AID-System Marke Eigenbau US-Experte Prof. Dr. David Klonoff über die Do-it-yourself-Bewegung der „Looper”

Interview diatec journal Autor: Dr. Andreas Thomas

„Looper“ bauen sich AID-Systeme 
aus einzelnen Elementen eigenständig zusammen. Im Interview blickt Prof. Dr. David Klonoff mit Skepsis auf diese Bewegung. „Looper“ bauen sich AID-Systeme aus einzelnen Elementen eigenständig zusammen. Im Interview blickt Prof. Dr. David Klonoff mit Skepsis auf diese Bewegung. © patpitchaya – stock.adobe.com; privat

Prof. Dr. David Klonoff ist einer der ausgewiesensten Experten auf dem Gebiet der Diabetestechnologie weltweit. Er organisiert und leitet seit mehr als 20 Jahren das US-amerikanische Diabetestechnologie-Meeting und ist Herausgeber der bedeutenden Zeitschrift „Journal of Diabetes Science and Technology“. Im Interview gibt er seine Einschätzung zur  Bewegung der „Looper“, Menschen mit Typ-1-Diabetes, die AID-Systeme in Eigenregie zusammenbauen.

Warum gibt es Ihrer Meinung nach eine „Do-it-yourself-Bewegung“ von Menschen mit Typ-1-Diabetes? Haben die Hersteller von medizinischen Geräten ihre Patienten „im Stich gelassen“?

Prof. Dr. David Klonoff: Einige Patienten wünschen sich von ihren medizinischen Geräten Informationen und Maßnahmen, die bei diversen kommerziellen Produkten nicht von der FDA zugelassen wurden. Wenn diese Patienten über technisches Geschick verfügen, dann haben sie in einigen Fällen die Funktion ihrer Geräte entsprechend verändert oder ihre eigene Software installiert. Diese Änderungen zur Erbringung der Geräteleistungen wurden aber nicht von den Geräteherstellern entwickelt und sind folglich auch nicht durch die FDA zugelassen. Das „Do-it-yourself-Phänomen“ ist am häufigsten bei sehr technikaffinen Diabetespatienten anzutreffen. 

Alle mir bekannten Medizinproduktehersteller arbeiten mit Hochdruck daran, bessere Produkte zu entwickeln. Die Diabetestechnologie hat sich in den letzten 20 Jahren enorm entwickelt und verbessert. Das bedeutet auch, dass wir große Fortschritte bei Hardware, Software, AID-Systemen und digitalen Gesundheitsprodukten gemacht haben, welche für die Patienten sehr hilfreich sind. Jede neue Generation von Produkten erfordert Ideen und Geld. Mein Eindruck von der Industrie ist, dass die Unternehmen ihr Bestes tun, um nützliche Produkte für die Patienten zu entwickeln, und zwar mit allen Ideen und Geldern, die sie finden können. Die Diabetestechnologie wird jedes Jahr besser. Der Fortschritt braucht Zeit, aber der Becher ist definitiv nicht halb leer – er ist halb voll.  Ich sehe nicht, dass die Medizinprodukteindustrie die Patienten im Stich lässt, bei all den Bemühungen, die ich in diesem Sektor sehe.

Welches sind die Hauptrisiken bei einem Selbstbau eines AID-Systems? Stimmen Sie der Warnung der FDA vor nicht zugelassenen Geräten zu?

Prof. Dr. David Klonoff: Die FDA hat ein strenges Verfahren, um zu gewährleisten, dass zugelassene Geräte sicher und wirksam sind. Ein Patient, der ein zugelassenes Gerät so verändert, dass es auf eine Weise funktioniert, die nicht mit den Angaben des Herstellers auf dem Produktetikett übereinstimmt, geht ein Risiko ein. Das Risiko besteht darin, dass das Produkt möglicherweise nicht von Anfang an sicher ist. Ein Patient verfügt möglicherweise nicht über die Ausrüstung, die Fähigkeiten oder die Ressourcen, um ein Produkt so gründlich zu testen wie ein Gerätehersteller. Wenn er das Produkt verändert, hat der „Heimwerker“ keine Garantie des Herstellers und der Zulassungsbehörden. Er hat auch keine Sicherheit, dass sein Produkt sorgfältig auf Sicherheit geprüft wurde. Wenn es außerdem Software-Patches (diese dienen der Fehlerbeseitigung und der Schließung von Sicherheitslücken in der Software) oder Rückrufe für das Produkt gibt, weiß der Patient möglicherweise nicht, dass er sein Produkt aufrüsten lassen muss. Viele Patienten verlassen sich auf ihre Ärzte, wenn es um die Verwendung ihrer Geräte geht, und wenn ein Arzt Ratschläge zur Verwendung eines Geräts gibt, das außerhalb der Kennzeichnung verwendet wird, bestehen für den Arzt einige potenzielle Haftungsrisiken.

