Bedürfnisse und Verständigung Geflüchtete mit Diabetes kommen in den Praxen an

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Isabel Aulehla

Viele Ärzte zeigen sich ­solidarisch mit der Ukraine. Viele Ärzte zeigen sich ­solidarisch mit der Ukraine. © ronstik – stock.adobe.com

Immer mehr Geflüchtete mit Diabetes suchen die Praxen auf. Ihre Stoffwechsellage ist durch die Flucht oft entgleist – es ist also schnelles Handeln gefragt. Die Verständigung ist zwar nicht immer einfach. Doch mit Geduld und Empathie gelinge die Behandlung, berichtet eine Ärztin. 

Die Diabetologin Dr. ­Jolanda Schottenfeld-Naor versorgt in ihrer Düsseldorfer Praxis mittlerweile fast täglich Menschen aus der Ukraine. „Selbst sonntags wurde ich schon von einem Pflegeheim angerufen“, erzählt sie. „Eine Geflüchtete wurde dort notfallmäßig aufgenommen und brauchte dringend Medikamente.“ 

Auch viele der Patient*innen, die in die Praxis kommen, brauchen akut medizinische Hilfe. Es sind überwiegend Frauen und Kinder. Auf der Flucht sind sie oft kilometerweit zu Fuß gelaufen, um die Grenze zu erreichen. Nahrung oder Medikamente waren dabei tagelang nicht zugänglich. Auch Insulin konnten die Geflüchteten nicht mitnehmen, schließlich müsste es gekühlt werden. 

Es ist vorteilhaft, wenn das Team etwas Russisch beherrscht

Im Gespräch mit den Betroffenen seien Geduld und Empathie gefragt, berichtet die Diabetologin. Schließlich hätten sie in den Kriegsgebieten und auf der Flucht furchtbare Dinge erlebt. Sie zu versorgen, sei eine Selbstverständlichkeit. „Wir können die Menschen ja nicht im Regen stehen lassen“, betont sie.

Die Verständigung kann allerdings etwas dauern – je nachdem, ob die Patient*innen Englisch sprechen oder nicht. „Wir haben das Glück, dass wir russischsprachiges Personal haben“, berichtet Dr. Schottenfeld-Naor. „Aber natürlich sind die Mitarbeiterinnen nicht rund um die Uhr zur Stelle.“ Da die Diabetes­therapie stark auf Beratung und Schulung basiert, muss vieles übersetzt und gezeigt werden, gibt die Ärztin zu bedenken. So war eine Frau, deren Diabetes entgleist war, vom Ausfüllen des Anamnesebogens über die Sprechstunde bis zur Erklärung der Mitarbeiterin, die die Diabetesschulung macht, rund anderthalb Stunden in der Praxis.

Diabetes-Infos auch in russischer Sprache 

diabinfo.de, das Diabetesinformationsportal des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), stellt nun auch auf Russisch Informationen rund um Diabetes mellitus zur Verfügung. Die Seite erklärt z.B. die verschiedenen Formen der Erkrankung und geht auf die klassischen Fragen nach einer Neudiagnose ein. Auch zur Prävention finden sich zahlreiche Tipps. Für Personen mit Diabetes aus der Ukraine und deutsche Fachkräfte, die Geflüchtete unterstützen, hat diabinfo.de nützliche Informationen zusammengetragen. Das Angebot ist zweisprachig auf Ukrainisch und Deutsch und beinhaltet u.a. eine Übersetzungshilfe Deutsch/Ukrainisch/Englisch sowie ukrainisch-deutsche Anamnesebögen und Medikamenten-Pläne als Download. Neben allgemeinen Informationen zur Diabetes-Versorgung geflüchteter Menschen in Deutschland gibt es auch eine Hilfestellung für den Kindergarten- und Schulbesuch bei Typ-1-Diabetes.

Auch herauszufinden, welche Medikamente jemand bislang nahm, braucht Zeit. In der Ukraine werden Präparate offenbar teilweise unter anderen Namen vermarktet. Selbst wenn  Patient*innen die Packung dabei haben, hilft das angesichts der kyrillischen Schrift nur bedingt. Das Team muss recherchieren, welches Medikament gemeint sein könnte und welche Wirkstoffe es in welcher Dosis ­enthält.

