Diabetes und Komorbiditäten Neue Behandlungsansätze

Diabetes Kongress 2024 Autor: Elke Klug

Die Frühdiagnose von Prädiabetes und Diabetes ist von essenzieller Bedeutung für die Risikominderung. Die Frühdiagnose von Prädiabetes und Diabetes ist von essenzieller Bedeutung für die Risikominderung. © jitendra jadhav – stock.adobe.com

Von der Pathophysiologie bis KI: Diabetes, Herz-Kreislauf- Erkrankungen und ein Funktionsverlust der Nieren sind eng miteinander verknüpft. Dem Management (kardio)-renaler Erkrankungen bei Diabetes widmeten sich im Rahmen des 58. DDG-Kongresses 2024 mehrere Sitzungen.

Die Anzahl der Menschen mit dem meist lebensstilbedingten Typ-2-Diabetes (T2D) steigt weiter an. Ebenso wird ein Anstieg bei Typ-1-Diabetes (T1D), nach aktuellem Erkenntnisstand genetisch bzw. aufgrund einer Fehlfunktion des Immunsystems ausgelöst, beobachtet. In Deutschland gibt es davon derzeit rund 10 Mio. Betroffene. Zunehmender Erkenntnisgewinn in Bezug auf das Zusammenspiel molekularer Mechanismen und Pathways bei verschiedenen Krankheitsbildern sowie neue Studiendesigns, technische und technologische Fortschritte haben in jüngster Vergangenheit zur Entwicklung innovativer diagnostischer Methoden und Medikamente geführt. Das Arsenal für zielgerichtete präzisere Therapiestrategien zur Behandlung von z. T. gleichzeitig bestehendem Übergewicht, Diabetes sowie kardialen und renalen Erkrankungen hat sich innerhalb weniger Jahre, z. B. durch Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Inhibitioren (SGLT2i), GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) oder auch Medikamente, wie beispielsweise den nichtsteroidalen Mineralokortikoid- Rezeptor-Antagonisten (nsMRA) Finerenon, beträchtlich erweitert.

Die Anzahl der Menschen mit dem meist lebensstilbedingten Typ-2-Diabetes (T2D) steigt weiter an. Ebenso wird ein Anstieg bei Typ-1-Diabetes (T1D), nach aktuellem Erkenntnisstand genetisch bzw. aufgrund einer Fehlfunktion des Immunsystems ausgelöst, beobachtet. In Deutschland gibt es davon derzeit rund 10 Mio. Betroffene. Zunehmender Erkenntnisgewinn in Bezug auf das Zusammenspiel molekularer Mechanismen und Pathways bei verschiedenen Krankheitsbildern sowie neue Studiendesigns, technische und technologische Fortschritte haben in jüngster Vergangenheit zur Entwicklung innovativer diagnostischer Methoden und Medikamente geführt. Das Arsenal für zielgerichtete präzisere Therapiestrategien zur Behandlung von z. T. gleichzeitig bestehendem Übergewicht, Diabetes sowie kardialen und renalen Erkrankungen hat sich innerhalb weniger Jahre, z. B. durch Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Inhibitioren (SGLT2i), GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) oder auch Medikamente, wie beispielsweise den nichtsteroidalen Mineralokortikoid- Rezeptor-Antagonisten (nsMRA) Finerenon, beträchtlich erweitert.

Auf der Suche nach optimaler Prävention und noch besseren, individualisierten und sicheren Behandlungsoptionen sei man ein großes Stück vorangekommen, so der allgemeine Konsens. Gleichwohl, so fasste Prof. Dr. Mario Schiffer, Direktor der Medizinische Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie des Uniklinikums Erlangen, das Thema Nierenschädigung bei Diabetes zusammen: „Nie gab es mehr zu tun.“