Aus diesem Grund arbeiten die meisten Ärzte nicht mit Geräten, die nicht von der FDA zugelassen sind. Das kann dazu führen, dass „Heimwerkerpatienten“ weniger ärztliche Aufmerksamkeit erhalten, als wenn sie von der FDA zugelassene Geräte verwenden würden. Im vergangenen Monat berichtete die FDA über einen Fall eines schwerwiegenden unerwünschten Ereignisses bei einem Patienten, der ein illegal vermarktetes kontinuierliches Glukosemesssystem zusammen mit einem nicht zugelassenen automatischen Insulindosierungssystem verwendete, was zu einer Insulinüberdosierung führte und ärztliche Hilfe erforderte.

Am 17. Mai 2019 gab die FDA bekannt, dass die Verwendung von nicht zugelassenen oder nicht genehmigten Geräten zu ungenauen Glukosemessungen oder zu unsicheren Insulindosierungen führen kann, was zu Notfällen führen kann, die medizinische Unterstützung erfordern oder sogar zum Tod führen können. Die FDA erklärte außerdem, dass bei der Kombination von Geräten, die nicht für die Verwendung mit anderen Geräten vorgesehen sind oder bei der Verwendung nicht zugelassener Geräte neue Risiken entstehen, die von der FDA nicht ordnungsgemäß auf ihre Sicherheit geprüft wurden. Die Behörde kam zu dem Schluss, dass Patienten nur Geräte und Komponenten verwenden sollten, die von der Behörde auf Sicherheit und Wirksamkeit geprüft sind. Die FDA prüft sorgfältig die Sicherheit und Wirksamkeit von Geräten anhand spezifischer Indikationen für bestimmte Bereiche, bevor sie sie zulässt. Ich schließe mich den Warnungen der FDA vor der Verwendung von nicht zugelassenen Geräten an.

Wird es irgendwann ein „idiotensicheres“ AID-System für Patienten mit Typ-1-Diabetes geben? Und wird dieses zuerst vom „Heimwerker“, von Medizintechnikunternehmen oder aus der Forschung kommen?

Prof. Dr. David Klonoff: Nichts, was von Menschen gemacht wird, ist immer absolut sicher. Selbstfahrende Autos und Hochgeschwindigkeitsaufzüge sind zum Beispiel fast, aber nicht zu 100 Prozent narrensicher, und das gilt auch für medizinische Geräte mit geschlossenem Regelkreis. Bereits verfügbare und in Kürze verfügbare AID-Systeme enthalten viele Sicherheitsmerkmale, die jede Produktgeneration sicherer machen soll als die vorherige. Es ist wichtig, dass alle medizinischen Geräte über eine solide Cybersicherheit verfügen. Solange Patienten jedoch Einfluss auf die Funktionsweise dieser Geräte haben, besteht ein gewisses Risiko, dass ein Patient versehentlich eine Sicherheitsfunktion außer Kraft setzt und in Schwierigkeiten gerät. Am besten ist es, ein System mit geschlossenem Regelkreis gemäß der Software des Herstellers arbeiten zu lassen. Das beste Produkt wird sich aus den Ideen von „Heimwerkern“, Medizintechnikunternehmen und Forschern ergeben. Patienten haben großartige Ideen, was für sie funktioniert, Hersteller haben Methoden, um großartige Produkte zu bauen, und Forscher haben Ideen, wie man Produkte mit neuen Funktionen entwickeln kann.

Gespräch von Dr. Andreas Thomas mit Prof. David Klonoff, nachempfunden einem Interview in der Washington Post