Der Oberstaatsanwalt, der die Ärzte kontrollierte – jetzt selbst im Visier der Justiz
Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ziehen – egal welchen Ausgang sie nehmen – Reputationsschäden nach sich. Diese Aussage hat der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander B. im Laufe seiner Karriere unzählige Male so oder ähnlich getroffen. Jetzt wird auf einmal gegen ihn ermittelt, gegen ihn, den Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen. Der Vorwurf, der ihn in U-Haft gebracht hat, lautet gewerbsmäßige Bestechlichkeit, systematische Korruption über 15 Jahre hinweg. Den Reputationsschaden trägt in diesem Fall auch die Justiz.
Der Oberstaatsanwalt spielte in der Geschichte der Korruptionsbekämpfung im deutschen Gesundheitswesen seit den 1990er-Jahren eine tragende Rolle. Er galt als konkurrenzlose Koryphäe auf seinem Gebiet. Über seine engagierte Tätigkeit als leitender Ermittler sowie unzählige Vorträge und Beiträge hat er Rechtstraditionen geprägt. Beschrieben wird er als hart, aber korrekt und fair. Und sehr konsequent, wenn es um ärztliche Verfehlungen ging. Vorsatz hin oder her, Verfehlung bleibt Verfehlung, schien seine Devise. Wie passt das zusammen mit dem, was jetzt geschehen ist? Reflexhaft versucht man, sich der moralischen Dimension dieser Tragödie zu nähern.
Für manche Ärzte könnte die Aufdeckung, deren Hintergründe noch unklar sind, aber auch noch sehr konkrete Aspekte zum Vorschein bringen. Was wird mit den laufenden Verfahren des Oberstaatsanwalts passieren? Was ist mit den bereits abgeschlossenen? Die KV Hessen will sich bislang nicht äußern, die Generalstaatsanwaltschaft sagt, die Ermittlungsverfahren können unbefangen fortgeführt werden. Solange die Geschehnisse noch so im Nebel liegen wie heute, kann das niemand bestätigen und niemand infrage stellen.
Aktuell erscheint einiges noch unstimmig: Warum sollte Alexander B., der Profi in Sachen Korruption, sich so leicht überführen lassen? Warum sollte er für 240 000 Euro Kick-Back, von denen aktuell die Rede ist, seine Star-Karriere aufs Spiel setzen? Und kann ein Mensch, der über Jahrzehnte hinweg glaubwürdig Moral und Justiz geprägt hat, ein so doppeltes Spiel spielen?
Aber was sind schon Fakten und Hintergründe – für manchen reicht, was bekannt ist, um sich laut zu empören: Die machen doch, was sie wollen! Die bereichern sich doch alle nur! Richtig ist: Wenn sich der Verdacht bestätigen sollte, dass ein Oberstaatsanwalt so lange unkontrolliert agieren konnte, ist das erschütternd und ein Skandal. Und doch steht auf der anderen Seite, dass jetzt ermittelt wird. Man könnte also auch sagen: Selbst Oberstaatsanwälte mit großem Namen sind nicht unberührbar. Nicht immer hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus.
Wir leben in einer Zeit der Aufregung und des Vertrauensverlustes in Politik und Institutionen. Was wir jetzt brauchen, sind Transparenz, Aufklärung und neue Strukturen, die unkontrollierte Alleingänge von Kompetenzträgern – so toll diese auch scheinen mögen – unmöglich machen. Die Leistungsfähigkeit des bestehenden Systems ist aber etwas, das zu bewahren wäre. Denn dass die Arbeit des Oberstaatsanwalts nachhaltige Wirkung hatte auf das Rechtsverhalten von Ärzten, stellen die wenigsten infrage. Und dass Recht geschieht, sollte das Ziel bleiben. Das gilt für Ärzte wie für Oberstaatsanwälte.
Anouschka Wasner
Redakteurin Gesundheitspolitik