Von AdAM und eRIKA Wie eine sichere Arzneimitteltherapie bei Multimorbidität gelingen kann

Autor: Dr. Sascha Gehrken

Bei vielen Kranken ist die Gabe mehrerer Medikamente unverzichtbar. In diesen Fällen gibt es einige Hilfsmittel, um die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Bei vielen Kranken ist die Gabe mehrerer Medikamente unverzichtbar. In diesen Fällen gibt es einige Hilfsmittel, um die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. © Gundolf Renze – stock.adobe.com

Mehr als 450.000 Zweierkombinationen aus verschiedenen Arzneimitteln werden im ambulanten Bereich regelmäßig verordnet. Wie soll man die Risiken all dieser Mischungen überblicken – inbesondere bei Multimorbidität? Ohne digitale Unterstützung geht es nicht, sagt ein Experte und stellt aktuelle Strategien für den Praxisalltag vor.

Mit zunehmender Anzahl an Wirkstoffen steigt das Risiko für medikamentenassoziierte Probleme. Im Sinne der Therapiesicherheit versuchte man früher, unter fünf Präparaten zu bleiben. Mittlerweile hat man sich vom bloßen Zählen verabschiedet. Denn „Patienten, bei denen mehr als fünf Arzneimittel erforderlich sind, nehmen auch dann Schaden, wenn sie diese Therapie nicht bekommen“, sagt Prof. Dr. Daniel Grandt vom Klinikum Saarbrücken im Podcast O-Ton Innere Medizin.

Prof. Grandt ist Vorsitzender der Kommission Arzneimitteltherapie-Management & Arzneimitteltherapiesicherheit der DGIM* und kennt die Probleme im Behandlungsalltag: Etwa vier von zehn Patientinnen und Patienten weisen mindestens drei Grundleiden auf, ein Viertel sogar mindestens fünf. „Multimorbidität ist eher die Regel als die Ausnahme“, so der Kollege. In Leitlinien zu den einzelnen Erkrankungen werde dieser Aspekt jedoch nicht ausreichend berücksichtigt. 

Leitlinie zur Multimorbidität wird jährlich überprüft

Die S2k-Leitlinie „Arzneimitteltherapie bei Multimorbidität“, an der Prof. Grandt federführend mitarbeitet, soll diese Lücke füllen. Als Living Guideline unterliegt sie einer jährlichen Überprüfung. Im Podcast verrät der Experte, was sich beim nächsten Update ändert.

Leitlinienempfehlungen sind aber nicht der einzige Aspekt, um eine sichere Pharmakotherapie zu gewährleisten. Laut Prof. Grandt bedarf es einer digitalen Unterstützung. Schließlich werden in Deutschland 1.886 verschiedene Wirkstoffe regelhaft ambulant verschrieben. Wie die elektronische Hilfe speziell für Hausärztinnen und Hausärzte aussehen kann, zeigt das Innovationsfonds-Projekt AdAM (Anwendung digital-gestütztes Arzneimitteltherapie- und Versorgungs-Management).

Im Rahmen des AdAM-Projektes arbeiteten Niedergelassene in der Region Westfalen-Lippe mit einer Software, die anhand von Krankenkassendaten die Gesamtmedikation abbildete und Risiken identifizierte. Eine Studie bestätigte den Vorteil dieser Intervention im Vergleich zur üblichen Versorgung. „Es ist die erste prospektiv randomisierte Studie weltweit, die bei vorselektierten Patienten mit Polypharmazie für ein digital unterstütztes hausärztliches Medikationsmanagement eine Mortalitätsreduktion zeigen konnte“, betonte der Kollege. Hochgerechnet ließen sich mit einer derartigen Strategie 65.000 bis 70.000 Todesfälle bei erwachsenen Patientinnen und Patienten vermeiden.

Ziel ist Sicherheitscheck schon vor der Verordnung

Derzeit läuft das Nachfolgeprojekt eRIKA (eRezept als Element interprofessioneller Versorgungspfade für kontinuierliche Arzneimitteltherapiesicherheit). Es zielt darauf ab, den Sicherheitscheck bereits vor der Verordnung eines Medikaments zu ermöglichen. Wenn eRIKA Regelversorgung würde, gäbe es zu jedem Zeitpunkt einen immer aktuellen und vollständigen Medikationsplan, auf den sowohl die Behandelten als auch Ärztinnen und Ärzte zugreifen könnten, erklärt Prof. Grandt. „Und das wäre ein Riesenfortschritt.“ Denn gerade beim Medikationsplan bestehen aktuell deutliche Defizite.

Solche digitalen Lösungen zeitnah in die Regelversorgung zu überführen, sei eigentlich kein Hexenwerk, so der Kollege. Bis dahin dürfe man nicht verzweifeln angesichts der Fülle an Wirkstoffkombinationen und potenziellen Interaktionen. Wenn es um die Therapiesicherheit geht, rät Prof. Grandt: „Fangen Sie mit den Arzneimitteln an, die Sie häufig verordnen. Schauen Sie, welche gefährlichen Wechselwirkungen möglich sind. Und seien Sie auch kritisch und hinterfragen Sie Dinge, die Sie letztendlich schon immer so tun.“

Weitere konkrete Tipps, eine Einschätzung zum Problem der Selbstmedikation sowie detailliertere Einblicke in die Projekte AdAM und eRIKA gibt es in der Folge. Hören Sie rein!

* Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin

Mehr zum O-Ton Innere Medizin

O-Ton Innere Medizin ist der Podcast für Internist:innen. So vielfältig wie das Fach sind auch die Inhalte. Die Episoden erscheinen alle 14 Tage donnerstags auf den gängigen Podcast-Plattformen. 

Medical-Tribune-Bericht