Kasuistik Tod nach Applikation von Aktivkohle in die Lunge
Die Gabe von Aktivkohle gilt nach wie vor als Dekontaminationsverfahren der ersten Wahl bei leichten bis mittelschweren peroralen Vergiftungen. Sie kann aber tödliche Folgen haben, wie das Beispiel einer 14-jährigen Patientin zeigt. Das Mädchen hatte in mutmaßlich suizidaler Absicht mehrere Tabletten Amitriptylin eingenommen. Im erstbehandelnden Krankenhaus wurde ihr die medizinische Kohle über eine Magensonde verabreicht. Doch der Schlauch gelangte versehentlich in die Trachea und die Medizinalkohle wurde direkt in die Luftröhre und in die Bronchien appliziert.
Als die Ärzte ihren Fehler bemerkten, verlegten sie die junge Patientin umgehend in eine Klinik der Maximalversorgung. Doch die dortigen Kollegen konnten sie nicht mehr retten. Trotz intensivmedizinischer Therapie und mehreren Bronchiallavagen starb das junge Mädchen nach 18 Tagen an einem akuten Lungenversagen aufgrund der massiven Aspiration, schreiben Dr. Simone Bohnert und Kollegen von der Universität Würzburg.
Bei der Obduktion mit nachfolgender mikroskopischer Untersuchung fiel eine heterogene Verteilung intraalveolär gelegener Kohleansammlungen auf. Diese waren in sämtlichen Lungenlappen nachweisbar, zudem fanden sich akut und chronisch inflammatorische Veränderungen.
Magensonde nur bei wachen und kooperativen Patienten
In diesem Fall wurden gleich mehrere Fehler begangen: Normalerweise wird Aktivkohle eingesetzt, um eine weitere Giftresorption nach oraler Ingestion zu verhindern. Vorher muss eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen, die sich nach dem zu erwartenden Schweregrad richtet. Der Patient muss außerdem wach und kooperativ sein.
Strikt kontraindiziert ist die Maßnahme wegen der hohen Aspirationsgefahr bei bewusstseinsgetrübten Personen ohne ausreichende Schutzreflexe. Die Verwendung einer Magensonde ohne vorausgehende Lagekontrolle gilt als obsolet. Die Verabreichung über einen Magenschlauch gegen den Willen des Patienten ist nur bei lebensbedrohlicher Vergiftung zum Beispiel im Rahmen eines Suizidversuchs erlaubt. Außerdem muss die Noxe ausreichend an Aktivkohle binden, was allerdings bei den meisten Arzneimitteln sowie bei pflanzlichen und tierischen Giften der Fall ist.
Schließlich muss eine hinreichende Indikation vorliegen. Bei Ingestion einer niedrigen Dosis Amitriptylin ist diese sicher nicht gegeben, eine Monitorüberwachung genügt. Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass eine versehentliche tracheale Applikation nur möglich ist, wenn körperlicher Zwang angewendet wird oder der Patient bewusstseinsgetrübt ist. Die Anlage einer Magensonde ohne Lagekontrolle zur Verabreichung von Aktivkohle oder enteraler Ernährung ist ein grober ärztlicher Behandlungsfehler.
Quelle: Bohnert S et al. Rechtsmedizin 2023; DOI: 10.1007/s00194-022-00610-z