Substanzmissbrauch Kältespray auf Abwegen
Ein kühlendes Ethylchlorid-Spray wird gerne zur Schmerzlinderung nach stumpfen Verletzungen eingesetzt. Einige Menschen verwenden es aber auch als berauschende Schnüffelalternative. Laura Hager von der Psychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität in München stellt den Fall eines 53-jährigen Mannes vor, der von einem langjährigen Missbrauch von Ethylchlorid berichtete. Über 25 Jahre hatte er etwa dreimal pro Woche das Kältespray durch ein vorgehaltenes Tuch inhaliert, um durch ein kurzes Hoch und das Gefühl, „weggebeamt“ zu sein, belohnt zu werden. Außerdem setzte er das Spray gegen Langeweile, zur Entspannung und zur Schmerzlinderung bei sexuellen Aktivitäten ein. Letzteres sei nach seiner Aussage eine weit verbreitete Praxis in der homosexuellen Szene.
Während des Ethylchlorid-Konsums habe er einen Kräfteverlust in den Beinen und Füßen verspürt, was mehrfach zu Stürzen und Verletzungen geführt hatte. Tachykardien und Schlafstörungen waren weitere Nebenwirkungen. Entzugserscheinungen traten in Form von innerer Ruhelosigkeit und Bewegungszwang auf.
In der Literatur sind bisher zehn Fälle von Ethylchlorid-Missbrauch einschließlich zweier Todesfälle beschrieben. Alle Patienten entwickelten neurologische Symptome wie Benommenheit, Stand- und Gangunsicherheit oder Desorientiertheit. In Tierexperimenten zeigte die Inhalation der Substanz z.T. karzinogene Effekte und war mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert – auch wenn die Substanz offiziell als nicht-karzinogen eingestuft wird.
Ethylchlorid ist überall erhältlich und zudem billig
Weitere chronische Langzeiteffekte, auf Lunge, Leber, Nieren und Herz, sind beschrieben. Der Kältespray-Missbrauch scheint sich zunehmend auszubreiten – nicht zuletzt, weil die Substanz überall erhältlich und billig ist. Da es schnell zu einer Abhängigkeit kommen kann, sollte der Missbrauch möglichst früh entdeckt und therapeutisch interveniert werden. Die Autoren empfehlen, Ethylchlorid beim Screening auf Substanzmissbrauch in Zukunft zu berücksichtigen. In Urinproben kann die Substanz nachgewiesen werden. Außerdem sollten besonders gefährdete Menschen (z.B. in HIV-Schwerpunktpraxen) auf mögliche Risiken der Kältespray-Inhalation hingewiesen werden.
Quelle: Hager L et al. Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89: 382-384; DOI: 10.1055/a-1483-9865