Marathon – Gut für die Gefäße, schlecht fürs Herz?

Autor: Dr. Elke Ruchalla/Dr. Judith Lorenz

Hochsensitiv gemessene Troponine nahmen mit der Laufdistanz zu. Hochsensitiv gemessene Troponine nahmen mit der Laufdistanz zu. © iStock/ZamoraA

Einmal einen Marathon laufen – das große Ziel vieler Hobbysportler. Ob sie ihrem Herz-Kreislauf-System damit wirklich etwas Gutes tun, ist noch nicht abschließend geklärt. Zwei aktuelle Beispiele für die widersprüchliche Studienlage.

Der Legende nach brach der erste Marathonläufer der Geschichte am Ziel tot zusammen. Das ist heute zum Glück die Ausnahme, trotzdem scheint die Strecke an die (Herz-)Substanz zu gehen, wie eine Studie von Dr. Beatriz Lara vom Exercise Physiology Laboratory der Universität Madrid und Kollegen zeigt.1 Die Forscher haben bei 63 trainierten Freizeitläufern nach Absolvieren einer Langstrecke Blut abgenommen. Je ein Drittel der Sportler legte die Marathondistanz, einen Halbmarathon oder 10 km zurück.

Bei den im Mittel 37-jährigen Teilnehmern wurden Biomarker für kardialen Stress bestimmt und diese zwischen den verschiedenen Entfernungen verglichen. Mit steigender Distanz nahmen die Konzentrationen von hochsensitiv gemessenem Troponin I und T zu. In der Marathongruppe lagen sie deutlich höher als nach der halben Strecke. Weitere Marker – NT-proBNP, CK-MB, CK-MM, Myoglobin – kletterten nur nach den 42,2 km relevant.

Alle Sportler gaben eine ähnlich lange Lauferfahrung an und ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen war vergleichbar gering (ungefähr 3 % über zehn Jahre). Allerdings absolvierten diejenigen mit größerer Laufdistanz erwartungsgemäß mehr wöchentliche Trainingskilometer.

Weniger an Kilometern bringt eventuell mehr fürs Herz

Die klinische Bedeutung dieser Ergebnisse bleibt vorerst offen. Zwar beweisen die gemessenen Werte nicht unbedingt eine Gefahr für die Pumpfunktion, geben die Studienautoren zu bedenken. Womöglich bringe aber weniger (an Kilometern) tatsächlich mehr (für die Herzgesundheit).

Während die volle Distanz das Herz also belasten könnte, zeigt sich an den Gefäßen ein anderer Effekt. Grundsätzlich weisen Menschen, die lebenslang Sport treiben, eine verminderte Aortensteifigkeit auf, erläuterte Dr. Anish Bhuva vom University College London.2, 3 Auf dem diesjährigen EuroCMR-Kongress der europäischen kardiologischen Gesellschaft in Venedig präsentierte er eine Studie, derzufolge das auch für Marathon-Neulinge gilt.

Zusammen mit weiteren Kollegen untersuchte Dr. Bhuva 139 gesunde Männer und Frauen (Alter 21–69 Jahre) vor Trainingsbeginn sowie zwei Wochen nach erfolgreicher Teilnahme an ihrem ersten Marathon. In der sechsmonatigen Vorbereitungszeit absolvierten die Probanden ein Pensum von 10–20 km pro Woche – zuvor waren sie maximal zwei Stunden wöchentlich gelaufen. Die Forscher erfassten den zentralen Blutdruck und maßen Aortendehnbarkeit und -elastizität mittels Magnetresonanztomographie.

Verjüngung des biologischen Gefäßalters um ca. vier Jahre

Durch das Training reduzierten sich zentraler systolischer und diastolischer Druck um 4 mmHg respektive 3 mmHg. Zudem hatte die Dehnbarkeit der Aorta descendens signifikant zugenommen: Verglichen mit dem initialen Befund ergab sich eine Verjüngung des biologischen Gefäßalters um rund vier Jahre. Am stärksten profitierten diesbezüglich Ältere und weniger Fitte (diejenigen mit langsamerer Laufzeit). Für einen Marathon ist es laut dieser Untersuchung anscheinend nie zu spät.

Quellen:
1. Lara B et al. Circulation 2019; 138: 709-711; DOI: doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.118.034655
2. Pressemitteilung European Society of Cardiology
3. Bhuva A et al. Abstract 201; EuroCMR Congress 2019

Kommentar: Auch beim Laufen macht die Dosis das Gift

Bewegung schützt vor Herzerkrankungen, aber gilt das auch für einen Marathonlauf? Die beiden vorgestellten Studien scheinen dies unterschiedlich zu bewerten. In kardialer Hinsicht sind geringe Troponinanstiege nach einem Marathonlauf seit Langem bekannt. Gewertet wird dies als temporäre myokardiale Ermüdung ohne Hinweise für Langzeitfolgen. Die von Lara et al. beschriebene Abhängigkeit von der Laufdistanz überrascht demnach zunächst nicht. Als Langzeitfolge wiederholter Marathonteilnahmen wurden in anderen Studien erstaunlicherweise vermehrte Koronarsklerosen und Myokardfibrosen beobachtet, ätiologisch noch ungeklärt. Ob dies eine chronische Folge repetitiver Ermüdungsreize sein kann, konnte bisher nicht belegt werden. Immerhin weisen Läufer stabilere Plaques als Nicht-Läufer auf und zeigen trotz hohen Kalkscores keine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität. Allerdings scheint langjähriger Ausdauersport Vorhofflimmern zu begünstigen, wenngleich auch hier die Pathophysiologie noch ungeklärt ist. Hinsichtlich peripherer Gefäße wurden nach einem Marathon sowohl passagere Anstiege als auch Reduktionen der Gefäßsteifigkeit beschrieben, langfristig scheint der Effekt aber eher neutral zu sein. Gerade bei Trainingsanfängern werden aber zunächst positive Effekte beobachtet, was die Studie von Bhuva et al. nur noch einmal bestätigt. Letztlich macht also auch hier die Dosis das Gift: bei adäquatem Training und niedrigem Risiko kann ein Marathonlauf durchaus gefäßprotektiv sein. Wiederholte Teilnahmen weisen dagegen potenziell ungünstige kardiale Langzeitfolgen auf, ohne dass eine spezifische „Schwelle“ benannt werden kann. Zumindest Patienten mit hohem Risiko oder kardialen Vorerkrankungen sind daher mit kürzeren Distanzen sicher deutlich besser bedient.