Mensch, sei doch nicht so intolerant! Wie man Nahrungsmittelunverträglichkeiten auf die Spur kommt
Welche Vielfalt an Reaktionen durch den Verzehr nur eines einzelnen Nahrungsmittels ausgelöst werden kann, erläuterte Dr. Markus Pfisterer vom Verein zur Förderung der Allergie- und Endoskopieforschung und Hausarzt in Heilbronn anhand der Tomate. Die Frucht kann nicht nur Allergien vom Typ I, II oder IV hervorrufen, sondern auch Mastzelldegranulation oder eine Eosinophilenaktivierung. Sogar eine Sensibilisierung durch ihren hohen Nickelgehalt ist möglich.
Der Referent teilte die möglichen Symptome in lokale Reaktionen des Magen-Darm-Trakts ein wie Diarrhö, Blähungen oder Bauchschmerzen und in ferne Reaktionen wie Kopfschmerzen, Rhinitis und Arthralgien. Als generalisierte Reaktionen nannte er Juckreiz, Flush, Herzrhythmusstörungen und Anaphylaxie.
Wie entstehen Nahrungsmittelunverträglichkeiten? Zum einen können sie angeboren sein. Dann verursachen Gendefekte einen Enzym- oder Rezeptormangel, der z. B. zur Laktoseintoleranz oder zu einer Vitamin-B12-Resorptionsstörung führen kann. Auch die autoimmun bedingte Zöliakie ist eine angeborene Erkrankung.
Unverträglichkeiten sind meistens erworben
Die meisten Unverträglichkeiten sind jedoch erworben. Sie können aber teils zu denselben Störungen sowie zu echten Allergien und Pseudoallergien führen, z. B. zu Medikamentenunverträglichkeiten. Die nicht-toxischen Nahrungsmittelintoleranzen werden unterteilt in immunvermittelte, also Allergien, und nicht-immunvermittelte. Zu Letzteren zählen:
- Enzymopathien (Intoleranz gegenüber Laktose, Fruktose u. a.)
- pharmakologische Intoleranzen (z. B. gegen Tryptamin, Tyramin, Glutamat oder Koffein)
- Intoleranzen gegenüber Nahrungsmittelzusatzstoffen (z. B. Lektine, Konservierungsstoffe und Sulfite).
Bei einer Allergie reichen nach erfolgter Sensibilisierung kleinste Mengen des Allergens für eine Reaktion aus. Bei der Pseudoallergie besteht eine dosisabhängige Toleranz und eine Reaktion ist schon beim ersten Kontakt möglich.
Auch die Latenz, also die Dauer bis zum Auftreten der Symptome, kann zur Unterscheidung herangezogen werden. IgE-Typ-I-Reaktionen treten in der Regel wenige Minuten nach Allergenkontakt auf, bei einer Pseudoallergie zeigen sich die Beschwerden innerhalb von 15 Minuten nach Nahrungsaufnahme. Kohlenhydratintoleranzen äußern sich meist nach ca. 30 Minuten. Bei biogenen Aminintoleranzen kann es bis zu drei Stunden dauern. Die Kontaktreaktionen vom Typ IV brauchen wenige Stunden bis zu drei Tage.
Einer näheren Betrachtung unterzog der Referent die Histaminintoleranz. Im Magen-Darm-Trakt können Schmerzen, Krämpfe, Meteorismus, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö auftreten. Im Respirationstrakt sind es Asthma, Fließschnupfen, nasale Obstruktion, Bronchokonstriktion und Dyspnoe. Die Haut reagiert mit Rötung, Urtikaria, Juckreiz und Allergien, das ZNS u. a. mit Kopfschmerzen, Migräne und Schwindel.
Gentest gibt Aufschluss über angeborene Ursachen
Aber auch seltene Symptome wie Zystitiden, psychische Probleme oder Schwellungen der Augenlider können Ausdruck einer Histaminintoleranz sein. Sie entsteht durch Freisetzungsstörungen, z. B. im Rahmen einer Mastzellerkrankung, Abbaustörungen oder auch Vergiftungen durch sehr stark histaminhaltige Lebensmittel. Zur Diagnose kommt man u. a. durch den Nachweis von Histamin im Stuhl, Methylhistamin, Histamin im Urin oder histaminbildende Bakterien. Für angeborene Störungen gibt es entsprechende Gentests.
Therapieoptionen bestehen aus histaminreduzierenden Maßnahmen wie Darmflorasanierung, z. B. mit Probiotika oder Autovakzine. Eine Histaminblockade durch H1-, H2- bzw. H3-Blocker sowie eine Mastzellstabilisierung mit Cromoglicinsäure oder Kalziumionen sind weitere Behandlungsoptionen.
Auch der Sulfitintoleranz widmete Dr. Pfisterer besonderes Augenmerk, da sie weit verbreitet, aber wenig bekannt ist. Sulfit findet man in vielen Lebensmitteln, z. B. zur Haltbarmachung von Getränken, vor allem von Wein oder Sekt. Zur Intoleranz kommt es über verschiedene Mechanismen. Zum einen kann Sulfit im Magen freigesetzt werden und durch Inhalation in die Bronchien gelangen, was bei hyperreagiblem Immunsystem zu einem Bronchospasmus führt. Zum anderen kann ein Defekt der Sulfitoxidase dahinterstecken, der häufig bei Molybdänmangel entsteht.
Die Symptome sind vielfältig: Durchfall, Abdominalschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Kopfschmerzen, Asthma und Hauterscheinungen. Beweisend für die Störung ist ein Provokationstest unter klinischen Bedingungen bei Reanimationsbereitschaft. Die Therapie besteht aus Ernährungsberatung, Karenz und Dinatriumcromoglicinsäure oder Antihistaminika, auch prophylaktisch.
Als Fazit für die Praxis betonte Dr. Pfisterer, dass bei Verdacht auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit eine organische Erkrankung und andere Ursachen wie Schwermetallbelastung, Lambliasis oder Borreliose ausgeschlossen werden müssen. Man sollte außerdem bedenken, dass eine Unverträglichkeit selten allein kommt.
Die Therapie erfolgt multimodal, eine Beschwerdebesserung kann aber meist nicht über Nacht erreicht werden. Für jede Patientin und jeden Patienten muss ein schlüssiges individuelles Behandlungskonzept erstellt werden.