Das „System Alexander B.“ „Ich wusste, dass mein Handeln unzulässig war“
Am zweiten Tag der Hauptverhandlung gegen Oberstaatsanwalt Alexander B. verlas dieser eine 19-seitige Aussage, die mit Spannung erwartet worden war. Darin bekannte er sich zu der ihm vorgeworfenen Annahme von Bestechungsgeldern.
In einem persönlichen Teil der Aussage, der einen unerwarteten Stellenwert einnahm, sprach er von einer traumatisierenden Kindheit mit Missbrauchs- und Gewalterfahrungen. Diese hätten bei ihm einen „starken Überlebenswillen“ zur Folge gehabt hätten. Darüber hinaus sei er durch eine langjährige Beziehung mit einer psychisch erkrankten Partnerin finanziell stark gefordert gewesen. Die Folge: Flucht in Arbeit.
Und Flucht in die Karriere. „Mein beruflicher Erfolg war mein einziger Lebensinhalt“, sagte er. Dass er die Idee seines Schulfreundes unterstützte, ein Unternehmen zu gründen, das der Staatsanwaltschaft Sachverständige aus dem medizinischen Abrechnungswesen liefert, sei diesem Streben zuzuschreiben.
Alexander B. brauchte die sachverständigen MFA
Vor der Gründung der medi-transparent GmbH im Jahr 2004 hatte sich abgezeichnet, dass die damalige Ermittlungssondereinheit AG Ärzte, in der B. über zwei Jahre intensiv mitgearbeitet hatte, aufgelöst werden sollte. Die Einheit war temporär zur Abwicklung von hunderten Ermittlungsverfahren gegen eine Private Verrechnungsstelle und ihre ärztlichen Auftraggeber eingerichtet worden.
Was Alexander B. offensichtlich fürchtete war, dass dieser erste Schritt hin zu einem u.a. durch die hinzugezogenen MFA erfolgreichen Medizinstrafrecht an diesem Punkt enden könnte. Denn damit hätte er, der er sich gerade in das Gebiet eingefuchst hatte, wohl auch seine gerade begonnene Karriere verloren.
Unter dem zunehmenden finanziellen Druck habe er dann die Unrechtsvereinbarung mit dem Geschäftsführer der medi-transparent getroffen, dass ein Drittel des Nettogewinnes des Unternehmens an ihn weitergeleitet wird. Später wurden daraus sogar 60 %. Auch mit einem zweiten Unternehmen traf er eine Vereinbarung: 1 Euro pro vermittelte Arbeitsstunde sollte man ihm dort bezahlen.
Schmiergeldeinnahmen von etwa 280 000 Euro
Dabei sei ihm Unrechtmäßigkeit der getroffenen Vereinbarung klar gewesen: „Ich wusste, dass mein Handeln unzulässig war.“ Doch er hielt das System aufrecht, über viele Jahre, bis zu seiner Festnahme im Juli 2020. Im nicht verjährten Zeitraum von August 2015 bis Juli 2020 soll B. Schmiergeldeinnahmen von etwa 280 000 Euro generiert haben.
„Ich hätte dieses System der Schmiergeldzahlungen nicht stoppen können“, sagte B. So gesehen könne er der Frankfurter Staatsanwaltschaft nur dankbar sein, dass sie ihn aus diesem „Sumpf“ gezogen hat. Der Schaden, welcher der Justiz sowie seine Kollegen und Vorgesetzten entstanden sei, sei ihm bewusst. Er übernehme die persönliche und strafrechtliche Verantwortung für sein Tun. Seit seiner Festnahme sei er mit der psychologischen wie materiellen Aufarbeitung beschäftigt, er habe auch sein Vermögen aufgelöst.
Von den betroffenen Ärzten hat er nicht gesprochen
Nicht eingegangen ist der Oberstaatsanwalt, der für viele Ärzte ein verkörpertes Präventionsprogramm darstellte, auf die ins Fadenkreuz geratenen Mediziner, die unter seinem übersteigerten Ehrgeiz, seinen Drohszenarien und seinem herrischem Auftreten gelitten haben.
