Gangstörungen bei Parkinson Rückwärts gehen, um voranzukommen
Gangstörungen gehören zum klassischen Symptomkomplex des Morbus Parkinson. Sie sind für die Betroffenen nicht nur einschränkend, sondern können durch das erhöhte Sturzrisiko schnell gefährlich werden. Viele Patienten wenden Kompensationstechniken an, um sich ihre Mobilität und Unabhängigkeit zu erhalten. Das Spektrum solcher Techniken ist umfangreich, Experten schlagen vor, die Maßnahmen in sieben Kategorien einzuteilen.
Die sieben Kategorien der Kompensationsstrategien | ||
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Kategorie | Beschreibung | mögliche Ausführung |
externe Kommandos | typische rhythmische externe Stimuli (sensorisch, visuell, akustisch) einsetzen | zum Takt eines Metronoms laufen, „Vibrationssocken“ tragen, über Linien steigen |
interne Kommandos | die Aufmerksamkeit auf vordefinierte Parameter des Gehens richten | geistige Arithmetik betreiben, sich selbst antreiben |
Balanceveränderung | die Möglichkeit seitlicher Gewichtsverlagerungen erleichtern | das Gewicht vor dem ersten Schritt verlagern, Hilfsmittel benutzen, Kurven nicht so eng nehmen |
Veränderung des mentalen Zustandes | Aufmerksamkeit und Wachsamkeit steigern mit dem Ziel, Motivation oder Entspannung zu fördern | Atemübungen durchführen, andere Maßnahmen anwenden, um Angst vor Stürzen zu mindern |
Beobachtung von Aktionen oder Bewegtbildern | den Gang anderer Menschen nachahmen, die gewünschte Bewegung visualisieren | |
Änderung des Gangmusters | die Art des geraden Vorwärtsgehens verändern oder andere Formen der Fortbewegung nutzen | Scherengang verwenden, Knie heben, hüpfen, rennen, rückwärts gehen |
Alternativen zum Gehen | z.B. radfahren, skaten, kriechen | |
modifiziert nach Nonnekes J et al. JAMA Neurol. 2019;76:718-725; DOI: 10.1001/jamaneurol.2019.0033 |
Im Rahmen einer Umfrage unter 4.324 Parkinsonpatienten mit begleitender Gangstörung untersuchten Dr. Anouk Tosserams vom Center of Expertise for Parkinson & Movement Disorders der Universitätsklinik Nijmegen und Kollegen, welche Kompensationsstrategien die Betroffenen nutzen und wie sie sie beurteilen. Im Mittel kannten die Studienteilnehmer Mechanismen aus drei Kategorien. Am häufigsten nutzten sie Balanceveränderungen (n = 1.208), 76 % der User berichteten über positive Effekte. An zweiter Stelle rangierte die Veränderung des mentalen Zustandes (n = 833), die 74 % der Anwender als erfolgreich beurteilten. Alternativen zum Gehen wurden am seltensten ausprobiert. Externe Kommandos, wie durch ein Metronom, schnitten in Sachen Erfolg am schlechtesten ab. 22,8 % der Befragten hatten sich noch keiner der Techniken bedient.
Manche Mechanismen erwiesen sich in bestimmten Situationen als besonders hilfreich. So waren gedankliche Kommandos sehr effektiv bei der Initiation des Gehens, jedoch nicht beim Beenden der Aktivität. Das Beobachten von Bewegtbildern stellte im Freien eine nützliche Hilfe dar, jedoch nicht in engen Räumen.
Nicht selten änderte sich das Ansprechen auf die jeweils gewählte Kompensationsstrategie im Verlauf. 12,4 % der Teilnehmer gaben an, dass sie irgendwann gezwungen waren, die Taktik zu wechseln, meistens aufgrund einer Progression des M. Parkinson, die ihnen bestimmte Techniken nicht mehr erlaubte. Das Wissen über die Kompensationsmechanismen korrelierte nicht mit Charakteristika wie Alter, Geschlecht oder Krankheitsdauer.
Professionelle Beratung nur in einem von drei Fällen
Insgesamt zeigen sich die Autoren erstaunt, dass nur wenig Betroffene die volle Bandbreite der Kompensationsstrategien kannten, zumal es sich bei der Gangstörung im Rahmen des Morbus Parkinson um ein so verbreitetes Problem handelt. Es überraschte zudem, dass etwa die Hälfte der Befragten die Techniken aufgrund ihrer eigenen Recherche oder kreativen Ausprobierens kannten. Nur jeweils einer von drei Befragten war durch professionelle Beratung auf die Kompensationsmechanismen aufmerksam geworden. Die Autoren schlagen daher vor, in Fortbildungsprogrammen oder auch auf Informationswebsites für Patienten diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Quelle: Tosserams A et al. Neurology 2021; DOI: 10.1212/WNL.0000000000012633