Fokus Nephropathie

Die GCKD-Studie (siehe Kasten) ist die einzige prospektiv verfolgte Kohortenstudie von CKD in Deutschland und steht somit auch im weltweiten Vergleich mit anderen Kohortenstudien, u. a. CRIC (USA), CKD-REIN (Frankreich). Der Bedarf für eine solche Studie ergab sich laut Prof. Dr. Martin Busch, Co-Leiter des Regionalzentrums Jena, aus Mangel an klinischen Studien mit präzisen epidemiologischen Daten im Fachgebiet Nephrologie und vor dem Hintergrund der frühzeitigen Exzessmortalität, die bei CKD-Patienten und insbesondere solchen mit Diabetes hauptsächlich durch kardiovaskuläre (cv) Ereignisse bedingt ist. Diese Klientel sei zwei Hauptrisiken ausgesetzt: der Progression des Nierenfunktionsverlustes und cv-Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Deshalb haben es sich die an der GCKD-Studie beteiligten Forschenden zur Aufgabe gemacht, diese Prädisposition durch CKD aufzuklären (Risikofaktoren, Prädiktoren, Mechanismen) und Cluster zu identifiDie GCKD-Studie (siehe Kasten) ist die einzige prospektiv verfolgte Kohortenstudie von CKD in Deutschland und steht somit auch im weltweiten Vergleich mit anderen Kohortenstudien, u. a. CRIC (USA), CKD-REIN (Frankreich). Der Bedarf für eine solche Studie ergab sich laut Prof. Dr. Martin Busch, Co-Leiter des Regionalzentrums Jena, aus Mangel an klinischen Studien mit präzisen epidemiologischen Daten im Fachgebiet Nephrologie und vor dem Hintergrund der frühzeitigen Exzessmortalität, die bei CKD-Patienten und insbesondere solchen mit Diabetes hauptsächlich durch kardiovaskuläre (cv) Ereignisse bedingt ist. Diese Klientel sei zwei Hauptrisiken ausgesetzt: der Progression des Nierenfunktionsverlustes und cv-Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Deshalb haben es sich die an der GCKD-Studie beteiligten Forschenden zur Aufgabe gemacht, diese Prädisposition durch CKD aufzuklären (Risikofaktoren, Prädiktoren, Mechanismen) und Cluster zu identifizieren, die ein hohes Progressionsrisiko haben und somit besonderer Vorsorge- und Therapiemaßnahmen bedürfen.

Die GCKD-Studie

Die German Chronic Kidney Disease (GCKD)-Studie wurde 2009 als nationale Kohortenstudie für chronische Nierenerkrankung (CKD) angelegt. Seitdem arbeiten Wissenschaftler von elf Universitäten mit über 150 niedergelassenen Nephrologen zusammen, um mehr als 5.000 Patienten mit CKD (18 bis 74 Jahre, eGFR zwischen 30 und 60 ml/min/1,73 m2 oder > 60 mit Makroalbuminurie oder Proteinurie > 500 mg/d) prospektiv zu beobachten. Hauptziel der Studie ist es, mit Hilfe modernster Analyseverfahren neue Risikofaktoren, diagnostische Möglichkeiten und Ansätze für verbesserte und spezifische Therapien zur Verhinderung der Progression des Nierenfunktionsverlustes und des Auftretens kardiovaskulärer Komplikationen zu identifizieren. 

Neuer Forschungsansatz

Im Gegensatz zu einem traditionellen, hypothesengenerierten Forschungsansatz wurde in GCKD ein neuer Ansatz verfolgt. Dieser erforscht die Bedeutung von neuen Bio- , Risiko- und Progressionsmarkern, die mittels modernster Analyseverfahren wie „Genomics, Proteomics, Metabolomics“ aus den umfangreich gesammelten Biomaterialien (u. a. Urin und Blut) bestimmt werden (Eckardt KU et al., Nephrol Dial Transplant 2012). Anhand von longitudinal gewonnenen Bioproben ist zudem eine Verlaufsbeobachtung möglich. Dieser neue Forschungsansatz in einer Studie ohne spezifische therapeutische Interventionen könne über die Beobachtung und Analyse dieser Daten zu neuen Hypothesen führen und somit in Zukunft neue therapeutische Ansätze eröffnen, erklärte Busch.

Insgesamt arbeiten in dem Verbundprojekt 11 Universitäten zusammen, davon neun Universitäten als regionale Studienzentren mit landesweit zahlreichen regionalen Studienpraxen. Es wurden bereits umfangreiche Daten zu Ätiologie, Epidemiologie, Begleiterkrankungen, traditionellen Risikofaktoren und Medikation erhoben. Es werden auch Daten zu vor Studienbeginn erlittenen oder im Verlauf aufgetretenen cv und renalen Ereignissen gesammelt sowie repetitiv Biomaterialien gewonnen (Urin-, Serum-, Plasmaproben). Diese wurden im Zentrallabor analysiert oder in Erlangen in der zentralen Biobank asserviert.

