Verschleppte Mundflora löste Leber- und Lungenabszesse aus
Mit Fieber, akuter Dyspnoe, Druckschmerz im rechten Oberbauch und atemabhängigen rechtsseitigen Thoraxschmerzen stellte sich der Patient in der Notaufnahme vor. Die Zahnextraktion und die nachfolgende systematische Parodontitisbehandlung aller Quadranten waren da schon vier Monate her. Eine periinterventionelle antimikrobielle Therapie hatte er nicht erhalten.
Bei der körperlichen Untersuchung fielen eine basale Klopfschalldämpfung über der rechten Lunge sowie auskultatorisch ein abgeschwächtes Atemgeräusch über dem rechten Mittel- und Unterfeld auf. In der bildgebenden Diagnostik zeigten sich rechtsseitig multiple Lungenabszesse, ein ausgedehntes Pleuraempyem und mehrere größere Leberabszesse (5–8,4 cm). Ein Immundefekt war bei dem Patienten nicht bekannt. Noch in der Ambulanz bekam er eine Thorax-Saugdrainage mit Probenentnahme, später folgte die Drainage der Leberherde.
Antibiotika und Drainagen brachten Therapieerfolg
Im Material fanden sich vier verschiedene Spezies der physiologischen Mundhöhlenflora: Streptococcus anginosus, Streptococcus constellatus, Actinomyces odontolyticus und Prevotella denticola. Nach der Leberdrainage, einer operativen Versorgung des Pleuraempyems mittels videoassistierter Thorakoskopie (VATS), der Einlage weiterer Thorax-Saug-Drainagen sowie einer gezielten Antibiose hatten sich die Abszesse innerhalb von sechs Wochen vollständig zurückgebildet.
Multilokuläre pyogene Leber- und Lungenabszesse stellen bei jungen Patienten ohne Risikofaktoren eine Seltenheit dar. Im Fall des 40-Jährigen dürften sie sehr wahrscheinlich Folge der zahnärztlichen Behandlung gewesen sein, schreiben Thomas Schimmel vom Fachbereich Infektions- und Tropenmedizin am Universitätsklinikum Leipzig und Kollegen. Zu den häufigsten Erregern eines pyogenen Leberabszesses zählen Escherichia coli, Klebsiella spp., Enterococcus faecalis und α-hämolysierende Streptokokken, wobei multilokuläre Läsionen eher selten sind. Als wichtige Risikofaktoren gelten der Diabetes mellitus, kürzliche Eingriffe an Gallenblase/Gallenwegen und chronischer Alkoholabusus.
Die Erreger der Streptococcus-anginosus-Gruppe (SAG) scheinen ein hohes Potenzial für eine hämatogene Streuung in verschiedene Organe zu haben und das offenbar häufiger bei Immunkompetenten als bei Immunsupprimierten.
Große Zahneingriffe erfordern Nachbeobachtung
Ihre Spezies fand man auch in einer Analyse von 126 Patienten mit Pleuraempyem, bei 40 % der Fälle mit odontogener Genese. Da die aktuellen Leitlinienempfehlungen hinsichtlich einer Antibiotikaprophylaxe rund um eine Zahnextraktion widersprüchlich ausfallen, raten die Autoren nach größeren Dentaleingriffen zu einer klinischen Nachbeobachtung mit ggf. erweiterter Bildgebung. Denn wenngleich die Absiedlungen in Leber oder Lunge die Ausnahme darstellen, muss man sie auf dem Schirm haben, da diese Komplikationen trotz adäquater Therapie mit einer hohen Letalität einhergehen.
Quelle: Schimmel T et al. Z Gastroenterol 2019; 57: 600-605; DOI: 10.1055/a-0829-7017