Kommentar Das Krokodil des Medizinsommerlochs
Endlich ist er da, der Sommer. Und mit ihm das Sommerloch. Heerscharen von Journalisten ziehen mit Ferngläsern bewaffnet los, um nach Krokodilen oder Schnappschildkröten in Badeseen und Flüssen zu suchen. Meist vergebens.
Egal, dann muss eben die Gesundheit herhalten. „DIESES Vitamin kann vor Herzinfarkt schützen“, titelte die BILD kürzlich. Der Beginn des Artikels: „Jetzt sind Forscher überzeugt: Die Einnahme eines bestimmten Vitamins kann das Risiko von Herzproblemen verringern.“
Nur dass besagte Forscher gar nicht so überzeugt sind, bemüht man sich, die Originalstudie im BMJ zu lesen. Da senkt DIESES Vitamin – der medizinische Fachleser ahnt es schon, das dicke D – den primären Endpunkt „schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse einschließlich Herzinfarkt, Schlaganfall und koronare Revaskularisierungen“ zwar um 9 %, verfehlt aber das statistische Signifikanzniveau. Die Rate des sekundären Endpunkts Herzinfarkt wurde immerhin um 19 % gesenkt, wobei das 95%-Konfidenzintervall beinahe einem Nulleffekt gleichkommt – wie die Autoren einräumen.
Jeden Sommer entpuppen sich die vermeintlichen Krokodile in hiesigen Gewässern als Baumstämme. Das Sonnenvitamin ist dann wohl das Krokodil des Medizinsommerlochs.
Tim Förderer
Redakteur Medizin