Bei Rekrutierungsabschluss im März 2012 waren insgesamt 5.217 Patienten in den KDIGO-Stadien G1 bis G4 rekrutiert (Titze S et al., Nephrol Dial Transplant 2015), davon waren 1.842 Diabetiker mit einer mittleren eGFR von 44 ml/min/1,73 m2. Mehr als 40 % der Diabetiker wiesen bei Studieneinschluss eine normale Albuminausscheidung auf, was vermutlich darin begründet ist, dass mehr als 80 % dieser Patienten durch die behandelnden Nephrologen konsequent mittels Blockern des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) therapiert wurden. Prof. Busch konnte berichten, dass es gut gelungen ist, den Großteil der Patienten in den Follow up-Untersuchungen (alle zwei Jahre, Telefoninterviews alle 12 Monate) zu halten.

Die GCKD-Studie läuft, nicht zuletzt aufgrund des Engagements der Studienzentrale sowie diverser Forschergruppen und regionaler Mitstreiter und nunmehr durch die finanzielle Unterstützung von der Industrie noch immer (aktuell Folgeuntersuchung (FU) 14). Mehrere Arbeitsgruppen generieren fortlaufend zahlreiche Daten zu unterschiedlichen Aspekten.

Aktuelle Zwischenergebnisse

Während in der Gesamtkohorte knapp 15 % der Teilnehmer als renale Grunderkrankung eine diabetische Nephropathie aufwiesen, war dies bei 40 % der Patienten mit Diabetes mellitus der Fall. Bei bis zu 25 % der Menschen mit Diabetes lag hingegen keine bekannte renale Grunderkrankung vor, was die Notwendigkeit einer besseren nephrologischen Diagnostik bei Diabetes-Patienten unterstreicht.

Bei nur 49,3 % aller Teilnehmer war der Blutdruck mit wenigstens einem RR-Wert <140/90 mm/Hg gut kontrolliert (Schneider MP et al., PLoS ONE 2018). Die Betrachtung der Baselinedaten zur glykämischen Kontrolle und zur antidiabetischen Therapie der 1.842 Patienten mit Diabetes mellitus zeigte einen medianen HbA1c-Wert von 7 %. (Busch et al., BMC Nephrology 2016). Bezüglich der antidiabetischen Therapie waren 24 % diätetisch eingestellt, 26 % nahmen nur orale Antidiabetika (OAD) und 8 % OAD + Insulin. Der Anteil der ausschließlich mit Insulin Behandelten war mit 42 % relativ hoch, „was sicher den damaligen Limitationen hinsichtlich der oralen oder zumindest nicht-insulinbasierten antidiabetischen Therapien bei CKD geschuldet war, die noch vor wenigen Jahren bestanden. Diese Limitationen werden wir mit den neuen Medikamenten mehr und mehr durchbrechen können“, ist sich Busch sicher.

Die Gruppe um Florian Kronenberg in Innsbruck richtete in der GCKD-Studie den Fokus auf das Metabolische Syndrom und konnte zeigen, dass die davon betroffenen Patien- ten ein schlechteres Überleben haben, sowohl für die Gesamtmortalität als auch für CV-Endpunkte (Pammer LM., Kronenberg F., J Intern Med 2021). Zudem war die Anzahl der Komponenten des metabolischen Syndroms fast linear oder exponentiell mit einem schlechteren Outcome assoziiert, wobei insbesondere erhöhte Glukosekonzentrationen eine Risikoerhöhung bewirkten, obwohl nur 52 % derjenigen mit Metabolischem Syndrom einen Diabetes aufwiesen. Die Frühdiagnose von erhöhten Blutzuckerwerten und somit eines Diabetes oder Prädiabetes, so schlussfolgerte Busch, sei wahrscheinlich von essenzieller Bedeutung.

Risikopotenzierung durch Diabetes

Hier konnten die bisherigen GCKD-Analysen zeigen, dass bei CKD-Patienten mit einer Nierenerkrankung im Stadium G3 nach KDIGO der Diabetes unabhängig von der renalen Grunderkrankung das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und das cv-bedingte wie auch das nicht-cv-bedingte Mortalitätsrisiko zumindest verdoppelt (Ruhe J, Busch M. et al., Clinical Kidney Journal 2023). Das entspricht in etwa der Risikopotenzierung in der Normalbevölkerung (Sarwar N et al. Lancet 2010). „Etwas überraschend für uns war das Ergebnis, dass es zwischen den Patienten mit cv-metabolischen Ursachen der CKD einschließlich vaskulärer, hypertensiver und diabetischer Nephropathie und jenen mit einer genuinen CKD-Genese (genetische Ursachen, Glomerulonephritis oder Einzelniere etc.) praktisch keinen Unterschied in der Diabetes-bedingten Risikoerhöhung gab. Allerdings, das war die Ausnahme, vom kombinierten Endpunkt der Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz waren die Patienten mit einer cv-metabolischen CKD-Genese infolge des Diabetes fast doppelt so häufig betroffen wie jene mit einer genuinen CKD“ (Ruhe J., Busch M. et al., Clinical Kidney Journal 2023). Insgesamt, so resümierte Busch, sei der Diabetes für alle Patienten mit CKD gleich ungünstig.

