Tinnitus ist offenbar zu einem Drittel vererbbar
Was steckt hinter den fiesen Ohrgeräuschen? Womöglich – zumindest ist das eine aktuell diskutierte Hypothese – hat der Tinnitus eine gewisse Verwandtschaft mit dem Phantomschmerz, der nach Amputation einer Gliedmaße auftritt. Vielleicht, so die Überlegung, versucht das Gehirn die fehlenden Sinnesreize zu kompensieren, indem es die Wahrnehmung selber und dauerhaft erzeugt. Ein stichhaltiges Argument, das für diese These spricht: Die Phantomgeräusche gehen oft mit einer Schwerhörigkeit einher.
Wenig Einigkeit gibt es in der Frage, ob manche Menschen von Natur aus besonders anfällig für solche Phantomempfindungen sind. Bislang fielen die Studien, die sich auf die Suche nach den genetischen Komponenten eines Tinnitus machten, meist negativ aus. Oder die Datenlage war zu dünn und ließ keine sicheren Aussagen zu, ob das Ohrenklingeln nun erblich ist oder nicht.
Dr. Christopher R. Cederroth von der Abteilung für Physiologie und Pharmakologie des Karolinska-Instituts in Stockholm und seine Kollegen wollten es genau wissen und haben Daten von über 11 000 Adoptivkindern sowie deren Adoptiv- und biologischen Eltern ausgewertet. 2,2 % der Personen hatten aufgrund eines klinisch relevanten Ohrgeräusches einen Arzt aufgesucht.
Verglichen die Wissenschaftler die Zahlen der Kinder mit Ohrgeräuschen mit den Zahlen der tinnitusgeplagten Adoptiveltern, zeigte sich keinerlei Zusammenhang (Odds Ratio 1). Waren dagegen die biologischen Eltern von den Phantomklängen betroffen, lag bei den leiblichen Kindern die Rate für das fiese Klingeln im Ohr doppelt so hoch (Odds Ratio 2,2).
Vielleicht verstärken die Gene auch nur die Symptome
„Unsere Untersuchung deutet darauf hin, dass ein klinisch signifikanter Tinnitus mit genetischen Faktoren assoziiert ist“, schreiben die schwedischen Kollegen. Die errechnete Heritabilität liege bei 32 %. Dass die Krankheit der Adoptiveltern sich beim Nachwuchs nicht auf dessen Erkrankungsrisiko auswirkt, deute gleichzeitig darauf hin, dass man familiäre Umwelteinflüsse im Jugendalter vernachlässigen könne.
Nicht auszuschließen sei nach Ansicht des Forscherteams allerdings eine weitere Möglichkeit: Dass die Gene nicht unmittelbar zur Entstehung des Tinnitus beitragen, sondern steuern, ob die Ohrgeräusche ein quälendes Stadium erreichen.
Quelle: Cederroth CR et al. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2019; online first