Interview Tristesse trifft Herzerkrankung
Wie häufig findet man bei Menschen mit kardialen Erkrankungen eine Depression?
Prof. Kahl: Ob hypertensive Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen oder angeborene Herzfehler bei Erwachsenen – bei all diesen Erkrankungen liegt die Häufigkeit von Depressionen oder Angststörungen um den Faktor 2–3 höher als in der Normalbevölkerung und die Jahresprävalenz bei 15 % statt 7–8 %.
Leider bleiben die psychischen Erkrankungen bei diesen Patienten oft unerkannt. Einer der Gründe ist, dass körperliche Symptome der Depression wie Kraftlosigkeit oder Antriebsschwäche auch zu Zeichen einer Erkrankung wie z.B. der Herzinsuffizienz gehören können. Im Sinne einer „Eigenstigmatisierung“ als Patient mit Herzerkrankung kommen die Betroffenen nicht darauf, dass zusätzlich auch psychische Störungen vorliegen könnten. Zudem fehlen oft die Möglichkeiten zur Durchführung der langwierigen Diagnostik einer Depression. Nicht zuletzt scheuen Kardiologen oder Hausärzte möglicherweise davor zurück, ihren herzkranken Patienten zusätzlich eine psychiatrische Diagnose zuzumuten.
Wann ist in jedem Falle eine Behandlung indiziert?
In eigenen Studien konnten wir nachweisen, dass die Lebensqualität unabhängig vom NYHA-Stadium bei Depressionen stark eingeschränkt ist. Außerdem lässt bei Depressionen häufig die Adhärenz nach. Die notwendigen Medikamente zur Behandlung der Herzerkrankung werden nicht mehr regelmäßig eingenommen, was die Prognose verschlechtern und die Mortalität und Rehospitalisierungsrate erhöhen kann.
Eine nachgewiesene Depression stellt somit unabhängig vom Alter und von der Grunderkrankung immer eine Behandlungsindikation dar.
Wie sieht die Therapie aus?
Für leichtere Formen helfen Psycho- und Sporttherapie. Mangelt es an psychotherapeutischen Angeboten, können überbrückend digitale Angebote genutzt werden. Bei schweren Depressionen ist in der Regel eine Therapie mit Antidepressiva indiziert. Keinesfalls sollte eine kardiovaskuläre Erkrankung ein Grund sein, auf eine antidepressive Therapie zu verzichten.
Was muss beim Einsatz von Antidepressiva bedacht werden?
Ein wichtiger Punkt ist die Verlängerung der QT-Zeit, die man vor allem bei Rhythmusstörungen, angeborenen Herzfehlern und morphologischen Veränderungen durch Herzinsuffizienz ohnehin oft findet. Einige Antidepressiva wie die gängigen selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Citalopram oder Escitalopram oder auch trizyklische Antidepressiva (TZA) wie Amitriptylin können die QT-Zeit zusätzlich verlängern, was dann gefährlich werden könnte. Vor allem ältere Menschen über 65 Jahre sind dadurch gefährdet.
Viele Patienten mit kardialen Erkrankungen benötigen – z.B. aufgrund von Vorhofflimmern – eine Antikoagulation. Bei Gabe von NOAK können einige gängige Antidepressiva – vor allem aus der Gruppe der SSRI – das Risiko für intrazerebrale Blutungen unter dieser Therapie erhöhen, was ebenfalls berücksichtigt werden muss.
Zudem gilt es, auf weitere substanzeigene Nebenwirkungen der verschiedenen Psychopharmaka auf das Herz-Kreislauf-System zu achten. TZA haben durch ihre anticholinerge und Chinidin-ähnliche Wirkung ausgeprägte kardiovaskuläre Nebenwirkungen und sollten bei Herzpatienten vermieden werden. Unter Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) wie Venlafaxin kann es zu einem Blutdruckanstieg kommen, SSRI tragen evtl. zu einer orthostatischen Hypotension bei.
Relativ sichere Alternativen für kardiologische Patienten sind einige eher selten eingesetzte neuere Antidepressiva wie Agomelatin und Tianeptin oder auch Bupropion.
Welche Alternativen gibt es, wenn Antidepressiva zu risikoreich erscheinen?
Werden Antidepressiva bei mittelschweren bis schweren Depressionen nicht vertragen oder scheinen sie zu risikoreich, stellen psychotherapeutische Verfahren die beste Alternative dar. Bei Patienten mit schweren Formen und zusätzlicher Herzerkrankung sollte diese Therapie möglichst stationär oder teilstationär und unter Einbeziehung von Psychokardiologen erfolgen.
Johanniskraut als pflanzliche Alternative kommt nur bei leichteren Depressionen infrage und es müssen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beachtet werden.
Quelle: Medical-Tribune-Interview mit Prof. Dr. Kai G. Kahl