Die GCKD-Studie wird als Mitglied weltweiter Konsortien, u. a. im EU-Konsortium PrimeCKD auch künftig ihren Beitrag leisten, um zu helfen, die Betreuung von Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen zu verbessern.

Molekulare Mechanismen zelltyp- und stadiengerecht adressieren

Die diabetische Nephropathie (DKD) ist gekennzeichnet durch eine Ansammlung von extrazellulärer Matrix, Hypertrophie und Fibrose in glomerulären und tubulären Nierenzellen. Voraussetzung für gezielte therapeutische Konzepte zur Behandlung der DKD ist ein genaueres Verständnis darüber, was „in der Niere vorgeht“, ehe es zu renalen Folgeschäden kommt. Mit dieser Thematik befasste sich Prof. Dr. Mario Schiffer in seinem Vortrag „Molekulare Mechanismen der Nierenschädigung bei Diabetes“ und betonte den noch immer bestehenden Forschungsbedarf beim Verständnis der molekularen Mechanismen, die zur Nierenschädigung bei Diabetes führen. Mit der eingangs gestellten provokanten Frage „Haben wir mit den neuen, gut wirksamen Medikamenten wie den SGLT2-Inhibitoren nicht schon alle Probleme gelöst?“ verwies er darauf, dass in der Nephrologie trotz der neuen Präparate nach wie vor Menschen mit Diabetes die Hauptklientel für Nierenersatzverfahren sind. Etwa 40 % der Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickeln eine so starke Nierenschädigung, dass es zu einer terminalen Niereninsuffizienz kommt und die Betroffenen eine Dialyse oder Transplantation brauchen. „Wahrscheinlich sind noch immer Pathomechanismen am Werk, die wir bislang mit unseren therapeutischen Anstrengungen noch nicht adressieren“, konstatierte Schiffer.

Präzise Diagnostik erforderlich

Voraussetzung für eine gezielte Therapie sei zunächst die Klärung der Frage, ob tatsächlich eine diabetische Nephropathie vorliegt oder eine andere Erkrankung mit zusätzlich bestehendem Diabetes, betonte Prof. Schiffer und plädierte für häufigere Biopsien „als Schlüssel für zielgerichtete Therapien“. Besonders aufmerksam sollten Patienten beobachtet werden, bei denen sich trotz aller Maßnahmen relativ schnell eine Progredienz der Niereninsuffizienz zeigt oder sich die Proteinurie im subnephrotischen oder nephrotischen Bereich befindet. Dann könnte durchaus auch eine andere Erkrankung vorliegen. In diesem Voraussetzung für eine gezielte Therapie sei zunächst die Klärung der Frage, ob tatsächlich eine diabetische Nephropathie vorliegt oder eine andere Erkrankung mit zusätzlich bestehendem Diabetes, betonte Prof. Schiffer und plädierte für häufigere Biopsien „als Schlüssel für zielgerichtete Therapien“. Besonders aufmerksam sollten Patienten beobachtet werden, bei denen sich trotz aller Maßnahmen relativ schnell eine Progredienz der Niereninsuffizienz zeigt oder sich die Proteinurie im subnephrotischen oder nephrotischen Bereich befindet. Dann könnte durchaus auch eine andere Erkrankung vorliegen. In diesem Kontext erläuterte Schiffer, dass im Rahmen der Progression der Erkrankung verschiedene Zelltypen involviert sind, die in den verschiedenen Stadien der Erkrankung unterschiedlich reagieren. Irgendwann komme es zu einem Wechsel von hämodynamischen und metabolischen Effekten auf zelluläre und tissue remodelling (Vernarbungs)-Prozesse. In diesem Verlauf müsse man dann versuchen, den richtigen Therapiealgorithmus zu finden.

