Geriatrisches Assessment könnte Überlebenschancen erhöhen
Studien mit willkürlichen oberen Altersgrenzen sind seit dem Jahr 2001 nicht mehr erlaubt. Trotzdem hat der Anteil von über 65-jährigen Krebspatienten in klinischen Studien seitdem nicht zu-, sondern sogar eher abgenommen, beklagte Privatdozent Dr. Ulrich Wedding von der Abteilung für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Jena. Diese Diskriminierung älterer Menschen („ageism“) findet man gehäuft bei industriegesponserten Studien. Da die Studienteilnahme in der Onkologie einen Überlebensvorteil darstellt, werden den Älteren Chancen verwehrt, kritisierte der Experte.
Zweifellos unterscheiden sich Senioren in vielen Bereichen von jüngeren Menschen. Die Krebserkrankungen trifft auf physiologische Alterungsprozesse mit reduzierten Organfunktionen und häufig auch auf Komorbiditäten. Ein geriatrisches Assessment kann daher hilfreich sein, so Dr. Wedding.
In einer Studie, wurde das Assessment bei Patienten mit Lungenkrebs zur Stratifikation in die drei Risikogruppen fit, vulnerabel und gebrechlich eingeteilt. Auf dieser Basis passten die Forscher die Behandlung entsprechend an. Dennoch lebten die Teilnehmer nicht länger. Es gab aber weniger Toxizitäten und Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen sowie weniger Über- und Untertherapien.1
Ein Todesfall konnte pro 22 Senioren verhindert werden
Durch spezielle geriatrische Interventionen wie Physio- und Ergotherapie, Sprech- und Schluckrehabilitation und Ernährungsmaßnahmen lässt sich die Prognose älterer Krebskranker verbessern, wie eine Kohortenstudie mit 1892 über 75-Jährigen ergab. Im Vergleich zur alleinigen chirurgischen Therapie wurde die 90-Tage-Mortalität halbiert (4,3 % vs. 8,9 %) und es mussten nur 22 Ältere behandelt werden, um einen Todesfall zu verhindern.2 Andere Untersuchungen aus USA, Kanada und Frankreich kommen zu ähnlichen positiven Ergebnissen – auch hinsichtlich verminderter Toxizität einer Chemotherapie und verbesserter Lebensqualität, erklärte der Referent.
Aufgabe für die Zukunft wird es sein, ein geriatrisches Assessment von Anfang an in die onkologische Entscheidungsfindung zu integrieren und auch im Tumorboard zu berücksichtigen, so Dr. Wedding. Einen entsprechenden entitätsübergreifende Vorschlag hat die AG geriatrische Onkologie gemacht. Danach sollte bei allen über 70-jährigen Krebspatienten ein G8-Screening durchgeführt werden, dass dann bei auffälligen Befunden in einer zweiten Stufe durch ein aufwendigeres Basis-Assessment ergänzt wird. Eine dritte Stufe mit weiteren Untersuchungen wird erwogen, wenn geriatrische Interventionen geplant sind.
Quellen:
1. Corre R et al. J Clin Oncol 2016; 34: 1476-1483; DOI: 10.1200/JCO.2015.63.5839
2. Shahrokni A et al. JAMA Netw Open 2020; 3: e209265; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2020.9265
Quelle: Wedding U. 17. AIO-Herbstkongress virtuell