Leitlinie Schalldämpfer für den Tinnitus
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Chronisch ist ein Tinnitus, wenn die Beschwerden mehr als drei Monate anhalten. Unterschieden werden vier Schweregrade (s. Kasten). Als kompensiert gilt die Erkrankung, wenn das Ohrgeräusch die Lebensqualität nicht wesentlich mindert. Eine Dekompensation beeinträchtigt sämtliche Lebensbereiche und führt häufig zu Begleiterkrankungen wie Depression, Insomnie und Angstzuständen.
Schweregrade des Tinnitus
Grad 1: Tinnitus gut kompensiert, kein Leidensdruck
Grad 2: Ohrgeräusche vor allem in Stille, störend bei Stress und Belastungen
Grad 3: dauerhafte Beeinträchtigung in Beruf und Privatleben
Grad 4: völlige Dekompensation im privaten Bereich, Berufsunfähigkeit
Grad 2: Ohrgeräusche vor allem in Stille, störend bei Stress und Belastungen
Grad 3: dauerhafte Beeinträchtigung in Beruf und Privatleben
Grad 4: völlige Dekompensation im privaten Bereich, Berufsunfähigkeit
Grundlage der Diagnostik ist wie bei vielen anderen Erkrankungen auch die gründliche Anamnese. Sie ermöglicht eine Einschätzung von Symptomlast, etwaiger Schwerhörigkeit und Komorbiditäten. Zum Pflichtprogramm gehört eine HNO-ärztliche Abklärung einschließlich Tonaudiometrie und Bestimmung der Tinnitusintensität. Diese Diagnostik sollte spätestens im Fall einer relevanten Verschlechterung erfolgen und kann je nach Befund durch Spezialverfahren erweitert werden.
Am Anfang der Therapie steht eine Beratung zur benignen Natur des chronischen Tinnitus und den guten Behandlungsmöglichkeiten („Counselling“). Wichtig ist, dass man den Patienten mit seinen Ängsten und seiner selbst empfundenen Ohnmacht nicht allein lässt. Schließlich befürchtet so mancher, er hätte einen Hirntumor oder trüge ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und anderweitige Störungen der Hirnfunktion. Diese Patienten sind schon sehr erleichtert, wenn sie erfahren, dass ihr Geräusch „nur“ aus dem Ohr oder Hörsystem kommt.
Außerdem ist fast immer Abhilfe möglich, selbst ein jahrelang bestehender Tinnitus kann noch sistieren. Im chronischen Stadium ist das Ziel zwar nicht mehr die Beseitigung der Beschwerden, aber auch die anvisierte Habituation ermöglicht eventuell ein völliges „Vergessen“ des Geräuschs.
Von Rauschgeneratoren wird abgeraten
Für Patienten mit eingeschränkter Schallwahrnehmung empfiehlt die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC) die Versorgung mit einem Hörgerät. Diese ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Gewöhnung an den Tinnitus. Von Rauschgeneratoren (Noiser) bzw. einer entsprechenden Funktion in der Hörhilfe raten die Autoren mangels Wirknachweis ab. Hochgradig schwerhörige oder ertaubte Patienten profitieren von einem Cochleaimplantat. Es sorgt auch bei einseitigem Befund für eine gute Suppression des Tinnitus. Empfehlenswert sind auch Hörtherapien, die die Habituation fördern, indem sie die inhibitorischen Effekte der Hörwahrnehmung stärken. Eine wesentliche Grundlage der Tinnitus-Behandlung ist die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die ebenfalls auf einer Desensibilisierung beruht. Ihre Wirksamkeit wurde in großen kontrollierten Studien nachgewiesen.Umgebungsschall anreichern
Stille vermeiden heißt ein probates Rezept zur Selbsthilfe bei chronischem Tinnitus. Der Patient soll den Schall in seiner Umgebung auf angenehme Weise anreichern – am besten mit Naturklängen (z.B. Fenster öffnen). Störender oder irritierender Schall ist unbedingt zu vermeiden.
Kognitive Verhaltenstherapie lindert auch Begleitsymptome
Die Leitlinie plädiert deshalb dafür, allen Patienten mit chronischem Tinnitus eine KVT anzubieten. Sie induziert einen Lernvorgang im Gehirn, der die aktive Zuwendung an den Tinnitus reduziert, wodurch dieser weniger oder gar nicht mehr wahrgenommen wird. Mithilfe der KVT lassen sich auch typische Begleitsymptome wie Angstzustände und Depressivität lindern. Den Mangel an Therapieplätzen könnten internetbasierte KVT-Angebote ausgleichen, für die eine ähnlich hohe Wirksamkeit gezeigt wurde. Von einer Pharmakotherapie des chronischen Tinnitus raten die Leitlinienautoren ab, da es nach ihrer Einschätzung noch keine ausreichenden Daten zur Wirksamkeit bei dieser Indikation gibt. Auch für speziell zur Behandlung chronischer Ohrgeräusche entwickelte Geräte und akustische Stimulationen mit Tönen, Geräuschen oder verfremdeter Musik fehlt bisher noch die Evidenz. Auf invasive Verfahren wie Hirnstimulationen oder eine Lasertherapie sollte mangels belegbarer Effekte und teilweise erheblicher Sicherheitsrisiken ebenfalls verzichtet werden. Tinnitus-Patienten mit pathologischen HWS-Veränderungen oder kranio-mandibulärer Dysfunktion können von einer manuellen und/oder Physiotherapie profitieren. Für Nahrungsergänzungsmittel, Homöopathie und chinesische Kräutermedizin existiert dagegen kein Wirknachweis, ebenso wenig für die Reduktion von Salz und Koffein. Akupunktur kann zwar eventuell begleitende Schmerzen und Verspannungen lindern, nicht aber das störende Ohrgeräusch. Eine wichtige Rolle im Tinnitus-Management spielen Selbsthilfegruppen, in denen sich die Patienten mit Leidensgenossen austauschen können – entweder persönlich oder via Internet. Das stärkt das Selbstbewusstsein und vertieft das Wissen über die Erkrankung. Deshalb sollten Betroffene ausdrücklich zur Teilnahme motiviert werden.Quelle: S3-Leitlinie „Chronischer Tinnitus“, AWMF-Register-Nr. 017/064, www.awmf.org