Titangeflecht erlaubt Zahnersatz ohne langwierigen Knochenaufbau
Viele Erkrankungen im Mundbereich hinterlassen große knöcherne Defekte. Will man danach fehlende Zähne implantieren, bedurfte es bislang aufwendiger Verfahren zum Knochenaufbau, um eine Verankerung zu schaffen. Die Kollegen der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) verwenden jetzt eine neuartige Methode. Sie pflanzen ein patientenspezifisches fein verzweigtes Titangerüst ein, das praktisch den restlichen oder reduzierten Knochen ersetzend umfasst und bereits die Pfosten für die geplanten Implantate enthält. Mit vielen kleinen Schrauben erfolgt die funktionsstabile Fixierung am Restknochen.
Von der Idee bis zur Umsetzung vergingen neun Monate
Der Patient erhält dann eine provisorische Prothese zum Weichteilschutz, auf der er auch kauen kann. Sechs Wochen später, wenn das Gerüst eingeheilt ist, kommen die neuen Zähne rein. Das Konzept wurde zunächst zur Rekonstruktion der Augenhöhle angewandt, berichtet Professor Dr. Dr. Nils-Claudius Gellrich, Direktor der MKG-Klinik, im Gespräch mit Medical Tribune. Die komplexe Fertigungstechnik erlaubt nicht nur eine genaue anatomische Rekonstruktion, sondern hilft dabei, die Funktionsfähigkeit des knöchernen Bettes wiederherzustellen.
Auf Drängen von Patienten, die den langwierigen Prozess des Knochenaufbaus scheuten, entschloss sich Prof. Gellrich 2015, die Methode auch für Zahnimplantate einzusetzen. Zusammen mit Dr. Björn Rahlf entwickelte er das entsprechende Gerüstimplantat. Der niedergelassene Oralchirurg aus Rendsburg führt seit 20 Jahren Implantationen in seiner Praxis durch und weiß um die Bedürfnisse der Patienten. Von der Idee bis zur Umsetzung dauerte es ca. neun Monate, großen Anteil an dem raschen Fortschritt hatte die KLS Martin GmbH, das Familienunternehmen, das bereits für die Augenhöhlenrekonstruktion als wichtiger Industriepartner zur Seite stand.
Innerhalb weniger Tage lässt sich heutzutage das gesamte Procedere planen, was sich normalerweise über Monate hinzieht. Außerdem erzielt man mit dem Gerüst von vornherein eine hohe Stabilität. Als Indikationen gelten vor allem Situationen mit schweren Defekten, z.B. angeborene Fehlbildungen; beim Gros der bislang 27 behandelten Patienten handelte es sich aber um Schäden durch Tumoren oder Unfälle.
Für den Eingriff zahlt man im Schnitt 10 000 bis 12 000 Euro
Implantatverluste gab es bisher keine, bei mittlerweile mehr als 4 Jahren erster Nachbeobachtung. „Wir verankern das Gerüst ortsfern außerhalb der Belastungszone, daher haben wir z.B. nicht wie bei normalen Zahnimplantaten mit Entzündungen zu kämpfen, die die Knochenverankerung bedrohen“, betont Prof. Gellrich. Die Kosten hängen von der Größe des zu versorgenden Areals ab. Im Durchschnitt belaufen sie sich auf 10 000 – 12 000 Euro. Vor dem Eingriff muss eine Einzelfallbegutachtung eingeholt werden, bisher hatten die Kollegen dabei aber zumeist keine Schwierigkeiten.
Insbesondere Tumorpatienten erhalten rasch die Genehmigung zur Kostenübernahme. Die Nachbehandlung kann theoretisch direkt beim niedergelassenen Zahnarzt erfolgen, derzeit betreut die MHH die Patienten aber noch selbst weiter, bis alles vollständig verheilt ist.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
Quelle Abb.: MHH, MKG-Chirurgie, Prof. Dr. Dr. Nils-Claudius Gellrich