Im Vorbeigehen verurteilt Gericht sollte über Kosten entscheiden – und entlarvt Praktiken des Ex-Korruptionsverfolgers Alexander B.

Gesundheitspolitik Autor: Anouschka Wasner

Über Jahre blieb das Vorgehen von B. unentdeckt. Jetzt scheint die juristische Verfolgung des Systems an ersten Punkten zu greifen. Über Jahre blieb das Vorgehen von B. unentdeckt. Jetzt scheint die juristische Verfolgung des Systems an ersten Punkten zu greifen. © iStock/BrianAJackson

In der Sache Alexander B., ehemaliger Oberstaatsanwalt in Frankfurt, ist nach fast anderthalb Jahren noch keine Anklageerhebung in Sicht. Aber ein bisschen was bewegt sich doch. Unter anderem durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, das sich deutlich zur Praxis des B. positioniert.

Sommer 2020 platzte in der hessischen Justiz eine Bombe: Oberstaatsanwalt Alexander B., ehemaliger Leiter der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht und „scharfer Hund“, wenn es um Korruption im Gesundheitswesen ging, kam in Untersuchungshaft wegen des Verdachts auf Betrug und Korruption. Der heute 54-Jährige soll seit 2005 Schmiergeld von Firmen erhalten haben, die er mit externen Gutachten zu Korruptions- oder Abrechnungsbetrugsvorwürfen betraut hatte. So die Kurzfassung der Vorwürfe gegen ihn. Die Medien eskalierten – zu Recht – und die Opposition im Landtag bemüht sich seitdem um mehr Information und Aufarbeitung. Anklage wurde jedoch bis heute noch keine erhoben.

Stand des Verfahrens

Die Ermittlungen im Ursprungsverfahren gegen Alexander B. wegen des Verdachts der Bestechlichkeit sind der Generalstaatsanwaltschaft zufolge weitgehend abgeschlossen. Da aber der Verdacht weiterer erheblicher Straftaten bestehe, müsse weiter ermittelt werden. In diesem Jahr werde keine Anklage mehr erhoben. Mittlerweile sei zudem eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Abteilungsleiter und einen Staatsanwalt eingelegt worden, informierte das hessische Justizministerium. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wurde eine dienstaufsichtsrechtliche Prüfung eingeleitet.

Verdacht auf weitere erhebliche Straftaten

Ende November kam dann ein wenig Bewegung in die Sache: Die Ermittlungen im Ursprungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit seien weitgehend abgeschlossen, sei man informiert worden, berichtete Marion Schardt-Sauer, jus­tizpolitische Sprecherin (FDP) aus dem Rechtspolitischen Ausschuss des hessischen Landtags. Da aber außer massiven Dienstpflichtverstößen auch der Verdacht weiterer erheblicher Straftaten bestehe, müsse weiter ermittelt werden. In diesem Jahr werde deswegen keine Anklage mehr erhoben. Bereits jetzt seien vier Staatsanwälte und drei Oberstaatsanwälte mit dem Fall befasst, es werde weiter gegen acht Personen ermittelt. Wegen des erweiterten Verdachts werde ständig geprüft, die Aussetzung des Haftbefehls aufzuheben. Alexander B. war im September vergangenen Jahres überraschend nach nur wenigen Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Ungeachtet dieser Aufarbeitungsbemühungen drehte sich die Welt der Staatsanwaltschaft auch auf einer anderen Ebene weiter: Viele Verfahren, die Oberstaatsanwalt B. in seinen Jahren als Kämpfer für das Recht gegen Ärztinnen und Ärzte angestrengt hatte, werden heute von der Oberstaatsanwaltschaft in Fulda weitergeführt: Die von B. geleitete Ermittlungseinheit in Frankfurt wurde noch 2020 aufgelöst und durch eine neugeschaffene Zentrale Staatsanwaltschaft für Medizinwirtschaftsstrafrecht in Fulda ersetzt. 270 laufende Verfahren wurden von Fulda aus Frankfurt übernommen. Von diesen seien mittlerweile 100 eingestellt, rund die Hälfte wegen Geringfügigkeit. Im Zusammenhang mit einem dieser weiterverfolgten Verfahren, in dem sich ein Arzt wegen Falschab-rechnung verantworten musste, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 11. November eine Entscheidung gefällt, die Bemerkenswertes enthält. Denn im Beschluss des Gerichtes befindet sich auch ein Urteil über die Praxis des ehemaligen Oberstaatsanwaltes B. – und zwar ein deutliches: Gewisse Praktiken des Alexander B. seien „grob rechtswidrig“ gewesen, so das Gericht. Über diesen Richterspruch hat sich der Arzt, um den es eigentlich ging, Verfahrenskosten in Höhe von 365.565,45 Euro gespart – die Staatskasse ist jetzt um den gleichen Betrag ärmer. 2018 war der Arzt durch ein rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Darmstadt wegen Betrugs in 3.172 Fällen zu einem einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Anklagender Staatsanwalt: Alexander B. Der Arzt hatte die Begleitmedikation zur Endoskopie in Form der tiefen Sedierung bei seinen Kassenpatienten zusätzlich auch privat abgerechnet, obwohl die Sedierung bereits in der jeweiligen EBM-Ziffer enthalten ist. Mit der Verurteilung waren dem Arzt auch die Kosten des Verfahrens auferlegt worden. Der größte Batzen darin: Rechnungen der Medi transparent GmbH in Höhe von 365.565,45 Euro. Das Unternehmen hatte 2011 von der Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt den Auftrag erhalten, anhand der Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen eine Übersicht der Patienten zusammenzustellen, für die der Arzt die EBM-Ziffern 13400 und 13421 abgerechnet hatte, sowie eine Übersicht über die Rechnungstellungen von Propofol als IGeL-Leistungen und Unterlagen für eine ggf. später erforderliche medizinische Begutachtung.

