Low Carb: das Für und Wider einer kohlenhydratarmen Ernährung
Wer auf Kohlenhydrate verzichtet, nimmt praktisch automatisch ab. Dieser Satz ist pures Gold wert, schließlich bildet er das Erfolgsrezept solch bekannter Diäten wie Atkins, Dukan, Hollywood, Paleo, LOGI, Hollywood oder New York – sprich all jener Ernährungsformen, mit denen Firmen seit Jahrzehnten Milliarden verdienen. Glaubt man den Werbeslogans, scheint die Sache klar. Wissenschaftlich betrachtet gestaltet sich das Ganze etwas komplizierter.
Die induzierte Ketose dämpft den Hunger
Es existiert eine Reihe an Studien und Metaanalysen, laut denen sich eine kohlenhydratreduzierte Ernährung günstig auf Bluttfette, HbA1c, hsCRP und natürlich das Körpergewicht auswirkt, betonte Professor Dr. Thomas Skurk von der School of Life Sciences an der Technischen Universität München. Die induzierte Ketose soll zudem den Hunger dämpfen und das Sättigungsgefühl erhöhen. Im direkten Vergleich mit einer „normalen“ Kost beispielsweise zeigte die Waage von Personen, die sich sechs Monate lang low carb ernährten, median 4,635 kg weniger an. Die systolischen und diastolischen Blutdruckwerte lagen im Schnitt um 5,14 mmHg bzw. 3,21 mmHg niedriger. Wer es zusätzlich schaffte, auf Fett zu verzichten, erreichte beim LDL statt einer Reduktion von 1,01 mg/dl ganze 7,08 mg/dl.
Morbid Übergewichtige durften sich über signifikant bessere Werte von Nüchternglukose, Insulin und Lipiden sowie weniger viszerales Fettgewebe freuen – sofern sie 25 Tage lang täglich maximal 800 kcal zu sich nahmen, von denen nicht mehr als 45 g auf Kohlenhydrate entfielen. „Es gibt zudem relativ gute Hinweise darauf, dass Low Carb günstige Effekte auf verschiedene Parameter von Diabetikern hat“, erklärte Prof. Skurk.
Who is who bei Low Carb
- very low carb: < 10 % der täglichen Energiemenge (z.B. 50 g KH bei 2000 kcal)
- low carb: 10–25 % der täglichen Energiemenge (50–125 g KH)
- moderate low carb: 26–44 % der täglichen Energiemenge (130–220 g KH)
- high carb: 45–65 % der täglichen Energiemenge (220–325 g KH)
Unzureichende Motivation oder liegt es in den Genen?
Nur, wieso erreichen so wenige Menschen ihre Ziele mit Low Carb? Weil das nicht ihrer üblichen Ernährungsform entspricht? Oder weil sie nicht anders können, Stichwort „die Gene sind Schuld“? Tatsächlich scheinen einige Genvarianten mit darüber zu entscheiden, ob bzw. wie nachhaltig Low Carb funktioniert. So gehen Single-Nucleotide-Polymorphismen im LIPF, GYS2 oder CETP bei einer bis zu zwölfwöchigen ketogenen Diät, in der die Teilnehmer zwischen 8 % und 13 % Kohlenhydrate und 60–63 % Fett zu sich genommen haben, mit einer größeren Gewichtsabnahme einher. Dagegen verbietet sich mit einer angeborenen CPT1A-Mutation eine solche Ernährung, bei einer GLUT-1-Defizienz wiederum gilt sie als Therapie der ersten Wahl. Eine Auswahl der Patienten nach ihrem genetischen „Make-up“ steigert also die Effektivität dieser Diät, so das Fazit von Prof. Skurk. Trotz der vielen positiven Befunde sollte man sich genau überlegen, ob bzw. wie lange man seine Kohlenhydratzufuhr begrenzen möchte, gab Professor Dr. Johannes Georg Wechsler zu bedenken. Es könnte nämlich sein, dass man dabei unfreiwillig auch ein paar Lebensjahre mit einspart – vier im Durchschnitt. Der niedergelassene Internist aus München stellte verschiedene Studien vor, die mehr oder weniger zu demselben Ergebnis kamen: Moderate Kohlenhydratmengen von ca. 50–55 % der täglichen Energiezufuhr sind mit dem geringsten Sterblichkeitsrisiko assoziiert. Mit sehr hohen Mengen ab etwa 70 % sowie einer Zufuhr von weniger als 30 % steigt hingegen die Mortalitätswahrscheinlichkeit um etwa ein Viertel bzw. ein Fünftel. Befunde, die bereits die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie zum Anlass nahm, um vor einer dauerhaften Low-Carb-Kost zu warnen.Keine Evidenz für den strikten Verzicht auf Kohlenhydrate
Das Fazit bisher könnte also lauten: Wer abnehmen will (oder muss), kann initial für eine gewisse Zeit Kartoffeln, Brot und anderes „high carb food“ vom Speiseplan streichen bzw. minimieren. Die Gefahr einer langfristigen kohlenhydratarmen Ernährung sah Prof. Wechsler vor allem in den kompensatorischen Mechanismen, schließlich muss die Energie ja irgendwo herkommen. Konzepte wie die Paleodiät z.B. basieren gar auf einer hohen Zufuhr an Proteinen und Fetten, die u.U. die Gefahr von Nierenschäden oder arteriosklerotischen Erkrankungen erhöhen können. „Nach allem, was wir bisher wissen, kann eine allgemeine evidenzbasierte Empfehlung für den strikten Verzicht auf Kohlenhydraten nicht gegeben werden“, resümierte er. Im Zweifel solle man sich an die Angaben in den Leitlinien halten, die im Grunde einstimmig zu folgender langfristigen Nährstoffverteilung raten: etwa 30 % Fette, nicht mehr als 10 % Protein und den Rest füllt man mit Kohlenhydraten auf.Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin