Kommentar Diskurs und Dissens
Und dieses „Derzeit“ zieht sich inzwischen seit Jahren. Bilder der Zerstörung, Zahlen zu Verletzten, Erkrankten und Toten sind Teil auch meines Alltags geworden. Da tut es gut, mit anderen zusammenzusitzen und über das zu sprechen, was passiert. Denn es kann durchaus Trost spenden, wenn alle dasselbe durchleben, sich alle mehr oder weniger Sorgen machen und müde sind. Dies galt während der Coronapandemie und trifft auch auf die Krisen der letzten Wochen und Monate zu.
Neben einer solchen Einigkeit in bestimmten Themen- und Lebensbereichen gibt es in unserer Gesellschaft jedoch zunehmend Dissens. Das Land scheint mittlerweile tief gespalten. An allen Ecken bröckeln der Zusammenhalt und das Verständnis für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Und man muss mitunter sehr genau hinsehen, um irgendwo noch etwas Verbindendes zu entdecken.
Besonders schwierig wird es, wenn man im eigenen Bekannten- oder Verwandtenkreis auf Menschen stößt, die (plötzlich) grundlegend andere Positionen vertreten: Corona- und Klimawandelleugner, Impfgegner, Putin-Versteher, Hamas-Bejubler ...
Wie geht man damit um, dass die Freundin aus Studienzeiten sich partout nicht impfen lassen möchte und hinter den Vorteilen der Immunisierung eine Kampagne der Pharmaindustrie wittert? Was kann man tun, wenn ein naher Verwandter mit der Wahl einer in Teilen rechtsextremen Partei liebäugelt und argumentativ gar nicht mehr zu erreichen ist? Wie reagiert man auf einen Arbeitskollegen, der am Tag der Angriffe auf Israel auf seinem Social-Media-Profil die Palästinenserflagge postet?
Dass Einigkeit in wichtigen gesellschaftlichen Fragen nicht einmal im meinem engsten Umfeld besteht, ist mittlerweile Realität. Und ich frage mich: Wo ist noch ein Diskurs möglich und sinnvoll? Bis zu welchem Punkt kann ich den Dissens aushalten? Wir alle werden uns wohl damit abfinden müssen, dass es eine eindeutige Antwort auf diese Fragen nicht gibt.
Kathrin Strobel
Redakteurin Medizin