Autoinflammatorische Erkrankungen Rezidivierende Fieberschübe mit Bauch- und Gelenkschmerzen plus Hautmanifestationen
Unter autoinflammatorischen Erkrankungen (AID) werden seltene, oft genetisch bedingte Krankheiten zusammengefasst, denen eine Dysregulation des angeborenen Immunsystems zugrunde liegt. Damit unterscheiden sie sich von klassischen Autoimmunerkrankungen, die auf einer Störung des adaptiven Immunsystems mit der Bildung von Autoantikörpern beruhen. Die Übergänge sind aber nach heutigen Erkenntnissen fließend. Zudem gibt es für beide Störungen Überlappungen mit Immundefizienz, schreiben Dr. Maria Fasshauer von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum St. Georg in Leipzig und Prof. Dr. Helmut Wittkowski vom Universitätsklinikum Münster.
Die häufigsten Symptome der AID umfassen Fieber, Bauch-, Gelenk- und Kopfschmerzen sowie Haut- und Schleimhautveränderungen. Diese unspezifischen Beschwerden finden sich im Kindesalter auch als normale Begleitsymptome von Infektionen. Die Diagnosestellung ist daher oft schwierig und erfolgt zumeist erst nach im Mittel sieben Jahren.
Inzwischen sind über 40 auslösende Gene bekannt
Man unterscheidet die relativ seltenen monogenen AID von den etwas häufigeren multifaktoriellen Formen. Die ersten beschriebenen monogenen AID waren vier hereditäre periodische Fiebersyndrome:
- familiäres Mittelmeerfieber (FMF)
- cryopyrinassoziiertes periodisches Syndrom (CAPS)
- TNF-Rezeptor-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS)
- Mevalonat Kinase Deficiency (MKD)/Hyper-IgD-Syndrom (HIDS)
Inzwischen kennt man mehr als 40 Gene, die unterschiedliche Bereiche der angeborenen Immunität betreffen und AID auslösen können. Trotzdem lässt sich immer noch bei 40–60 % der Patienten mit AID-typischem Phänotyp keine eindeutige Diagnose stellen. Sie werden daher den undefined AID (uAID) zugeordnet.
Ein typischer Vertreter für multifaktorielle AID ist die systemische juvenile idiopathische Arthritis
Eine einheitliche Systematik aller monogenen AID existiert bisher nicht. Vorgeschlagen wurde u.a. eine Einteilung nach der zugrunde liegenden Pathophysiologie:
- Inflammasomopathien: liegt ein überreagierendes Inflammasom zugrunde, das durch eine vermehrte Sekretion bestimmter Interleukine charakterisiert ist (IL-1b, IL-18). Typische Vertreter sind die IL-1b-assoziierten Fiebersyndrome wie FMF, CAPS, TRAPS und MKD.
- Für Interferonopathien kennzeichnend ist eine Aktivierung des Typ-I-Interferonwegs. Zu dieser Gruppe gehören z.B. das Aicardi-Goutières-Syndrom und das proteasomassoziierte autoinflammatorische Syndrom (PRAAS).
- Bei Relopathien kommt es zu einer Überaktivierung des NF-κB-Signalwegs mit Induktion proinflammatorischer Moleküle. Dazu zählen u.a. die genetische Psoriasis und das otulinvermittelte autoinflammatorische Syndrom (ORAS).
- In die Gruppe der Erkrankungen mit Makrophagenaktivierung gehört z.B. die familiäre Hämophagozytäre Lymphohistiocytosis (FHL1-5).
- Den AID mit unklarem Pathomechanismus zuzurechnen sind die Adenosin-Deaminase-2-Defizienz und die SIFD (sideroblastische Anämie, Immundefizienz, Fieber, Entwicklungsverzögerung) sowie die frühkindliche chronisch-entzündliche Darmentzündung durch IL-10-Defizienz.
Etwas häufiger als die monogenen sind die multifaktoriellen AID. Einer ihrer Vertreter ist die systemische juvenile idiopathische Arthritis (sJIA) mit übermäßiger Produktion von IL-1 und IL-6. Typisch dafür sind Arthritis und intermittierendes Fieber plus mindestens ein weiteres Kriterium wie flüchtiger erythematöser Hautausschlag, generalisierte Lymphknotenvergrößerung, Hepato- und/oder Splenomegalie oder Serositis.
Eine weitere Erkrankung ist das häufig im Kindergartenalter auftretende PFAPA-Syndrom mit periodischen Fieberepisoden, Pharyngitis bzw. oralen Aphthen sowie zervikaler Lymphknotenschwellung ohne infektiöse Ursache. Zwischen den Episoden erscheinen die Kinder völlig gesund.
AID liegen Störungen des angeborenen Immunsystems zugrunde
Die Diagnose der AID ist eine Herausforderung und beruht in erster Linie auf der Symptomatik und dem typischen Zeitverlauf. Zahlreiche Differenzialdiagnosen wie rheumatische, immunologische, onkologische und autoimmune Erkrankungen müssen ausgeschlossen werden –genauso wie eine benigne Hyperthermie, Medikamentenfieber oder ein Münchhausen-by-Proxy-Syndrom.
Im Labor findet man Hinweise auf eine systemische Inflammation wie beschleunigte BSG, erhöhtes CRP, Serum-Amyloid-A (SAA) und Calprotectin. All diese Parameter sind aber unspezifisch und können auch bei schweren Infektionen erhöht sein. Bei einigen Formen sind die Biomarker nur im akuten Schub erhöht, bei anderen auch zwischen den Schüben.
Ödeme oder Frostbeulen als wegweisende Symptome
Manche Syndrome führen zu charakteristischen Symptomen, die bei der Diagnosestellung wegweisend sein können. Dies sind z.B. periorbitale Ödeme bei TRAPS, eine schwere, zystische Akne mit sterilen Abszessen bei Pyogener Arthritis, Pyoderma gangraenosum und Akne (PAPA) oder livedoartige Hautmanifestationen sowie Frostbeulen beim Aicardi-Goutières-Syndrom.Für einige AID stehen gezielte genetische Untersuchungen zur Verfügung, zunehmend werden aber auch Paneluntersuchungen oder Next Generation Sequencing (NGS) angeboten.
Kausale Therapien fehlen bisher. Bei vielen hereditären AID gibt es inzwischen Ansätze mit gezielter Blockade bestimmter Zytokine bzw. proinflammatorischer Moleküle. Einige AID-Formen sprechen gut auf Kortikosteroide an, bei FMF wird Colchicin eingesetzt. Wichtig sind vor allem eine frühzeitige Diagnose und Therapie, betonen die Autoren. Dabei geht es vor allem darum, die bei vielen Formen drohende Amyloidose und andere Organschäden zu verhindern, die Morbidität und Mortalität zu senken und langfristig die Lebensqualität zu verbessern.
Quelle: Fasshauer M, Wittkowski H. internistische praxis 2024; 67: 418-431