Um herauszufinden, welche molekularen Targets therapeutisch adressierbar wären, müsse man also die einzelnen Zelltypen im Glomerulum (mittels Biopsiepräparat) stadienspezifisch genauer anschauen, betonte der Referent anhand der Arbeit Molecular pathways that drive diabetic kidney disease (Monandes S et al. J Clin Invest 2023). „Eine Schüsselrolle“, so fassen die Autoren des Papers ihre Erkenntnisse aus molekularen und genetischen Studien zusammen, „spielen bei der Entstehung von Albuminurie und diabetischen Nierenerkrankungen Podozyten und Endothelzellen.“ Für die Podozyten habe man unter vielen anderen möglich Targets eine Phosphatase (SHP-1) und Proteinkinase C (PKC alpha) identifiziert, die neue therapeutische Ansatzpunkte sein könnten, führte Schiffer als Beispiel an. Und weiter wird beschrieben: „Veränderungen im proximalen Tubulus zeigen eine starke Verbindung zur glomerulären Filtrationsrate. Durch eine Hyperglykämie kommt es zu einer enormen zellulären Belastung der Niere, da sie den Zellstoffwechsel in Endothelzellen und Podozyten verändert und den proximalen Tubuluszellen eine übermäßige Arbeitsbelastung auferlegt, die Energie und Sauerstoff erfordert. Veränderungen im Stoffwechsel induzieren eine frühe adaptive zelluläre Hypertrophie. Später tragen mitochondriale Defekte zu erhöhtem oxidativem Stress und zur Aktivierung von Entzündungswegen bei, was zu einer fortschreitenden Abnahme der Nierenfunktion und Fibrose führt. Neu identifizierte molekulare Signalwege könnten die Grundlage für die Entwicklung neuer Therapeutika bilden.“

Supportive Therapie

Die supportive Therapie für den Zellschutz und eine Verlangsamung des Nierenfunktionsverlustes sei unabhängig von der Grunderkrankung prinzipiell identisch, führte Prof. Schiffer weiter aus. Bei der diabetischen Nephropathie gehöre neben der adäquaten Blutzucker-, Blutdruck- und Gewichtskontrolle und der Vermeidung nephrotoxischer Substanzen heute der Einsatz von SGLT2-Hemmern und Medikamenten zur RAS-Blockade zum Standard-Therapie-Konzept, ggf. zusätzlich GLP-1-Rezeptorantagonisten und Finerenon.

Umweltfaktoren und das interne Exposom

Diabetes mellitus wird wesentlich von nicht-genetischen, endogenen wie exogenen Umwelteinflüssen, denen ein Mensch ausgesetzt ist, vom sog. Exposom beeinflusst. Ein Großteil der Belastung durch T2D kann auf umweltbedingte, d. h. nicht genetische Krankheitstreiber zurückgeführt werden. Gleichzeitig hat das allgemeine externe Exposom Einfluss auf das biologische System des menschlichen Körpers (auf epigenetischer, Transkript-, Proteom-, Mikrobiomoder Metabolomebene). Dieses interne Exposom wiederum bewirkt posttranslationale Modifikationen wie Phosphorylierung, Glykosylierung, Ubiquitinierung, Methylierung und Acetylierung. Diese Modifikationen verändern die Funktion, Aktivität, Lokalisierung oder die Stabilität von Proteinen. Für alle diese möglichen Einflussfaktoren gebe es mehr oder weniger Evidenz, erklärte Schiffer.

Studien, so zeigt die Analyse von Beulens JWJ et al. in der Arbeit Environmental risk factors of type 2 diabetes-an exposome approach (Diabetologia 2022) „haben Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung, Wohnlärm sowie sozioökonomischer Benachteiligung und einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes nachgewiesen, während Umwelteinflüsse wie Ernährungsumgebung, Aspekte der sozialen Umgebung und die Außentemperatur das Risiko für T2D hauptsächlich über Mechanismen beeinflussen, die durch Lebensstilfaktoren wie körperliche Aktivität oder Ernährung, das Mikrobiom, Entzündungen oder chronischen Stress bedingt sind.