Rechnungen genügen dem Gericht „nicht ansatzweise“

Das Oberlandesgericht Frankfurt, das jetzt über die Beschwerde gegen diese Kosten von dem zur Kasse gebetenen Arzt entscheiden sollte, bestätigte zunächst ganz allgemein, dass Auslagen der Staatskasse als Verfahrenskosten dem Verurteilten auferlegt werden. Dazu würden auch Gutachten gehören. Weniger entspannt reagierte das Gericht auf die konkreten Kos­ten, um die es in diesem Fall ging: Es läge erstens keine einzige prüffähige Rechnung der Medi Transparent vor und zweitens sei das Unternehmen auch nicht als Sachverständiger tätig geworden. Kostenbeamte, das Gericht und Kostenschuldner – also der Arzt – müssten in der Lage sein, Rechnungen in allen Einzelheiten zu prüfen. Das aber könne nur anhand einer sachgerechten Aufschlüsselung der Rechnung erfolgen. Diesen Mindestanforderungen würden die von Medi Transparent GmbH gestellten Rechnungen „nicht ansatzweise“ genügen. Die Rechnungen „erschöpften sich in der Angabe der Stundenzahl multipliziert mit dem Stundensatz“. Und um das Fass voll zu machen: Nach Angaben einer Mitarbeiterin des Unternehmens, mit der B. liiert war, sollen sogar rund 50 % der in Rechnung gestellten Stunden gar nicht geleistet worden sein. Angaben des Oberstaatsanwaltes Alexander B. zufolge soll die magere Rechnungsausführung auf der Absprache mit ihm beruht haben, dass die Medi Transparent „zur Übersichtlichkeit des Kostenbandes“ keine Einzeltätigkeitsnachweise zu erbringen habe – so informiert das Oberlandesgericht, allerdings ohne den Oberstaatsanwalt zu nennen. Diese Praxis stieß dem Gericht dermaßen auf, dass ihm bei der Einschätzung des Vorgehens ein einfaches „rechtswidrig“ nicht reichte, es nannte es: „grob rechtswidrig“. Darüber hinaus sei das Unternehmen weder als Sachverständiger tätig geworden noch beauftragt worden. Eine Beantwortung spezifischer Fragen auf ärztlichem Gebiet sei nicht erfolgt. Eine Zeugenaussage einer Mitarbeiterin sowie eine – nachgereichte – Rechnung des Unternehmens würden bestätigen, dass sich die Tätigkeit sämtlicher eingesetzten Mitarbeiter im Erstellen von Listen und Tabellen erschöpfte. Eine Bezahlung auf der infrage kommenden gesetzlichen Grundlage lasse sich damit nicht begründen. Stattdessen stelle sich die erbrachte Leistung als eine bloße Ermittlungsarbeit dar, so das Gericht. Die Wortklauberei ist relevant: Kosten für Gutachten können dem Verurteilten als Verfahrenskosten aufgebrummt werden. Ermittlungstätigkeiten dagegen gehen auf die Staatskasse. Zum Glück für den Arzt. Nicht für alle der noch ausstehenden rund 170 Verfahren des Oberstaatsanwaltes B. ist dieser Kostenentscheid gleichermaßen relevant: Nicht alle müssen zu einer Verurteilung führen und einige werden vielleicht noch eingestellt. Wer aber jetzt noch ein Verfahren offen hat, sollte sich das Aktenzeichen 2 Ws 52/19 merken: Kosten für Gutachten, die im Auftrag von Oberstaatsanwalt B. gestellt wurden, dürften sich damit abwenden lassen. Offen bleibt, ob die Zweifel an der Definition „Gutachten“ auch den Inhalt der Auftragsarbeiten infrage stellen. Bislang wurde von Staatsanwaltschaft und Justizministerium vertreten, dass sich noch keine Anhaltspunkte für eine inhaltliche Angreifbarkeit ergeben hätten. Falls aber doch, könnte sich das natürlich auf die „Altlasten“ auswirken, also auf jene Fälle aus Frankfurt, die jetzt in Fulda weiterbearbeitet werden. Und eventuell sogar auf bereits abgewickelte Fälle.

Die Gutachterkosten im System B.

Die Summen, um die es bei den „Gutachten“ geht, sind beachtlich. In einem anderen Verfahren gegen einen Mediziner sollen Gutachterkosten von mehr als 500.000 Euro entstanden sein, bei vergleichsweise geringem Schaden. Auf Anfrage der FDP-Fraktion erklärte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann, dass diese Auftragsvergabe nicht aufgefallen war, weil die Summe in 80 Teilrechnungen geltend gemacht wurde und weil kein Vier-Augen-Prinzip bei der Generalstaatsanwaltschaft bestand. Das Vier-Augen-Prinzip, das in anderen Bundesländern Usus ist, wurde von der Justizministerin kurz nach dem Auffliegen des Systems Alexander B. auch in Hessen eingeführt. Die Gesamtsumme der Kosten der unrechtmäßigen Gutachtenaufträge von B. sei aktuell nicht bekannt, so die Generalstaatsanwaltschaft. Andere Generalstaatsanwaltschaften im Bundesgebiet verzichten bei medizinstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren grundsätzlich auf das Heranziehen externer Sachverständiger. Auswertungen und Schadensberechnungen werden dann in den überwiegenden Fällen von den polizeilichen Behörden vorgenommen. In Einzelfällen werden externe EDV-Sachverständige hinzugezogen, bei medizinischen Fragen Ärzte konsultiert oder z.B. Mitarbeitende von KVen hinzugezogen.

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