Schluckstörungen erkennen und adäquat behandeln
Bis zu ein Drittel aller Senioren, die ihren Alltag noch selbstständig bewältigen, leiden an Schluckstörungen. Unter Heimbewohnern trifft es sogar mehr als die Hälfte, erklären Privatdozentin Dr. Christina Pflug vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Kollegen. Dass derartige Probleme gerade ältere Menschen treffen, verwundert nicht: Mit der Zeit nehmen Empfindlichkeit, Kraft und Koordination im Mund-Nasen-Rachenraum sowie im Ösophagus ab. Erkrankungen wie Schlaganfall, Morbus Parkinson oder Osteophyten an den Halswirbeln können einen zusätzlichen Beitrag leisten. Grundsätzlich kann eine Dysphagie aber genauso in jüngeren Jahren auftreten. Auch Neuroleptika, Anticholinergika oder Sedativa verstärken oder lösen Schluckstörungen mitunter aus.
Beeinträchtigungen sind in allen Phasen des Schluckakts möglich. Präoral verzögern beispielsweise ein geringeres Durst- und Hungergefühl, eine schwächere Sehkraft oder ein nachlassender Geruchssinn die Ingestion. Mit weniger Speichel und einem entsprechend trockenen Mund lässt sich der Speisebolus schwerer formen. Dies wiederum erschwert die Kontrolle des Bissens samt Transport in Richtung Rachen und verlängert neben der präoralen auch die orale Phase.
Im Alter löst zudem der Schluckreflex schwerer aus. In der anschließenden pharyngealen Phase kann es, wenn die Abfolge von Schlucken und Atmung gestört ist, gehäuft zum Ein- statt Ausatmen kommen. Auch Muskelschwund und zurückgehende Elastizität von Kollagenen und Muskeln können den Schluckakt vom Mund bis zur Speiseröhre behindern.
Lungenentzündungen oft dysphagiebedingt
Bis zu einem bestimmten Grad ist es möglich, solche Defizite zu kompensieren. Erst wenn dies nicht mehr gelingt, manifestieren sich die Störungen als Dysphagie. Dann jedoch steigt auch das Risiko für ernste Komplikationen. Neben Einbußen der Lebensqualität sind vor allem Dehydratation, Mangelernährung und Aspirationspneumonien zu nennen. Zwischen 6 und 53 % aller Lungenentzündungen gehen auf ihr Konto und von zehn betroffenen Dysphagikern versterben zwei bis drei an ihr.
Relevant ist eine Dysphagie aber auch bei der Medikation von Patienten – ein Aspekt, der nach Angaben von Dr. Pflug und Kollegen häufig vernachlässigt wird. Bleibt die Tablette hängen, stört dies die Freisetzung des Wirkstoffs und reizt ggf. lokal die Schleimhaut. Allerdings bemerken viele Betroffene die schleichenden Veränderungen gar nicht oder sprechen nicht von sich aus darüber. Daher sollte man gerade bei älteren Patienten aufmerksam sein und Symptome gezielt erfragen.
- Hustet, räuspert oder verschluckt sich die Person beim Essen/Trinken häufig?
- Hat sie Schwierigkeiten, Tabletten zu schlucken?
- Wann treten die Probleme auf: vor, während oder nach dem Schlucken?
Auch der Verlauf des Körpergewichts und das Auftreten von Pneumonien können Hinweise liefern. Informationen beispielsweise von den Angehörigen zum Esstempo, der bevorzugten Konsistenz der Speisen, Schmerzen, Atemnot und Sodbrennen, eingenommenen Medikamenten oder auch über kognitive Störungen helfen, die Erkrankung besser einzuschätzen.
Fragebögen wie der EAT-10 erleichtern es, eine Dysphagie zu erfassen. Zudem bieten Screenings die Möglichkeit, aspirationsgefährdete Patienten zu detektieren. Die Aussagekraft solcher Tests ist jedoch begrenzt, da mitunter mehr als die Hälfte der Betroffenen still aspiriert, also gar nicht hustet, und nicht jedes Screening für alle Patienten gleichermaßen geeignet ist.
Will man die Dysphagie differenziert untersuchen, kommt man um eine apparative Diagnostik nicht herum. Goldstandard hierzulande ist mittlerweile in den meisten Fällen die fiberendoskopische Schluckuntersuchung (FEES) durch ein Arzt-Logopäden-Team. Dabei wird ein dünnes, flexibles Videolaryngoskop über die Nase in den Rachen eingeführt und so platziert, dass man einen guten Blick auf die Strukturen des Kehlkopfbereichs hat und alle relevanten Schluckfunktionen prüfen kann. Auch eine transnasale Ösophagoskopie ist möglich.
Je nach Art und Ursache der Dysphagie lassen sich Aspirationen und andere Risiken auf verschiedene Weisen minimieren. Die Therapie erfolgt in erster Linie logopädisch. Spezielle restituierende Übungen trainieren Wahrnehmung und Kraft und sollen die Schluckfunktion verbessern bzw. wiederherstellen. Kompensierende Methoden zielen auf ein geändertes Schluckverhalten, unter anderem durch die Körperhaltung (zum Beispiel das „Chin-Down-Manöver“).
Es gibt spezielle Trinkgefäße und spezielles Essbesteck
Gegebenenfalls sind auch adaptive Verfahren nötig. Hierbei erleichtert man das Schlucken durch Zerkleinern von Speisen und – zumindest für die Einnahme von Tabletten oder während des Essens – Andicken von Flüssigkeiten. Daneben helfen Spezialbecher und -besteck. Eventuell lässt sich pharmakologisch etwas ausrichten. Die Studienlage dazu ist aber eher widersprüchlich.
Quelle Text und Abb.: Pflug C et al. Hamburger Ärzteblatt 2020; 74: 12-16 © Hamburger Ärzteverlag, Hamburg