Andererseits gibt es „zunehmende Beweise, dass Gene, die mit diesen Merkmalen von DKD in Zusammenhang stehen, nicht nur durch klassische Signalwege, sondern auch durch epigenetische Mechanismen reguliert werden, an denen Chromatin-Histon-Modifikationen, DNA-Methylierung und nicht-kodierende RNAs beteiligt sind“ (Kato M. and Natarajan R., Epigenetics and epigenomics in diabetic kidney disease and metabolic memory Nat Rev Nephrol 2019). Diese Mechanismen, so erklären die Autoren, können auf Veränderungen in der Umwelt reagieren und könnten die anhaltende langfristige Expression von DKD-bezogenen Genen und Phänotypen vermitteln, die durch vorherige glykämische Exposition hervorgerufen wurden, trotz nachfolgender glykämischer Kontrolle (Metabolic Memory). Sie schlussfolgern, dass die Erkennung epigenetischer Ereignisse in den frühen Stadien von DKD für eine rechtzeitige Diagnose und sofortige Behandlung hilfreich sein könnte, um das Fortschreiten zu einem Nierenversagen zu verhindern. Die Identifizierung epigenetischer Signaturen von DKD durch epigenomweite Assoziationsstudien könnte auch zu einer präziseren individualisierten Medizin beitragen. Erste Ansätze solcher epigentischen Therapien wie die CRISPR/Cas9 Technology, eine molekularbiologische Methode, um DNA gezielt zu schneiden und zu verändern, werden bereits angewendet, demonstrierte Prof. Schiffer.

Inflammation

Ein weiteres Thema im Vortrag von Mario Schiffer waren Entzündungsprozesse, wie sie kompartmentspezifisch in der Niere ablaufen − was jedoch nicht zwangsläufig eine antiinflammatorische Therapie bei Diabetikern erforderlich mache, betonte er. Es gehe vielmehr darum zu erforschen, „ob es einzelne Prozesse gibt, in die man spezifisch eingreifen könnte.“ Die Schwierigkeit bestehe darin, dass es keine peripheren Entzündungsmarker gebe. Auch hier müssten die Transkriptionsprofile in der Niere analysiert werden, um genau sagen zu können, was dort geschieht. 

Umso wichtiger ist, dass die beiden neuen Medikamentenklassen der SGLT2i und der GLP- 1-RA bei DKD eingesetzt werden, da sie auch antiinflammatorisch wirken. Mit beiden wird die Hyperfiltration als Bestandteil des Inflammationstriggers antagonisiert. Von Winiarska A. et al. wurden nephroprotektive Effekte beobachtet (Inflammation and Oxidative Stress in Diabetic Kidney Disease: The Targets for SGLT2 Inhibitors and GLP-1 Receptor Agonists. Int J Mol Sci 2021). Fazit dieser Arbeit: „Die Wechselwirkung zwischen beiden Arzneimittelgruppen, Entzündungen und oxidativem Stress, scheint einen universellen Mechanismus des Organschutzes bei Diabetes und anderen Krankheiten zu haben.“

Neue Wege

Während bisherige große Kohortenstudien (Skandinavien, Boston, Japan) auf der Suche nach neuen therapeutischen Targets zur Behandlung der DKD den „Heiligen Gral“ noch nicht gefunden haben, habe man jetzt die Gelegenheit, mit dem sog. GENIE-Konsortium Kohorten miteinander zu kombinieren. Ziel ist, neue genetische Faktoren und Gene zu identifizieren, die zur Entwicklung einer diabetischen Nephropathie beitragen, schloss Schiffer seine Ausführungen. Dafür wurde eine Metaanalyse früherer genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) zu DKD durchgeführt (Sandholm N et al., Genome-wide meta-analysis and omics integration identifies novel genes associated with diabetic kidney disease. Diabetologia 2022). Die Ergebnisse deuten auf neue Gene hin, die vermutlich zur Pathogenese von DKD beitragen und Ziel neuer Therapien sein könnten, wie z. B. ein podozytäres target, das TENM2 oder ein target in der Mesangialzelle DCLK1 (Doublecortin- like kinase). Die TENM2-Expression korrelierte positiv mit der eGFR und negativ mit tubulointerstitieller Fibrose. Die tubuläre DCLK1-Expression korrelierte positiv mit Fibrose.

Auf die Ergebnisse der GWAS-Metaanalyse kann über die Wissensportale für Typ-1- und Typ-2-Diabetes (T1D bzw. T2D) und häufige Stoffwechselerkrankungen (CMD) zugegriffen werden, und sie können auf den jeweiligen Downloadseiten (https:// t1d.hugeamp.org/downloads.html; t2d.hugeamp.org/downloads.html; hugeamp.org/downloads.html) heruntergeladen werden.

