahm er die Herausforderung an, gemeinsam mit einer weiteren ukrainischen Fachärztin und einer russischen Krankenschwester die psychiatrischen ambulanten Hilfsangebote für die zu erwartenden Flüchtlingsströme in Mainz zu koordinieren. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gab am 8. November 2022 die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge mit mehr als 7,8 Millionen an; in Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt mehr als eine Million Geflüchtete aus der Ukraine registriert.
Recht auf Arbeit und auf Ausbildung
Gegenüber früheren Flüchtlingsströmen gibt es aber eine Neuerung: Nach der EU-Massenzustrom-Richtlinie haben ukrainische Geflüchtete nun im Aufnahmeland ein Recht auf Zugang zum Bildungssystem, Anspruch auf medizinische Versorgung und das Recht zu arbeiten. Das sollte besser genutzt werden, forderte Dr. Davydenko. Die Ausbildung von medizinischen und pädagogischen Fachkräften sollte rasch anerkannt werden, um diese auch für Deutschland wichtigen Berufsgruppen in die Arbeitswelt integrieren zu können. Zwar wollen die meisten aus der Ukraine Geflüchteten wieder zurückkehren. Wann dies aber möglich sein wird, ist ungewiss.
Dr. Davydenko lobte die große Hilfsbereitschaft in Deutschland – von der Bundesregierung über ärztliche Organisationen bis hin zu ortsnahen Vereinen. Besondere Bedeutung für die Vernetzung Geflüchteter und Helfer hätten soziale Medien, berichtete er. Gruppen in Telegram, Facebook, Whatsapp oder Instagram bieten Materialien zur Selbsthilfe oder auch professionelle psychotherapeutische Hilfe in Ukrainisch und Russisch an. Auch Selbsthilfegruppen und gemischte Gruppen aus Kriegsflüchtlingen, schon länger in Deutschland lebenden Ukrainern und ehrenamtlichen Helfern organisieren sich darüber. Telegram ist dabei laut Dr. Davydenko der wichtigste Kanal.
Aus diesen Gründen macht auch die psychiatrische Institutsambulanz in Mainz über soziale Medien auf ihre offene Sprechstunde für die Geflüchteten aufmerksam. Daneben wurden Flyer in psychosozialen Beratungsstellen, Hausarztpraxen und Apotheken ausgelegt sowie Kontakte zu muttersprachlichen Psychotherapeuten geknüpft.
Versorgung muss dezentralisiert werden
In Mainz und Rheinhessen seien bis November 2022 etwa 10.500 Geflüchtete registriert worden, berichtete Dr. Davydenko. Für Betroffene mit vorbestehenden psychischen Erkrankungen gilt es, die ambulante Versorgung sicherzustellen, neu aufgetretene Symptome zu behandeln und stationäre Angebote, Konsiliar- und Liasiondienste aufrechtzuerhalten.
Auch die schon länger in Deutschland lebenden Ukrainer müssen versorgt werden – Dr. Davydenko zufolge lebten bereits 300.000 von ihnen in Deutschland, bevor der russisch-ukrainische Krieg im Frühjahr 2022 eskalierte.
Eine Herausforderung ist derzeit, die Versorgung zu dezentralisieren. Auch finden sich viele Geflüchtete im deutschen Gesundheitssystem mit seinen Reglementierungen nur sehr schwer zurecht, da die medizinische Versorgung in der Ukraine stärker privatwirtschaftlich organisiert ist. Bezüglich sprachlicher Barrieren hat Dr. Davydenko gute Erfahrungen mit nonverbalen Hilfen gemacht, die meist in ehrenamtliche Projekte eingebettet sind und psychotherapeutisch begleitet werden sollten. Von Kunst- oder Sporttherapie oder Yoga profitieren die Geflüchteten seiner Erfahrung nach sehr, ohne dass sie über traumatisierende Erfahrungen sprechen müssen. Das ist auch deshalb wichtig, weil in der Ukraine Menschen mit psychischen Erkrankungen noch stärker stigmatisiert werden als in Deutschland.
Quelle: Kongressbericht Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.-Kongress 2022