Frailty Sturzgefahr und Demenzrisiko verhindern

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Altersassoziierte Gebrechlichkeit ist bedingt durch eine klinisch relevante Abnahme der körperlichen sowie geistigen Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Altersassoziierte Gebrechlichkeit ist bedingt durch eine klinisch relevante Abnahme der körperlichen sowie geistigen Gesundheit und Leistungsfähigkeit. © Mediteraneo – stock.adobe.com

Gebrechlichkeit im Alter kann man erfolgreich entgegenwirken – sofern man sie beizeiten als solche erkennt. Damit die Therapie gelingt, sollten alte Menschen einmal jährlich gezielt untersucht werden. 

Das Gebrechlichkeitssyndrom, auch als Frailty bezeichnet, beeinflusst die Gesundheit weitaus stärker als das chronologische Altern, erläutern Dr. ­Michael ­Gagescha und Kollegen vom Stadtspital ­Zürich. Denn kommen zu einer hohen Zahl an Lebensjahren noch Gebrechlichkeit und Schwäche hinzu, steigt für einen betagten Menschen das Risiko für Demenz und Depression. Komplikationen während eines Klinikaufenthaltes sind dann häufiger als bei fitten Alten, auch Herz-Kreislauf-, Atemwegs- sowie Krebs- und Infektionserkrankungen verlaufen schwerer. Nach Operationen kommt es häufiger zum Delir und zur Aufnahme ins Pflegeheim. Konkret heißt das, dass gebrechliche Menschen im Vergleich zu Personen ohne ­Frailty ein doppelt so hohes Risiko für Stürze, Klinikeinweisungen und Mobilitätsverlust haben. 

Psychischer Stress wird schlechter kompensiert

Altersassoziierte Gebrechlichkeit ist als ein Zustand eingeschränkter Kompensationsfähigkeit gegenüber psychischen und körperlichen Stressoren aufzufassen, schreiben die drei Autoren. Bedingt ist sie durch eine klinisch relevante Abnahme der körperlichen sowie geistigen Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Zu den Faktoren, die ­Frailty fördern, zählen im Wesentlichen kardiovaskuläre, endokrinologische, muskulo­skelettale und neuro­degenerative Erkrankungen, ebenso chronische Inflammation, Depression und Poly­pharmazie. Zudem haben sozio­demografische Faktoren wie höheres Lebensalter, weibliches Geschlecht, Ausbildung und Einkommen sowie Einsamkeit merklichen Einfluss.

Therapeutisch haben sich multimodale Aktivitätsprogramme mit Krafttrainingskomponente bewährt. Bei ungewolltem Gewichtsverlust sowie bei Unter- oder Mangelernährung sollte eine bedarfsgerechte Protein- und Kalorienergänzung erfolgen. Wichtig ist, die Dauermedikation der Patienten regelmäßig zu überprüfen, um unnötige Arzneimittel als Treiber der Frailty absetzen zu können und unerwünschte Arzneimitteleffekte zu reduzieren.

Mittels eines strukturierten Screenings auf das Gebrechlichkeitssyndrom lassen sich für einen älteren Patienten Risiko und Nutzen eines medizinischen Eingriffs abschätzen. So empfehlen etwa die Experten der ­European ­Society of ­Cardiology (ESC) seit 2017, vor Herzklappeneingriffen beim älteren Patienten ein Frailty-­Screening durchzuführen.

Das ist beim gebrechlichen Patienten zu tun

  • bei eingeschränkter Mobilität und verminderter Muskelkraft: Trainingsprogramm (Kraft und Ausdauer), optimal ≥ 5 Monate, dreimal pro Woche (30–45 min)
  • bei Appetitverlust, Malnutrition: bedarfsdeckende Protein- und Kalorienzufuhr (≥ 1 g Protein/kgKG), idealerweise mit Molkeneiweiß; Abklärung der Mundgesundheit
  • bei Erschöpfung: Screening auf Depression, Anämiediagnostik, Bestimmung von Schilddrüsenwerten und Vitamin-B12-Spiegel
  • bei Polypharmazie: regelmäßige Überprüfung der Dauermedikation, Vermeiden potenziell inadäquater Medikation (z.B. anhand der PRISCUS-Liste)

In Großbritannien gibt es seit einigen Jahren Konsensusempfehlungen, um das Frailty-­Syndrom in der Grundversorgung bestmöglich diagnostizieren und therapieren zu können. Dort ist ein elektronischer ­Index in den Hausarztpraxen etabliert, in den bereits gestellte Diagnosen, funktionelle Defizite des Patienten und andere klinische Routinedaten eingehen. Es ist das erklärte Ziel des britischen ­National ­Health ­Service (NHS), Menschen mit ­Frailty frühzeitig zu identifizieren, um ihnen und dem Gesundheitssystem ungerechtfertigte und nicht gewünschte Klinikeinweisungen zu ersparen.

Zur Diagnostik eignen sich Frage­bogen wie die ­Clinical ­Frailty ­Scale. Bei auffälligem Ergebnis folgt ein geri­atrisches ­Assessment, das funktionelle, neuropsychologische und sozialmedizinische Aspekte einschließt. Zur Früherkennung empfehlen die Autoren ein jährliches Screening für alle Patienten ab 80 Jahren, bei Multimorbidität schon ab 70 Jahren.

Quelle: Gagescha M et al. Swiss Med Forum 2022; 22: 674-677; doi: 10.4414/smf.2022.09137