Pathologie im Wandel − Deep Learning 4 Pathology

Die Pathologie ist mit zunehmender Digitalisierung der Medizin im Wandel begriffen. Neben ihrer Rolle bei der Diagnosestellung als Behandlungsgrundlage entwickelt sie sich immer mehr hin zu einem Partner bei der Therapiebegleitung und -anpassung. Maßgeschneiderte Präzisionsmedizin ist ohne Pathologie schon heute undenkbar. Waren es bislang hauptsächlich analoge Arbeitsschritte – Biopsie, mikroskopische Untersuchung, Befund, Diskussion mit den Klinikern –, die Therapieentscheidungen unterstützten, ist das Fachgebiet heute technologiegetrieben wie nie. Univ.-Prof. Dr. med. Peter Boor, Aachen, präsentierte in seinem Vortrag „Deep Learning 4 (Nephro-)Pathology… and beyond“ Ideen, erste Erfahrungen und Erkenntnisse zur Transformation von Technologien in die Pathologie, die es ermöglichen, den traditionellen Workflow zu digitalisieren.

Liegen die digitalen Bilder der histologischen Schnittpräparate vor, können diese heute mit den Möglichkeiten neuer Gerätetechnik und der Künstlichen Intelligenz (KI) computergestützt analysiert und damit sehr viel präziser werden, erklärte Prof. Boor den Nutzen dieser Transformation. Die Analyse von Bildern sei, das zeige nicht zuletzt die Radiologie, extrem effektiv. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass man damit auch mehr telepathologisch arbeiten könne.

Der Einsatz von KI, insbesondere des Maschinellen Lernens (ML) und Deep Learnings (DL) scheint in gar nicht allzu ferner Zukunft zu liegen. Inzwischen gebe es mehr als 70 kommerziell verfügbare Produkte von mehr als 30 Anbietern, die bereits genutzt werden, zugegebenermaßen derzeit fast ausschließlich in der onkologischen Pathologie. Das klinische Potenzial der Digitalisierung zeigte Prof. Boor an einigen Beispielen. So existiere bereits das Modell eines Deep Learning Ansatzes, das 55,8 % aller Fälle von akutem Nierenversagen bei stationären Patienten und 90,2 % aller Fälle von akutem Nierenversagen, die eine nachfolgende Dialyse erforderlich machten, mit einer Vorlaufzeit von bis zu 48 Stunden und einem Verhältnis von zwei Fehlalarmen zu jedem echten Alarm voraussagt. Dieser Ansatz bietet eine Möglichkeit zur Identifizierung gefährdeter Patienten innerhalb eines Zeitfensters, das eine frühzeitige Behandlung ermöglicht (Timašev N et al., A clinically applicable approach to continuous prediction of future acute kidney injury. Nature 2019).

Ebenfalls 2019 konnte mittels End-to-End DL gezeigt werden, dass man mit einem einzigen HE-Schnitt von einem Tumor mit einer KI von diesem HE-Schnitt die molekulare Veränderung in diesem Tumor analysieren und instabile DNA-Abschnitte, die sog. Mikrosatelliteninstabilität erkennen kann (Kather JN, Boor P. et al., Deep learning can predict microsatellite instability directly from histology in gastrointestinal cancer. Nat Med 2019). Diese Mikrosatelliteninstabilität ist hochrelevant für das weitere Patientenmanagement und die Behandlung, z. B. die Wahl der Chemotherapie, erklärte Prof. Boor. Weniger als drei Jahre danach gibt es ein erstes kommerzielles Produkt exakt für diesen Use Case.

