Untrainiert, adipös, Bluthochdruck – fünf Schritte zu einem umsetzbaren Trainingsplan
Neun Monate Homeoffice hinterließen Spuren bei einem 50-Jährigen. Pandemiebedingt hat der ohnehin schon Übergewichtige noch einmal 20 kg zugelegt und bringt nun 138 kg auf die Waage. Mit seiner Körpergröße von 1,86 m ergibt sich ein BMI von 39,6 kg/m2. Als Grunderkrankung besteht eine arterielle Hypertonie, Selbstmessungen zufolge liegt der Blutdruck trotz Therapie bei 140/95 mmHg. Kürzlich hat der Hausarzt einen Typ-2-Diabetes diagnostiziert, weshalb sich der Patient zur Lebensstilmodifikation in der sportmedizinischen Ambulanz wiederfindet, berichtete Dr. Katrin Esefeld, Klinikum rechts der Isar, München.
Tipp 1: Erst das Basis-Assessment, dann der Sport
Bevor man irgendwelche konkreten Übungen empfiehlt, steht immer eine sportkardiologische Untersuchung an, inklusive Belastungstest, internistischer und grob orthopädischer Evaluation. Im Herzecho des Patienten finden sich neben einer guten linksventrikulären EF Hinweise auf eine hypertensive Herzerkrankung. Auf dem Fahrradergometer kann der beschwerdefreie Mann ausbelastet werden, maximal strampelt er allerdings nur 1,5 Watt/kg. „Das ist für einen 50-Jährigen natürlich nicht gut“, urteilte Dr. Esefeld. Zudem bestätigt sich sowohl in der Ergometrie als auch in der Langzeit-RR-Messung der schlecht eingestellte Hypertonus.
Tipp 2: Training mit optimaler medikamentöser Therapie kombinieren
Die Kollegin passt die Pharmakotherapie entsprechend an. Jetzt geht’s an die Trainingsempfehlungen. Ähnlich wie im Freizeit- und Leistungssport gilt es, das Ziel der körperlichen Aktivität zu definieren. Im Fallbeispiel muss vorrangig das kardiovaskuläre Risiko reduziert werden.
Bezüglich des anzustrebenden Pensums hilft ein Blick in die detailliert ausgearbeitete ESC**-Leitlinie zur Sportkardiologie. Die darin enthaltenen Vorgaben speziell für Adipöse und Hypertoniker überschreiten deutlich die gemeinhin bekannten 150 Minuten pro Woche. Konkret sollte der 50-Jährige ein moderates oder intensiveres Ausdauertraining über mindestens 30 Minuten an fünf bis sieben Tagen pro Woche absolvieren, ergänzt durch Kraftübungen an drei oder mehr Tagen. Dieses straffe Programm lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Vor allem am Anfang darf man Patienten nicht überlasten und muss deren eigene Motivation stärken.
Tipp 3: Die individuelle Trainingsintensität ermitteln
Wie findet man nun die optimale „Dosis“? Als recht einfach, wenn man nichts anderes zur Verfügung hat, bezeichnete Dr. Esefeld die Karvonen-Formel. Die Trainingsherzfrequenz errechnet sich aus maximalem Puls (z.B. im Belastungs-EKG) und Ruhepuls. Die Differenz dieser beiden Werte wird mit einem Faktor multipliziert und zur Ruhefrequenz addiert. Für ein intensives Ausdauertraining liegt der Faktor bei 0,8, für ein moderates bei 0,6 und für Untrainierte bei 0,5.
Als weitere Möglichkeiten nannte die Kollegin BORG-Skala, Spiroergometrie und Ergometrie mit Laktatdiagnostik. Erstere bildet die subjektive Anstrengung während einer Belastung ab. Anzustreben beim Sport ist zunächst ein Wert zwischen 11 und 13 (leichte bis etwas schwere Belastung). In der Spiroergometrie ergeben sich die Trainingsbereiche aus der ventilatorischen Schwelle (Watt- oder Pulszahl ablesen) oder der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2peak). 50–60 % VO2peak kommen einer moderaten Intensität gleich.
Der Mann im Fallbeispiel unterzieht sich einer Laufbandergometrie mit Laktatdiagnostik. Diese Methode entspricht seiner sportlichen Präferenz: Langfristig stellt er sich am ehesten Walken bzw. Joggen vor. Im Test erreicht er bei ungefähr 7 km/h seine individuelle anaerobe Schwelle. „Alles darüber ist für ihn am Anfang sicher zu viel“, mahnte die Expertin. Statt der Laufgeschwindigkeit kann man grundsätzlich auch die in den Kurven ersichtliche Herzfrequenz als Belastungsgrenze heranziehen.
Tipp 4: Regelmäßigkeit und „start low, go slow“ sind das Entscheidende
Der Plan für den 50-Jährigen lautet, täglich fünf bis zehn Minuten zu walken. Körperliche Effekte hat dieses Pensum kaum, vielmehr dient es dem Kopftraining. Der Patient soll sich überlegen, wann er den Sport in seinen Alltag einbaut oder welche Runde er gerne geht.
Steigern lässt sich das Programm wie folgt: Nach zwei Wochen täglich 10–20 Minuten betätigen. In Woche fünf und sechs erhöht sich der Umfang auf 20–30 Minuten und es kommt das Krafttraining hinzu (z.B. Montag, Mittwoch und Samstag). Einplanen sollte man ab sofort einen Pausentag (bspw. Donnerstag). Im Laufe der nächsten Wochen pendelt sich das Walken bei 30 Minuten ein, optional kann eine Einheit durch ein höherintensives Intervalltraining ersetzt werden. Laut Dr. Esefeld bietet sich diese Abwechslung u.a. bei stabilen Patienten ohne KHK an.
Fitnessstudio pandemiebedingt geschlossen?
Tipp 5: Selbstmonitoring, Dokumentation und Erfolgskontrolle
Konkrete Empfehlungen sollte man den Trainierenden aufschreiben. Ein Bewegungsrezept beispielsweise vermittelt eine gewisse Verbindlichkeit, analog zu einem Medikamentenplan. Darüber hinaus muss sich ein Patient selbst monitoren, idealerweise mit einer Pulsuhr, betonte die Kollegin. Denn besonders Anfänger überschätzen sich oft und legen zu motiviert los. Schrittzähler oder Smartphone-Apps eignen sich, um das Training im Nachgang zu dokumentieren. Regelmäßige Kontrolltermine und eine etwaige Anpassung des Sportprogramms unterstützen den Fortschritt. Ein erneutes Gespräch kann bereits nach zwei bis vier Wochen stattfinden. Im Fallbeispiel erfolgt nach drei Monaten eine weitere Laktatdiagnostik. Die anaerobe Schwelle des Mannes hat sich auf 8,5 km/h verschoben. Er spürt eine verbesserte Leistungsfähigkeit, hat 8 kg abgespeckt und das HbA1c ist von initial 6,6 % auf 6,3 % gesunken. Ein solches Resultat motiviert die Patienten letztlich, dranzubleiben, sagte Dr. Esefeld.Quelle: 87. Jahrestagung der DGK**
* European Society of Cardiology
** Online-Veranstaltung