„Ich habe den Eindruck, dass die meisten Patienten in der Ukraine bis vor dem Krieg ganz gut versorgt waren“, erklärt Dr. Schottenfeld-Naor. Nur in einzelnen Fällen seien Patient*innen auf  Präparate eingestellt gewesen, deren Zusammensetzung hier nicht mehr gängig ist. „Eine Patientin nahm bisher zum Beispiel ein Präparat, in dem GLP1-Rezeptoragonist und Insulin kombiniert sind. Die Wirkstoffe müssen wir dann getrennt verabreichen“, berichtet die Ärztin. Natürlich erklärt sie den Betroffenen auch, welche Dosen wie oft in der Woche nötig sind. Sofern es möglich ist, sei es daher äußerst hilfreich, wenn die Geflüchteten jemanden mitbringen, der übersetzen kann.

In der Vergütung spiegele sich der zeitliche Aufwand derzeit noch nicht wider, meint die Diabetologin. Doch darum geht es ihr nicht – ihr Ziel ist die adäquate Versorgung. Sie vermutet, dass die diabetologischen Leistungen, ähnlich wie bei Asylbewerber*innen in der Vergangenheit, nicht vergütet werden.

Seitens des Bundesgesundheitsministeriums sind Mediziner aufgefordert, eine Basisversorgung nach Asylbewerberleistungsgesetz zu erbringen. Demnach soll bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen die erforderliche Behandlung gewährt werden, einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger erforderlichen Leistungen. Auch Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen sind möglich. Wie diese Bestimmungen konkret ausgelegt werden, muss sich noch zeigen.

Es fällt schwer, den Menschen Behandlungen vorzuenthalten

„Ich bin natürlich in einem Konflikt mit mir selbst“, sagt Dr. ­Schottenfeld-Naor. Es gebe durchaus eine Diskrepanz zwischen der Vorgabe, nur Basisversorgung zu leisten, und dem, was medizinisch ratsam wäre. „Wenn Patienten bereits auf ein Medikament eingestellt sind, dann möchte ihnen das nicht streichen, auch wenn es teuer ist.“ 

Die Leistungen werden von der Kommune gewährt, in der die Geflüchteten untergebracht sind. Um Praxen aufsuchen zu können, erhalten die Betroffenen Behandlungsscheine. Mediziner*innen sollen diese am Ende des Quartals zusammen mit der Abrechnung bei ihrer  Kassenärztlichen Vereinigung einreichen.  

In Düsseldorf können derzeit noch  nicht alle der Geflüchteten einen solchen Schein vorlegen, berichtet Dr. Schottenfeld-Naor. Das Ausstellen dauert offenbar. „Bei uns kann der Schein nachgereicht werden. Ich finde es ethisch schwierig, Menschen aus bürokratischen Gründen eine medizinisch notwendige Behandlung vorzuenthalten.“ Die Ärztin geht davon aus, dass einige der Geflüchteten vorerst regelmäßig bei ihr in Behandlung sein werden. Die meisten seien ihr und dem Team äußerst dankbar. 

Insulin und Hilfsmittel spenden

Die Deutsche Diabetes Föderation sammelt Sachspenden für Geflüchtete mit Diabetes. Gefragt sind Insuline mit gültigem Mindesthaltbarkeitsdatum,  Pens, Blutzucker-Messgeräte und -Teststreifen, Lanzetten, Sensoren sowie HypoBE.

Die Spenden können an den Geschäftsstellen folgender teilnehmender Diabetes-Selbsthilfe-Organisationen abgegeben werden: Bund diabetischer Kinder und Jugendlicher, Diabetiker Baden-Württemberg, Diabetiker Thueringen, Diabetiker Bund Bayern, Diabetiker Niedersachsen, Deutsche Diabetes-Hilfe Menschen mit Diabetes – LV Nordrhein-Westfalen. 

Neben diabetologischen Behandlungen ist oft auch Impfberatung gefragt. Viele der Geflüchteten seien nur mit dem chinesischen Vakzin gegen COVID-19 geimpft, einige auch gar nicht. Die enge Unterbringung in den Ankunftszentren begünstige eine Infektion, gibt die Medizinerin zu bedenken. Weitere Probleme, die in den Zentren insbesondere für Menschen mit Diabetes bestehen, seien die nicht optimale Ernährung und die Hygiene beim Spritzen. All das seien „brennende soziale Fragen“, die schnell gelöst werden müssten.