Die Translation hier sei immens und es sei nicht die Frage ob, sondern wann und wie KI auch in anderen Bereichen wie z. B. der Nephropathologie, über die Onkologie hinaus zum Einsatz kommt, konstatierte Boor. Hierzu stellte er eine Proof of concept Studie based classification of kidney transplant pathology: a retrospective, multicentre proofof- concept study. Lancet Digit Health 2022) zur Beurteilung von Transplantatbiopsien vor. Ziel war es, den Nutzen von Deep Learning zur Vorklassifizierung der Histologie von Nierentransplantatbiopsien in drei große Hauptkategorien (d. h. normal, Abstoßung und andere Krankheiten) als potenzielles Biopsie-Triage- System mit Schwerpunkt auf Transplantatabstoßung zu bewerten (5.844 digitale Vollbild-Objektträger von Nierentransplantatbiopsien von 1.948 Patienten). „Die positiven Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass die auf Deep Learning basierende Klassifizierung von Transplantatbiopsien die pathologische Diagnostik der Abstoßung von Nierentransplantaten unterstützen könnte − jedoch nicht ohne die Expertise des Pathologen zur Bewertung, Interpretation und Einordnung des pathologischen Befundes“, betonte der Referent. Und, so ergänzte er, diese Studie sei nicht vergleichbar mit Krebsstudien, in die mehrere Tausend Patienten eingeschlossen sind, d. h. „wir wissen, woran wir noch arbeiten müssen.“ Das Problem seien vor allem die Datenmengen, um effektive Modelle zu trainieren. Heute schon genutzt werden könne ein solches Tool in der Nephrologie/Transplantationsmedizin, auch ohne jegliches spezielles Wissen, um z. B. Fälle zu priorisieren. „Nicht um unsere Diagnose zu ersetzen, sondern vor allem um zur Verfügung stehende Zeit effektiv zu nutzen. Die KI könnte aus beispielsweise 50 Fällen solche priorisieren, bei denen eine Rejektion zu erwarten ist, um eine schnelle Diagnose und Behandlung zu gewährleisten.“

Nephropathologie

„Die Pathologie ist bereit, molekulare Marker im Gewebe zu analysieren, um den klinisch tätigen Kollegen zu sagen, welche zielgerichtete Therapie sie nutzen könnten.“ 

Univ.-Prof. Dr. med. Peter Boor beschäftigt sich als Leiter des Lehr- und Forschungsbereiches Nephropathologie innerhalb der Klinik für Pathologie und Leiter der Digitalen Pathologie des Comprehensive Diagnostic Center Aachen an der Uniklinik RWTH Aachen vorrangig mit der Diagnostik von entzündlichen, degenerativen und genetischen Nierenerkrankungen, Veränderungen in transplantierten Nieren sowie den Auswirkungen von Systemerkrankungen auf die Niere.

Ausblick

Die Zukunft, auch für die Nephropathologie, sieht Prof. Boor in sogenannten Pathomics, einer neuen Omics-Methode zur morphometrischen Analyse histologischer Proben. Die hinter den „Pathologieeigenen“ Omics stehende Technologie wird als Next Generation Morphometry (NGM) bezeichnet, erklärte der Experte. Es geht dabei um die Extraktion interpretierbarer morphometrischer Merkmale aus der Histologie im großen Maßstab. Dafür hat die Arbeitsgruppe um Peter Boor ein Framework für die Histomorphometrie (FLASH) entwickelt und 40 Mio. Datenpunkte aus Nierenbiopsien generiert. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications publiziert (Hölscher DL, Bouteldja N, Joodaki M et al., Next-Generation Morphometry for pathomics-data mining in histopathology. Nat Commun 2023). Im Abstract heißt es: „Die Assoziation mit klinischen Daten bestätigte frühere Konzepte, u. a. die Bedeutung der tubulären Atrophie für den Rückgang der Nierenfunktion, und brachte unerwartete Erkenntnisse zutage, wie z. B. eine glomeruläre Büschelhypertrophie in Biopsien von Patienten mit vs. ohne Proteinurie im nephrotischen Bereich. Die Einzelstrukturanalyse identifizierte unterschiedliche glomeruläre Populationen und morphometrische Phänotypen entlang einer Krankheitsverlaufskurve. Die Merkmale waren unabhängig mit langfristigen klinischen Ergebnissen bei IgA-Nephropathie verbunden. Diese Daten liefern das Konzept für die Morphometrie der nächsten Generation (NGM) und eröffnen neue Möglichkeiten für umfassendes quantitatives Pathologie-Data-Mining, d. h. Pathomics für erweiterte Forschung und Diagnostik.“

Fazit

KI-Anwendungen werden die Medizin im Allgemeinen und die (Nephro-)Pathologie im Besonderen immer weiter hin zu digitaler computergestützter Arbeit transformieren, fasste Boor zusammen. Die Datengewinnung wird zunehmend über ein neuartiges Histology-Data-Mining (sog. Pathomics) erfolgen und so mehr und mehr zu einer reproduzierbaren, quantitativen, präziseren Pathologie beitragen. Für eine erfolgreiche Teamleistung von Pathologie und klinischen Fächern sollten sich alle Beteiligten damit befassen, um die neue Technologie mit optimalem Benefit anwenden zu können.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 5/2024