47 Tote in Potsdamer Klinikum: Ermittlungen nach Coronaausbruch

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Ermittelt wird jetzt gegen drei leitende Mediziner und die zwischenzeitlich beurlaubte Geschäftsführung. Ermittelt wird jetzt gegen drei leitende Mediziner und die zwischenzeitlich beurlaubte Geschäftsführung. © iStock/CrailsheimStudio

Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt derzeit gegen die beurlaubte Führungsspitze des Ernst von Bergmann Klinikums. Geäußert wird der Verdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Zusammenhang mit einem COVID-19-Ausbruch.

Wie der Leitende Oberstaatsanwalt und Pressesprecher Wilfried Lehmann erklärt, bestehen „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass sich Patienten während ihrer stationären Behandlung in dem Krankenhaus durch pflichtwidrige Versäumnisse der Beschuldigten mit dem SARS-CoV-2 vermeidbar infiziert haben und ein Teil von ihnen infolge der hervorgerufenen Infektion an COVID-19 verstorben sind“. Auch ein Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz wird geprüft. Ausgangspunkt der Ermittlungen war eine Anzeige der Stiftung Patientenschutz.

Nach einem Coronaausbruch im März meldete die Stadt Potsdam fast täglich neue Todesfälle. 47 Infizierte starben, darunter sehr viele Senioren, im Schnitt 81 Jahre alt. Betroffen war vor allem die Geriatrie. Das Ernst von Bergmann Klinikums (EvB) geht davon aus, dass die im Vergleich zu den ersten vier Monaten des Vorjahres zu beobachtende Übersterblichkeit auf der Geriatrie (2020: 7,3 %; 2019: 6 %, jeweils im Verhältnis zur Gesamtzahl der Patienten) und Infektiologie (2020: 11,6 %; 2019: 6,8 %) mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den COVID-19-Erkrankungen zusammenhängt. Trotz gehäufter positiver Tests schon Mitte März war von der damaligen Klinikleitung erst am 1. April ein Aufnahmestopp ausgesprochen worden.

Gesundheitsamt bat das RKI um Amtshilfe

Ende März hatte das Potsdamer Gesundheitsamt beim Robert Koch-Institut um Amtshilfe ersucht. Nach einer mehrstündigen Begehung am 3. April legte das RKI Empfehlungen zum weiteren Vorgehen vor. Erst dann erfolgte eine strikte Dreiteilung der gesamten Klinik in einen COVID-, Non-COVID- und Normalbereich. Nach einer internen Aufarbeitung des Ausbruchsgeschehens wurde eingeräumt, dass Infektionen von Patienten und Mitarbeitern in ihrem möglichen Zusammenhang hätten betrachtet werden müssen.

Ferner seien Dokumentations- und Meldeprozesse offensichtlich weniger zuverlässig gewesen, als es die hauseigenen Standards vorgesehen hätten. „Wir bedauern jeden Todesfall im Klinikum. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen“, hieß es. Der Oberbürgermeister hat die Geschäftsführer später beurlaubt und neue eingesetzt. Anfang Juni wurde auch der Ärztliche Direktor ausgetauscht.

Ermittelt wird jetzt gegen drei leitende Mediziner und die zwischenzeitlich beurlaubte Geschäftsführung. Die Beschuldigten sollen, so die Staatsanwaltschaft, sowohl im Vorfeld des Ausbruchs und auch im Nachhinein die geeigneten und ihnen möglichen organisatorischen Maßnahmen entweder nicht oder nicht rechtzeitig ergriffen haben. Sie sollen auch versäumt haben, im Ausbruchsmanagement kompetente Personen in die Krankenhauseinsatzleitung zu integrieren.

Verzögerte Maßnahmen gegen den Ausbruch

Bei der Verhinderung oder zügigen Eindämmung des Ausbruchs mittels strukturierter Testungen und einer nachvollziehbaren Dokumentation sieht die Staatsanwaltschaft Defizite. Konkret heißt es, die beschuldigten Ärzte hätten COVID-19-Fälle bzw. -Verdachtsfälle pflichtwidrig nicht oder verspätet ans Gesundheitsamt gemeldet, wodurch Rückschlüsse auf eine epidemiologische Lage und Maßnahmen zur Verhinderung oder Begrenzung eines Ausbruchs nicht mehr möglich gewesen seien. Eventuell hätten Infektionen oder hätte gar der Tod von Patienten verhindert werden können.

Medical-Tribune-Bericht

aktualisiert am 07.07.2020 um 09:10 Uhr