Gangstörungen bei Parkinson Rückwärts gehen, um voranzukommen

Autor: Liesa Regner-Nelke

Nur selten haben Parkinsonpatienten die Informationen bezüglich der Kompensationsstrategien durch professionelle Beratungen. Nur selten haben Parkinsonpatienten die Informationen bezüglich der Kompensationsstrategien durch professionelle Beratungen. © Pixel-Shot – stock.adobe.com

Mit einer Reihe von Techniken gelingt es Parkinsonpatienten, mögliche Gangstörungen zu überwinden. Die Art der Kompensationsstrategie sollte sich dabei idealerweise nach den individuellen Gegebenheiten und den Umständen, in denen sie gebraucht werden, richten.

Gangstörungen gehören zum klassischen Symptomkomplex des Morbus Parkinson. Sie sind für die Betroffenen nicht nur einschränkend, sondern können durch das erhöhte Sturzrisiko schnell gefährlich werden. Viele Patienten wenden Kompensationstechniken an, um sich ihre Mobilität und Unabhängigkeit zu erhalten. Das Spektrum solcher Techniken ist umfangreich, Experten schlagen vor, die Maßnahmen in sieben Kategorien einzuteilen.

Die sieben Kategorien der Kompensationsstrategien
KategorieBeschreibungmögliche Ausführung
externe Kommandostypische rhythmische externe Stimuli (sensorisch, visuell, akustisch) einsetzenzum Takt eines Metronoms laufen, „Vibrations­socken“ tragen, über Linien steigen
interne Kommandosdie Aufmerksamkeit auf vordefinierte Parameter des Gehens richtengeistige Arithmetik betreiben, sich selbst antreiben
Balanceveränderungdie Möglichkeit seitlicher Gewichts­verlagerungen erleichterndas Gewicht vor dem ersten Schritt verlagern, Hilfsmittel benutzen, Kurven nicht so eng nehmen
Veränderung des mentalen ZustandesAufmerksamkeit und Wachsamkeit steigern mit dem Ziel, Motivation oder Entspannung zu fördernAtemübungen durchführen, andere Maßnahmen anwenden, um Angst vor Stürzen zu mindern
Beobachtung von Aktionen oder Bewegtbildernden Gang anderer Menschen nachahmen, die ­gewünschte Bewegung visualisieren
Änderung des Gangmustersdie Art des geraden Vorwärtsgehens verändern oder andere Formen der Fortbewegung nutzenScherengang verwenden, Knie heben, hüpfen, ­rennen, rückwärts gehen
Alternativen zum Gehenz.B. radfahren, skaten, kriechen

modifiziert nach Nonnekes J et al. JAMA Neurol. 2019;76:718-725; DOI: 10.1001/jamaneurol.2019.0033

Im Rahmen einer Umfrage unter 4.324 Parkinsonpatienten mit begleitender Gangstörung untersuchten Dr. Anouk Tosserams vom Center of Expertise for Parkinson & Movement Disorders der Universitätsklinik Nijmegen und Kollegen, welche Kompensationsstrategien die Betroffenen nutzen und wie sie sie beurteilen. Im Mittel kannten die Studienteilnehmer Mechanismen aus drei Kategorien. Am häufigsten nutzten sie Balanceveränderungen (n = 1.208), 76 % der User berichteten über positive Effekte. An zweiter Stelle rangierte die Veränderung des mentalen Zustandes (n = 833), die 74 % der Anwender als erfolgreich beurteilten. Alternativen zum Gehen wurden am seltensten ausprobiert. Externe Kommandos, wie durch ein Metronom, schnitten in Sachen Erfolg am schlechtesten ab. 22,8 % der Befragten hatten sich noch keiner der Techniken bedient.

Manche Mechanismen erwiesen sich in bestimmten Situationen als besonders hilfreich. So waren gedankliche Kommandos sehr effektiv bei der Initiation des Gehens, jedoch nicht beim Beenden der Aktivität. Das Beobachten von Bewegtbildern stellte im Freien eine nützliche Hilfe dar, jedoch nicht in engen Räumen.

Nicht selten änderte sich das Ansprechen auf die jeweils gewählte Kompensationsstrategie im Verlauf. 12,4 % der Teilnehmer gaben an, dass sie irgendwann gezwungen waren, die Taktik zu wechseln, meistens aufgrund einer Progression des M. Parkinson, die ihnen bestimmte Techniken nicht mehr erlaubte. Das Wissen über die Kompensationsmechanismen korrelierte nicht mit Charakteristika wie Alter, Geschlecht oder Krankheitsdauer.

Professionelle Beratung nur in einem von drei Fällen

Insgesamt zeigen sich die Autoren erstaunt, dass nur wenig Betroffene die volle Bandbreite der Kompensationsstrategien kannten, zumal es sich bei der Gangstörung im Rahmen des Morbus Parkinson um ein so verbreitetes Problem handelt. Es überraschte zudem, dass etwa die Hälfte der Befragten die Techniken aufgrund ihrer eigenen Recherche oder kreativen Ausprobierens kannten. Nur jeweils einer von drei Befragten war durch professionelle Beratung auf die Kompensationsmechanismen aufmerksam geworden. Die Autoren schlagen daher vor, in Fortbildungsprogrammen oder auch auf Informationswebsites für Patienten diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Quelle: Tosserams A et al. Neurology 2021; DOI: 10.1212/WNL.0000000000012633