Ärztliche Schweigepflicht am Küchentisch?
Mediziner*innen riskieren berufliche wie rechtliche Konsequenzen, wenn sie ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin zu Hause von anstrengenden oder schicksalshaften Fällen berichten. Zudem bildet die Verschwiegenheitspflicht das Fundament für eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung. Doch wie realistisch ist das Bild des Arztes, der am heimischen Küchentisch alle Details für sich behält, fragen sich Dr. Nathaniel P. Morris und Dr. Neir Eshel von der Stanford University School of Medicine. Und untergräbt diese Erwartungshaltung nicht den Nutzen derartiger Gespräche?
Etwa 85 % der Ärzte sind verheiratet oder leben in einer Partnerschaft. Wahrscheinlich wird nach der Arbeit auch über den Job geredet. Doch Vorsicht: Nicht jeder Lebensgefährte kann die Vertraulichkeit so gut einschätzen wie der Mediziner, der die Infos ausplaudert und damit die Kontrolle über den Inhalt verliert. Machen die Geschichten die Runde und landen letztlich beim Betroffenen, gehen Vertrauen und Adhärenz in die Behandlung verloren. Mitunter droht eine Anzeige.
Auch könnte Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin den Patienten anhand des Erzählten identifizieren. Allein schon aus rechtlicher Sicht haben Details wie Name, Geburtsdatum und alles, was entsprechende Rückschlüsse erlaubt, in einem privaten Austausch nichts zu suchen. Jegliche Kommunikation über den Beruf einzustellen, kann aber nicht die Lösung sein. Denn wie soll eine Beziehung halten oder gar wachsen, wenn ein Arzt besorgt nach Hause kommt, aber nicht preisgeben darf, was ihn bedrückt, so die US-amerikanischen Kollegen.
Gespräche über den stressigen Medizineralltag können entlasten und womöglich einem Burnout vorbeugen. Aus einer Studie geht hervor: Ärzte, die einen schweren Behandlungsfehler gemacht haben, empfinden den Austausch oft als hilfreich – manche stört es aber eher, wenn der Fehler vom Gegenüber heruntergespielt wird. In harten Zeiten können sich Lebensgefährten mit ähnlichem beruflichem Hintergrund gut unterstützen. Unter Ärzten ist diese Konstellation häufig. Rund 40 % der arbeitenden Partner kommen aus dem Gesundheitswesen.
Doch ab wann werden die Inhalte zu intim? Dies gilt es durch Forschung auszuloten, meinen die Experten. Ob Blutdruckwerte oder sensiblere Themen wie Substanzabhängigkeit – Patienten erwarten eine strikte Vertraulichkeit. Vielleicht gebe es aber eine individuelle Abstufung bis hin zu einer gewissen Akzeptanz des privaten ärztlichen „Luftablassens“. Die Kunst liege darin, herauszufinden, wo die Grenze verläuft zwischen dem, was man am Küchentisch mitteilen kann beziehungsweise soll, und dem, was den Patienteninteressen widerspricht.
Grundsätzlich brauchen Mediziner mehr Empfehlungen und Training, wie man das Erlebte verarbeitet, sei es in den heimischen vier Wänden oder zum Beispiel in professionellen Gesprächsgruppen. Auch hier könnten Studien helfen, die (das soziale Umfeld beleuchten und) überhaupt einmal wissenschaftlich erfassen, inwieweit Ärzte ihren Liebsten Details über das Berufsleben verraten.
Quelle: Morris NP, Eshel N. JAMA 2019; online first