Als Druckmittel diente dem Oberstaatsanwalt die Androhung von Rufschädigung und Approbationsentzug. Betroffene, Angehörige und Rechtsanwälte erzählen heute, wie zerstörerisch seine Art der Ermittlungen auf persönlicher Ebene waren. So schildert etwa die Ehefrau eines Arztes, der aufgrund seiner Verurteilung Gutachtenkosten in mittlerer sechsstelliger Höhe zu tragen hatte, wie in ihrem Fall letztlich nur noch die Familie blieb, die den Arzt davor bewahrte, sein Leben aufzugeben.
Doch in der Klärung zu den überzogenen Kosten für die Gutachten kam bislang noch kaum zur Sprache, dass eben nicht nur der Staat geschädigt wurde. Zumal Alexander B. dem Staat mit einer Verfahrenseinstellung zwar die Kosten für die Gutachten auferlegte, ihm aber gleichzeitig oft auch hohe Auflagen von den Beschuldigten zuschusterte. In den anderen Fällen wurden die teils irre anmutenden Gutachtenkosten aber von den verurteilten Ärzten getragen, die sich kaum dagegen zur Wehr setzen konnten.
Alexander B. sprach bislang weder von jenen Ärzten, die mittels Auflagen oder Gutachtenkosten bis an ihre finanziellen Grenzen getrieben wurden, noch von jenen, gegen die wegen Lappalien ermittelt wurde, die in anderen Bundesländern eingestellt worden wären. Und genauso unerwähnt ist weiterhin die Gretchenfrage: Lässt sich eigentlich dem Inhalt der Gutachten trauen, wenn sie doch vor dem Hintergrund veranlasst und erstellt wurden, die Kosten in die Höhe zu treiben und den persönlichen Gewinn zu mehren?
Was wissen wir über die Qualität der Gutachten?
Dr. Alexander Dorn, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Strafrecht, hat Zweifel an der Qualität der Gutachten. Er hat in den 15 Jahren, um die es in dem Verfahren geht, etliche Ärzte vertreten, die in die Fänge der Ermittlungen von B. geraten waren. Deswegen hat er auch 2007 gegen das Vorgehen von B., nur ein Unternehmen mit der Erstellung aller Gutachten zu beauftragen, Verfassungsbeschwerde eingelegt. Aber erfolglos – im Gegenteil: B. nutzte das Urteil sozusagen als Qualitätsbeweis für das Unternehmen. Dr. Dorn ist überzeugt: Die Gutachten seien oft künstlich aufgebauscht gewesen und ohne wirkliche Expertise erstellt. Darüber müsse gesprochen werden.
Auch Dirk R. Hartmann, Fachanwalt für Medizinrecht, und gleichermaßen vertraut mit den Ermittlungen des Oberstaatsanwaltes, sieht die als Gutachten bezeichneten Aufarbeitungen kritisch. Er wirft die Frage auf, ob es sich überhaupt um „Gutachten“ gehandelt habe. Gutachten würden eine besondere Expertise voraussetzen. Unklar sei, inwieweit die als Sachverständige eingesetzten Personen über den dafür notwendigen Sachverstand verfügten. Denn: „Neben dem durchaus anerkennenswerten Berufsabschluss als Arzthelferin oder Medizinschen Fachangestellten haben die eingesetzten Personen keine weitere erkennbare Expertise gehabt, die sie zu Sachverständigen qualifiziert hätte“, so Hartmann.
In dieser Einschätzung sieht er sich über die Ausführungen der umfangreichen „Gutachten“ bestätigt. Nicht nur, dass sie oft vor allem aus Textbausteine bestanden hätten, die teils fehlerhaft gewesen seien und zusammengeschustert gewirkt hätten. Es seien vor allen Dingen vielfach lediglich Aufarbeitungen eines Sachverhaltes gewesen, denen aber jede sachverständige Würdigung gefehlt habe.
Medical-Tribune-Recherche