
So schlecht wie ihr Ruf Warum ultraprozessierte Lebensmittel die Gesundheit gefährden

Sie sind lange haltbar, innerhalb kürzester Zeit verzehrbereit und meist relativ preiswert– hochverarbeitete Lebensmittel haben in den letzten Jahrzehnten insbesondere in Nord- und Westeuropa einen regelrechten Boom erlebt. Prof. Dr. Jutta Dierkes von der Universität im norwegischen Bergen ist der Frage nachgegangen, inwiefern sich deren Verzehr auf die Gesundheit auswirkt. Dafür hat die Ernährungsexpertin die Ergebnisse epidemiologischer Studien, systematischer Reviews und Metaanalysen berücksichtigt, die den Einfluss von Lebensmitteln der NOVA-Klasse 4 auf die Inzidenz und Mortalitätsraten bestimmter Erkrankungen untersucht haben.
Zusätze sollen sensorische Eigenschaften imitieren
Unter der NOVA-Klasse 4 werden ultraprozessierte Lebensmittel zusammengefasst, denen ein hoher Anteil an Konservierungs- und Süßungsmitteln, Emulgatoren oder Farbstoffen zugefügt wurde. Diese Zusätze werden meist nicht für die klassische kulinarische Zubereitung von Speisen verwendet, sollen aber deren sensorische Eigenschaften imitieren. Als ultraprozessiert gelten beispielsweise gesüßte Erfrischungsgetränke, Fertiggerichte wie Pizza und Instantsuppen, verpackte Snacks (z. B. Chips, Schokoladenriegel) und sowohl Wurstwaren als auch Fleischersatzprodukte.
Die NOVA-Klassifizierung berücksichtigt den Grad der Verarbeitung und den Gehalt an Zusatzstoffen, die Nährstoffzusammensetzung der Lebensmittel spielt hingegen keine Rolle, schreibt Prof. Dierkes. Dies führe unter anderem dazu, dass auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Lebensmittel in dieselbe Kategorie fallen, die zudem sehr unterschiedliche metabolische Effekte haben können (z. B. Frühstückszerealien, Margarine, Sojasoße).
In Studien erfolgt die Abfrage von Lebensmitteln NOVA-Klasse 4 häufig uneinheitlich, räumt die Autorin ein. So würden sie z. B. teils einzeln und teils in Summe analysiert. Weitere Unterschiede bestünden in der Erfassung der Verzehrmenge (prozentual, nach Portionen oder Gewicht), was den Vergleich verschiedener Untersuchungen erschwere.
Insgesamt konnte ein häufiger Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln unter anderem mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und Tumorerkrankungen in Verbindung gebracht werden. In epidemiologischen Studien wurde dabei der stärkste Zusammenhang für Erfrischungsgetränke und verarbeitete Fleischwaren festgestellt.
Viele Kalorien, aber wenig Nährstoffe und Vitamine
Diese Erkenntnisse stellen den Nutzen des Verarbeitungsgrades als Kriterium jedoch infrage, so Prof. Dierkes. Eine Analyse des Erkrankungsrisikos für einzelne Lebensmittelgruppen (ohne Berücksichtigung des Verarbeitungsgrades) führe zu sehr viel deutlicheren Ergebnissen und sei weniger fehleranfällig. Eines stellt die Expertin jedoch klar: Der Verzehr von ultraprozessierten Lebensmitteln ist in jedem Fall als problematisch anzusehen, da diese in der Regel viele Kalorien liefern, eine hohe Energiedichte aufweisen und nährstoff- sowie vitaminarm sind.
Eine mögliche Erklärung für die potenziell gesundheitsschädlichen Eigenschaften von hochverarbeiteten Lebensmitteln liegt in ihrer Textur. So erfordert der Verzehr in der Regel weder ausgiebiges Kauen, noch Einspeicheln oder die Bolusbildung. Das hat Auswirkungen auf die Essgeschwindigkeit, das Sättigungsgefühl und den postprandialen Blutzuckerspiegel. Auch aus ernährungsphysiologischer Sicht weisen die meisten Fertigprodukte ungünstige Eigenschaften auf. So enthalten sie oft jede Menge Zucker, Fett und Salz bei gleichzeitig niedrigem Anteil an Ballast-, Mikronähr- und sekundären Pflanzenstoffen.
Aus Fett und Zucker entsteht durch Erhitzen Acrylamid
Außerdem werden hochprozessierte Lebensmittel bei der Verarbeitung meist stark erhitzt. Aus Fett und Zucker können dabei im Sinne einer Maillard-Reaktion chemische Substanzen wie Acrylamid oder sogenannte advanced glycation end products (AGES) entstehen. Beide gelten als gesundheitsschädigend.
Quelle: Dierkes J. Ernährungs Umschau 2025; 72: M32-43; doi: 10.4455/eu.2025.004