Kommentar Krise, Kollaps, Kassenknete
Auch bei Ärzten und Praxispersonal ist „die Stimmung auf dem Tiefpunkt“, wissen die KVen. Trotz einer GKV-Gesamtvergütung von über 46 Mrd. Euro und einem jährlichen durchschnittlichen Reinertrag pro Arztpraxis von 296.000 Euro (2019): „Die Übernahme unternehmerischer Risiken wird nicht adäquat vergütet, steigende Kosten machen den Betrieb einer Praxis immer unrentabler.“
KBV, KVen und Berufsverbände sehen sich gezwungen, eine öffentliche „Krisensitzung der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft“ abzuhalten. Ihr Thema: Die ambulante Versorgung ist gefährdet. Es mangelt an Nachwuchs, an Praxispersonal und an politischer Wertschätzung. Die Praxisteams drängen wieder protestierend auf die Straße – mit der roten Karte für die Gesundheitspolitik und der Kampagne „Praxen in Not“.
Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Es laufen die Honorarverhandlungen. Der Hausärzteverband fordert für 2024 eine Steigerung des Orientierungspunktwertes „im angemessenen zweistelligen Bereich“ – was die KBV mit 10,2 % auch vortrug. Die Offerte des GKV-Spitzenverbandes von 2,1 % lässt ahnen, wie es am Ende um den „vollen Inflationsausgleich“ stehen wird.
Klar: Zusätzliches Geld tut immer gut. Es löst Verteilungskonflikte. Und es erzeugt mehr Zeit für Patienten, vielleicht sogar für weitere ambulante Leistungen, die bisher in Kliniken erbracht werden. Bei jedem vierten oder fünften Hospital kreist eh schon der Pleitegeier. Unwillkommen sind dagegen impfende Apotheker und Gemeindeschwestern in Gesundheitskiosken.
Die Sozialforscher am Puls der Nation raten Politikern dazu, mit gemeinsamen Zielen und weniger Verboten für ein „Wir-Gefühl“ und für Aufbruchsstimmung zu sorgen. Bei den Ärzten muss der Bundesgesundheitsminister noch besser werden. Ggf. darf er auf die zwangsweise Solidarität der Beitragszahler vertrauen.
Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik